Der Herr der traurigen Helden
John le Carré hat hochklassige Spannungsliteratur mit zeitkritischen Themen verwoben
Er selbst sei jung gewesen, als er begonnen habe, über George Smiley zu schreiben; dieser George Smiley hingegen war damals schon alt, ein unscheinbarer Mann, aber grüblerisch und unruhig, auf der Suche nach Antworten und Erfahrungen. Daher sei Smiley heimlich jung geblieben, und die Bücher, in denen er dann seine Rolle gespielt habe, seien ein einziger langer Bildungsroman geworden. So hat John le Carré im Sommer 2010 seine berühmteste literarische Schöpfung charakterisiert.
Wer in den Jahren davor den schon weit über siebzigjährigen Schriftsteller besucht hatte, sah sich einem Herrn gegenüber, der trotz weißer Haare ebenfalls agil geblieben war und mit schöner Regelmäßigkeit etwa alle zwei Jahre einen guten bis sehr guten Roman abzuliefern pflegte. Bücher über den Weg, den schmutziges Geld aus russischen Drogengeschäften nehmen konnte, um europäischen Banken nach der Wirtschaftskrise von 2008 aufzuhelfen („Verräter wie wir“, 2010); über die terroristischen Hintergründe von 9/11 und über den sich ausbreitenden Überwachungsstaat in Deutschland („Marionetten“, 2008); Bücher über miese Machenschaften in Afrika, im Kaukasus, in Panama, in Palästina („Die Libelle“, 1983).
Erfahrungen im Geheimdienst
In die literarische Welt seiner ruhmreichsten Jahre, als er im Zeichen des kalten Krieges Spionageromane wie „König, Dame, Ass, Spion“(1974) oder „Eine Art Held“(1977) verfasste, ist le Carré im hohen Alter zurückgekehrt: 2017 feierte er in der Royal Albert Hall die Publikation seines Romans „A Legacy of Spies“(„Das Vermächtnis der Spione“), in dem auch George Smiley ein Comeback erlebt.
„Wir müssen ohne Gefühl leben, ist es nicht so?“, heißt es in „Der Spion, der aus der Kälte kam“, le Carrés drittem Roman, der ihn 1963 weltberühmt und wirtschaftlich unabhängig machte, und weiter steht dort: „Das ist freilich unmöglich. Wir spielen es uns gegenseitig vor, all diese Härte. Aber so sind wir in Wirklichkeit gar nicht.“Diese Kluft zwischen Schein und Sein war sein Thema, und das unterscheidet seine Welt der Agenten von derjenigen eines James Bond.
Gut und Böse sind kaum zu unterscheiden, Wankelmut und die politische Logik von Apparaten wie den Geheimdienstabteilungen MI5 und MI6 entstellen jene, die angetreten sind, um das Wertvolle zu bewahren, bis sie ihren Gegnern gleichen; bis die Fronten verwischt sind, und zwar nicht nur, weil Doppelagenten und Überläufer sie durchlöchern. George Smiley, der Brite, für immer verbunden mit dem Konterfei von Alec Guinness, und Karla, der SowjetGeheimdienstler, sind die Pole, zwischen denen John le Carré mehrmals das engmaschige Netz solcher Verflechtungen ausgelegt hat. Aber er hat auch Verleger („Das Russland-Haus“, 1989) oder
Uni-Dozenten und Rechtsanwältinnen („Verräter wie wir“) darein verwickelt.
Aus jungen Jahren wusste er, wovon er erzählt. Der Sohn eines Hochstaplers und einer Mutter, die der Familie den Rücken gekehrt hatte, als der Junge erst fünf Jahre alt war, wurde am 19. Oktober 1931 als David John Moore Cornwell geboren und verbrachte die meisten Jugendjahre in Internaten. Als Sechzehnjähriger ging er in die Schweiz, um Deutsch zu lernen, studierte dann in Oxford und lehrte kurze Zeit am Eton College. Und schon mit Anfang Zwanzig verschrieb er sich dem britischen Geheimdienst, agierte 1960 bis 1963 in Bonn, offiziell angestellt als zweiter Sekretär der Britischen Botschaft, und anschließend auch als britischer Vizekonsul in Hamburg. Was genau seine Aufgaben waren, hat er stets im Dunkeln gelassen, und sich dazu nur ähnlich kryptisch geäußert, wie es manche Figuren in seinen Romanen tun.
Verratene Helden
Die Arbeit für den Geheimdienst habe ihm das Gefühl gegeben, eine Besonderheit zu haben, hat er erklärt, und das sei nach der zerrütteten Kindheit verlockend gewesen. Die Existenz aber, die er dann aus der eigenen Erfahrung für seine Agenten destilliert hat, ist zumeist aschgrau und glanzlos. Nicht nur, weil sie im Dienst zweifelhafter Interessen stehen und dabei von ihren eigenen Auftraggebern hintergangen werden, sondern auch, weil ihnen wenig Heldentum zugedacht ist.
Natürlich haben sie manchmal Anekdoten der heroischen Art zu berichten, so wie George Smiley und der Erzähler Ned in „Der heimliche Gefährte“(1990), dem Roman, mit dem John le Carré unmittelbar auf den Fall des Eisernen
Vorhangs reagierte – also auf den Untergang jener Weltordnung, die für das Genre des Spionage-Thrillers den vermeintlich gesicherten Rahmen abgegeben hatte. Aber „action“hat John le Carré nie wirklich interessiert, dafür war er viel zu politisch und auch zu kritisch dem Westen und seinen weltweiten Machenschaften gegenüber – vor allem in den Jahren von George W. Bush und Tony Blair. Viel zu ironisch für derlei war er als Erzähler überdies auch.
Seinen späten Romanen hat man zuweilen Schwarz-Weiß-Malerei vorgeworfen, und seine kritischen Kommentare zum Krieg im Irak 2003 und zu der Anti-Terror-Paranoia, in welche die USA den Rest der westlichen Welt gestürzt hätten, haben ihn manche Sympathien gekostet. Aber man kann in seinen Büchern schon zu Beginn der neunziger Jahre die Prognose nachlesen, dass das Ende des OstWest-Konflikts nicht das Ende der Spionagedienste sein und dass alles unübersichtlicher werden würde.
Distanz wahren
Und noch etwas hat er gewusst, und entweder in seinem Haus im ruhigen Hampstead oder auf seinem Landsitz in Cornwall fernab vom Rummel der Welt seinen Figuren mitgegeben – wobei die Regel wahrlich nicht nur für den Geheimdienst gilt: „Man darf nur wenig Verbindung zur Zentrale haben, damit einem der Enthusiasmus nicht in Verbitterung umschlägt.“John le Carré ist es gelungen, sein literarisches Engagement bis in die hohen Jahre zu bewahren; am 12. Dezember ist er nun im Alter von 89 Jahren in Cornwall gestorben.
Man darf nur wenig Verbindung zur Zentrale haben, damit einem der Enthusiasmus nicht in Verbitterung umschlägt. John le Carré