Die Favoriten
Der kunterbunte Titelverteidiger, der schwächelnde Dominator und das eiskalte Enfant terrible
Fast wäre die Karriere von Peter Wright (Weltranglistenposition: 2) ein unvollendetes Darts-Märchen geblieben. Nach einer gefühlten Ewigkeit auf Spitzenplätzen der Order of Merit (Weltrangliste nach Preisgeldern) erfüllte sich der Schotte, dessen Markenzeichen die bunten und verzierten Haare sind, bei der vergangenen WM seinen Traum. Nach einem extrem starken Turnier bezwang Wright den damaligen Topfavoriten Michael van Gerwen (NL/1) im Finale überraschend deutlich mit 7:3. „Ich habe große Spiele verloren, deshalb hatte ich schon im Vorfeld das Gefühl, dass ich jetzt einfach dran bin“, sagte der 50-Jährige nach dem Triumph. Gleichzeitig deutete er an, dass er in der Vergangenheit nicht immer auf der Höhe war: Unerklärliche Aussetzer gehören genauso zum Alltag von Snakebite wie unnachahmlich dominante Auftritte. Welches Gesicht Wright bei dieser WM zeigt, bekommen Steve West (ENG/45) oder Amit Gilitwala (IND/-) zu sehen, die vor dem heutigen Duell mit dem Titelverteidiger aufeinandertreffen.
Dieses Gefühl kennt Michael van Gerwen (Weltranglistenposition: 1) eigentlich nicht. Der Niederländer gilt seit Jahren als bester Dartsspieler der Welt – und ließ an diesem Status auch keine Zweifel aufkeimen. Doch während die Konkurrenz in der Corona-Krise fleißig Titel sammelte, brach die Leistung des 31-Jährigen ein. „Ich habe die Schnauze voll“, schimpfte der dreimalige Weltmeister Ende November nach der Viertelfinal-Niederlage beim Grand Slam gegen Simon Whitlock (AUS/18). Am meisten nervte den einstigen Dominator, dass er am Ende des Duells – eigentlich untypisch für ihn – acht Matchdarts nicht nutzen konnte. Es war nicht das einzige Turnier in 2020, das aus Sicht des Niederländers voll in die Hose ging. Doch unmittelbar vor der WM erkämpfte sich Mighty Mike mit dem Titel bei den Players Championship Finals einen Hoffnungsschimmer. Wie lange dieser Bestand hat, wird sich nach van Gerwens WM-Auftakt am Samstag gegen Ryan Murray (SCO/90) oder Lourence Ilagan (PHI/-) zeigen.
Sollte der neue Darts-Weltmeister Gerwyn Price heißen, würden sich vermutlich erstmals in der WM-Geschichte mehr Fans ärgern als freuen. Denn der Waliser (Weltranglistenposition: 3) polarisiert wie kein Zweiter. Während die spielerische Klasse des 35-Jährigen über alle Zweifel erhaben ist, legt sich Price regelmäßig mit seinen Gegnern an. Das größte Aufsehen erregte das Finale des Grand Slam 2018, in dem Price seinen Gegner Gary Anderson (SCO/13) immer wieder mit Gesten und Schreien provozierte. Anderson verlor und verweigerte seinem Gegner den Handschlag. Price sagte nach der Siegerehrung: „Er mag das nicht? Pech für ihn. Er kommt mit Typen wie mir nicht zurecht.“Seitdem hat sich das Benehmen des ehemaligen Rugbyspielers zwar verbessert, doch sein Ansehen in der Szene ist weiterhin angekratzt. Ob The Iceman seine Emotionalität auch mit weniger Fanunterstützung nutzen kann, wird sich bei seinem Auftaktspiel am Montag gegen Luke Woodhouse (ENG/51) oder Jamie Lewis (WLS/63) zeigen.