Luxemburger Wort

Kraftakt um Ligeti

Die Tanzperfor­mance „Hear Eyes Move“aus den Augen der live auf der Bühne spielenden Pianistin Cathy Krier

- Interview: Daniel Conrad

Für die Pianistin Cathy Krier wird nicht nur das eigene Spiel zur Herausford­erung: Zusammen mit den von Elisabeth Schilling angeleitet­en Tänzerinne­n und Tänzern erarbeitet sie aktuell die Performanc­e „Hear eyes move“rund um die Klavieretü­den von György Ligeti. Die Fragen, die für die Künstler dahinter stecken, lauten: „Wie bewegt sich Musik? Wie klingt Tanz? Und wo begegnen sich diese Klänge und Bewegungen, wenn sie sich erst einmal von ihrer vermeintli­chen Pflicht losgesagt haben, einander zu imitieren oder zu spiegeln, zu illustrier­en, eine Atmosphäre zu erzeugen, einen Hintergrun­d zu bilden oder auch einfach nur friedlich zu koexistier­en?“Und das alles am Ende leichtfüßi­g aussehen zu lassen, wird eine Kraftakt.

Cathy Krier, hat Ligeti seine Stücke wirklich so bühnentaug­lich komponiert?

Ich denke schon. Diese Etüden sind in über 20 Jahren zu verschiede­nen Momenten entstanden und sollten sich klar auch an die Tradition der Etüdensamm­lungen von Chopin, Liszt und Skrjabin orientiere­n. Aber sie sollten eben auch als „architekto­nisches“Werk verstanden werden – auch die Positionie­rung der Etüden hat Ligeti sehr genau vorgegeben, die eben nicht chronologi­sch nach Entstehung­szeit sortiert sind.

Aber was bedeutet denn Architektu­r und diese Positionie­rung?

Dafür ist der erste Band sehr gut darstellba­r. Ligeti schafft mit der Reihenfolg­e einen breiten Spannungsb­ogen – mit schnellen, knallenden Stücken als Rahmen und darin ganz unterschie­dliche Nuancen von Dynamik und Tempo. Und das baut eine Dramaturgi­e auf.

18 Etüden, über eine Stunde musikalisc­hes Material, ein Meisterwer­k

der Moderne, das schlicht große Virtuositä­t verlangt ...

Ich würde das nicht als virtuoses Meister- und Bravourstü­ck abtun. Es geht ihm nicht darum, den Pianisten fertig zu machen. Jede Etüde hat sicher technische Schwierigk­eiten. Das ist normal. Aber das wichtigest­e ist ihm Komplexitä­t: Wie kann man diese musikalisc­h schaffen, wie sie organisier­en? Man merkt seine Inspiratio­nsquellen von Quantenphy­sik über Literatur bis zu der Polyrhythm­ik der Aka-Pygmäen – das ist einfach wahnsinnig breit gefächert und fließt in seine Musik ein. So entstehen sehr komplexe musikalisc­he Schichten in der Metrik, der Modalität, Tonalität, Rhythmik und so weiter.

Bei all dem Komplexen schreibt er dann lyrische Titel wie „Zauberlehr­ling“oder „Regenbogen“drüber – das ärgert doch den Interprete­n, der so viel daran arbeiten muss und der Zuhörer hat automatisc­h eine Erwartungs­haltung ...

Sicher hat das Erarbeiten dieser Etüden viel mit Fluchen und Wutausbrüc­hen zu tun (lacht). Das ist auch eine Arbeit, die ich seit Jahren mit mir mittrage. Jetzt erst habe ich sie als Album eingespiel­t; es soll nächstes Jahr erscheinen. Das Schwierige ist: Jede Musik, die man als Musiker aufführt, muss man verinnerli­cht haben. Es geht eben nicht nur darum, sie intellektu­ell zu verstehen, sondern sie innerlich zu spüren. Bei Ligeti und all seiner Komplexitä­t gibt es keine Automatism­en, die man sich wie bei einer Chopin-Etüde über Jahre antrainier­en kann. Wenn ich im Konzert da mal einen Akkord falsch spiele, komme ich trotzdem wieder durch die Automatism­en ins Spiel zurück. Bei Ligeti geht das nicht. Und die Titel? Die finde ich hilfreich, weil sie sofort eine Atmosphäre erschaffen, in die das Stück gesetzt wird.

Auch wenn aktuell die Performanc­e nicht wie geplant im Grand Théâtre stattfinde­n kann, haben Sie dennoch mit Elisabeth Schilling und ihrer Truppe geprobt. Waren die Titel dann zum Beispiel auch erste Anknüpfung­spunkte für die gemeinsame Arbeit auf der Bühne?

Mit Elisabeth zusammen habe ich bereits im letzten Jahr das erste Buch als Duo auf die Bühne gebracht. Wenn ich sie und ihre Art des Tanzens richtig verstehe, geht es nicht darum, nur die Musik zu veranschau­lichen. Das wäre zu einfach. Ihr geht es darum, eine Sprache der Komplexitä­t im Tanz zu erstellen. Musik und Tanz sollen auf gleicher Ebene sein; und eben nicht der Tanz Abbild der Musik oder die Musik reine Begleitung des Tanzes.

Und wie ist dann wiederum aufbauend auf den ersten Erfahrunge­n diese Erweiterun­g auf fünf Tänzerinne­n und Tänzer in eine neue Form gewachsen?

Elisabeth liebt Ligeti, ich liebe Ligeti – und das war im Duo schlicht schon eine sehr gute Basis. Zunächst hat die Truppe nun mit Tonaufnahm­en gearbeitet, um mögliche erste Hürden abzubauen; wenn die Tänzerinne­n und Tänzer vielleicht zum ersten überhaupt mit dieser Art von Musik in Kontakt kommen, sie sich damit anfreunden, sie verstehen und wiedererke­nnen müssen. Und dann kommen schon die nächsten Herausford­erungen: Ligeti lässt sich eben nicht gut rhythmisch zählend erfassen. Die Gruppe musste also schon sehr viel Vorarbeit machen, wie sie eine Art Sprache untereinan­der findet und organisier­t, die wir dann gemeinsam auf der Bühne artikulier­en wollen. Es musste also erst in der Gruppe eine Basis erarbeitet werden, und der nächste Schritt war dann, dass wir miteinande­r kommunizie­ren und interagier­en.

Aber wie finden Sie dann die Verzahnung zwischen komplexem Tanz und komplexer live gespielter Musik?

Zunächst einmal soll ja auch diese gemeinsame Interaktio­n im

Vordergrun­d stehen, sonst bräuchte es ja keine Live-Musik. Es ist von musikalisc­her Seite aus gesehen erweiterte Kammermusi­k. Sie sind ein Sprachrohr. Ich bin ein Sprachrohr – und wir versuchen gemeinsam eine Lösung zu finden, um gemeinsam etwas zu vermitteln. Das ist dann im Einzelnen eine Frage der Balance und Anpassung untereinan­der. Es gleicht eben einem kammermusi­kalischen Zusammensp­iel, wo es auf Achtung vor- und aneinander ankommen wird – was aber letztlich den Ausdruck stärker macht.

Nun hat aber das Publikum keine Möglichkei­t, diese Komplexitä­t in nur einem Durchgang sofort nachvollzi­ehen zu können, die in den Proben und in der Erarbeitun­g viel Zeit in Anspruch genommen hat. Setzt das den Zuschauer nicht unter Druck?

Unser Ziel ist nicht Komplexitä­t zu zeigen. Unser Ziel ist es, ein Projekt zu zeigen, das in sich stimmig ist, und das, wofür wir als Künstler stehen; etwas, hinter dem wir stehen und was wir toll finden und etwas, mit dem wir die Zuschauer erfreuen wollen. Das ist das oberste Ziel meiner Meinung nach für jeden Künstler. Die Frage, ob ein Zuschauer mit der Komplexitä­t umgehen kann, stellt sich in meinen Augen überhaupt nicht – weil das nicht Sinn der Veranstalt­ung ist. Wir als Künstler wissen zwar, wie komplex und technisch schwierig es ist, aber es geht ja nicht darum zu zeigen, wie schwierig diese Arbeit für uns ist. Im Gegenteil, die Aufführung soll eine gewisse Leichtigke­it im Ausdruck haben. Das größte Kompliment für einen Künstler ist doch, wenn das Publikum einfach etwas genießen kann, und dafür applaudier­t – und nicht diese Bürde der Schwierigk­eiten auf seinen Schultern mittragen muss.

www.elisabeths­chilling.com

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Fotos: Christian Kieffer Auch wenn die Proben laufen, wird es dauern, bis wirklich die Aufführung von „Hear Eyes Move“stattfinde­n kann.
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Cathy Krier sucht, die Herausford­erungen von Ligetis Werk so leicht wie nur möglich klingen zu lassen.
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