Kraftakt um Ligeti
Die Tanzperformance „Hear Eyes Move“aus den Augen der live auf der Bühne spielenden Pianistin Cathy Krier
Für die Pianistin Cathy Krier wird nicht nur das eigene Spiel zur Herausforderung: Zusammen mit den von Elisabeth Schilling angeleiteten Tänzerinnen und Tänzern erarbeitet sie aktuell die Performance „Hear eyes move“rund um die Klavieretüden von György Ligeti. Die Fragen, die für die Künstler dahinter stecken, lauten: „Wie bewegt sich Musik? Wie klingt Tanz? Und wo begegnen sich diese Klänge und Bewegungen, wenn sie sich erst einmal von ihrer vermeintlichen Pflicht losgesagt haben, einander zu imitieren oder zu spiegeln, zu illustrieren, eine Atmosphäre zu erzeugen, einen Hintergrund zu bilden oder auch einfach nur friedlich zu koexistieren?“Und das alles am Ende leichtfüßig aussehen zu lassen, wird eine Kraftakt.
Cathy Krier, hat Ligeti seine Stücke wirklich so bühnentauglich komponiert?
Ich denke schon. Diese Etüden sind in über 20 Jahren zu verschiedenen Momenten entstanden und sollten sich klar auch an die Tradition der Etüdensammlungen von Chopin, Liszt und Skrjabin orientieren. Aber sie sollten eben auch als „architektonisches“Werk verstanden werden – auch die Positionierung der Etüden hat Ligeti sehr genau vorgegeben, die eben nicht chronologisch nach Entstehungszeit sortiert sind.
Aber was bedeutet denn Architektur und diese Positionierung?
Dafür ist der erste Band sehr gut darstellbar. Ligeti schafft mit der Reihenfolge einen breiten Spannungsbogen – mit schnellen, knallenden Stücken als Rahmen und darin ganz unterschiedliche Nuancen von Dynamik und Tempo. Und das baut eine Dramaturgie auf.
18 Etüden, über eine Stunde musikalisches Material, ein Meisterwerk
der Moderne, das schlicht große Virtuosität verlangt ...
Ich würde das nicht als virtuoses Meister- und Bravourstück abtun. Es geht ihm nicht darum, den Pianisten fertig zu machen. Jede Etüde hat sicher technische Schwierigkeiten. Das ist normal. Aber das wichtigeste ist ihm Komplexität: Wie kann man diese musikalisch schaffen, wie sie organisieren? Man merkt seine Inspirationsquellen von Quantenphysik über Literatur bis zu der Polyrhythmik der Aka-Pygmäen – das ist einfach wahnsinnig breit gefächert und fließt in seine Musik ein. So entstehen sehr komplexe musikalische Schichten in der Metrik, der Modalität, Tonalität, Rhythmik und so weiter.
Bei all dem Komplexen schreibt er dann lyrische Titel wie „Zauberlehrling“oder „Regenbogen“drüber – das ärgert doch den Interpreten, der so viel daran arbeiten muss und der Zuhörer hat automatisch eine Erwartungshaltung ...
Sicher hat das Erarbeiten dieser Etüden viel mit Fluchen und Wutausbrüchen zu tun (lacht). Das ist auch eine Arbeit, die ich seit Jahren mit mir mittrage. Jetzt erst habe ich sie als Album eingespielt; es soll nächstes Jahr erscheinen. Das Schwierige ist: Jede Musik, die man als Musiker aufführt, muss man verinnerlicht haben. Es geht eben nicht nur darum, sie intellektuell zu verstehen, sondern sie innerlich zu spüren. Bei Ligeti und all seiner Komplexität gibt es keine Automatismen, die man sich wie bei einer Chopin-Etüde über Jahre antrainieren kann. Wenn ich im Konzert da mal einen Akkord falsch spiele, komme ich trotzdem wieder durch die Automatismen ins Spiel zurück. Bei Ligeti geht das nicht. Und die Titel? Die finde ich hilfreich, weil sie sofort eine Atmosphäre erschaffen, in die das Stück gesetzt wird.
Auch wenn aktuell die Performance nicht wie geplant im Grand Théâtre stattfinden kann, haben Sie dennoch mit Elisabeth Schilling und ihrer Truppe geprobt. Waren die Titel dann zum Beispiel auch erste Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Arbeit auf der Bühne?
Mit Elisabeth zusammen habe ich bereits im letzten Jahr das erste Buch als Duo auf die Bühne gebracht. Wenn ich sie und ihre Art des Tanzens richtig verstehe, geht es nicht darum, nur die Musik zu veranschaulichen. Das wäre zu einfach. Ihr geht es darum, eine Sprache der Komplexität im Tanz zu erstellen. Musik und Tanz sollen auf gleicher Ebene sein; und eben nicht der Tanz Abbild der Musik oder die Musik reine Begleitung des Tanzes.
Und wie ist dann wiederum aufbauend auf den ersten Erfahrungen diese Erweiterung auf fünf Tänzerinnen und Tänzer in eine neue Form gewachsen?
Elisabeth liebt Ligeti, ich liebe Ligeti – und das war im Duo schlicht schon eine sehr gute Basis. Zunächst hat die Truppe nun mit Tonaufnahmen gearbeitet, um mögliche erste Hürden abzubauen; wenn die Tänzerinnen und Tänzer vielleicht zum ersten überhaupt mit dieser Art von Musik in Kontakt kommen, sie sich damit anfreunden, sie verstehen und wiedererkennen müssen. Und dann kommen schon die nächsten Herausforderungen: Ligeti lässt sich eben nicht gut rhythmisch zählend erfassen. Die Gruppe musste also schon sehr viel Vorarbeit machen, wie sie eine Art Sprache untereinander findet und organisiert, die wir dann gemeinsam auf der Bühne artikulieren wollen. Es musste also erst in der Gruppe eine Basis erarbeitet werden, und der nächste Schritt war dann, dass wir miteinander kommunizieren und interagieren.
Aber wie finden Sie dann die Verzahnung zwischen komplexem Tanz und komplexer live gespielter Musik?
Zunächst einmal soll ja auch diese gemeinsame Interaktion im
Vordergrund stehen, sonst bräuchte es ja keine Live-Musik. Es ist von musikalischer Seite aus gesehen erweiterte Kammermusik. Sie sind ein Sprachrohr. Ich bin ein Sprachrohr – und wir versuchen gemeinsam eine Lösung zu finden, um gemeinsam etwas zu vermitteln. Das ist dann im Einzelnen eine Frage der Balance und Anpassung untereinander. Es gleicht eben einem kammermusikalischen Zusammenspiel, wo es auf Achtung vor- und aneinander ankommen wird – was aber letztlich den Ausdruck stärker macht.
Nun hat aber das Publikum keine Möglichkeit, diese Komplexität in nur einem Durchgang sofort nachvollziehen zu können, die in den Proben und in der Erarbeitung viel Zeit in Anspruch genommen hat. Setzt das den Zuschauer nicht unter Druck?
Unser Ziel ist nicht Komplexität zu zeigen. Unser Ziel ist es, ein Projekt zu zeigen, das in sich stimmig ist, und das, wofür wir als Künstler stehen; etwas, hinter dem wir stehen und was wir toll finden und etwas, mit dem wir die Zuschauer erfreuen wollen. Das ist das oberste Ziel meiner Meinung nach für jeden Künstler. Die Frage, ob ein Zuschauer mit der Komplexität umgehen kann, stellt sich in meinen Augen überhaupt nicht – weil das nicht Sinn der Veranstaltung ist. Wir als Künstler wissen zwar, wie komplex und technisch schwierig es ist, aber es geht ja nicht darum zu zeigen, wie schwierig diese Arbeit für uns ist. Im Gegenteil, die Aufführung soll eine gewisse Leichtigkeit im Ausdruck haben. Das größte Kompliment für einen Künstler ist doch, wenn das Publikum einfach etwas genießen kann, und dafür applaudiert – und nicht diese Bürde der Schwierigkeiten auf seinen Schultern mittragen muss.
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