Die Revolution hat ihr Kind längst gefressen
Das Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofes erschüttert 1995 den Profifußball in seinen Grundfesten
Jean-Marc Bosman ist das Prozedere gewohnt. Wie immer an den runden Jahrestagen kommt Trubel auf – bevor es wieder still wird um den Mann, der vor einem Vierteljahrhundert den Profifußball revolutionierte. Dann kehrt der 56Jährige in seine Realität zurück, die nichts mit dem Leben eines Helden zu tun hat. Einsam, verbittert und am Rande der Armut fristet Bosman in Awans, einem Vorort von Liège, sein Dasein.
„Ich hätte lieber eine Karriere wie Pelé oder Franz Beckenbauer gemacht“, sagt Bosman, der von Sozialhilfe und einer monatlichen Zuwendung der Profi-Gewerkschaft lebt: „Doch ich habe einen sozialen Kampf geführt. Und obwohl mein Name genauso bekannt ist wie der Name der großen Stars, kennt niemand den Mann zu diesem Namen.“
Tatsächlich erinnert sich kaum jemand an die 25 Spiele, die Bosman im Trikot des RFC Liège absolviert hat. Oder an den einzigen Treffer, den der Belgier für seinen Club in der Liga erzielte. Bekanntheit erlangte Bosman dank seines historischen Erfolgs im Gerichtssaal. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) an jenem 15. Dezember 1995 wirbelte Bosmans Leben durcheinander – und erschütterte den Profifußball in seinen Grundfesten.
Wendepunkt
In der Geschichte des modernen Fußballs markiert der Tag einen Wendepunkt. Die EuGH-Entscheidung besiegelte das Ende von Ablösesummen nach Ablauf von Verträgen und der bis dahin gängigen Ausländerbeschränkungen. Die Luxemburger Richter stellten quasi
Jean-Marc Bosman lachte vor 25 Jahren. Heute würde er nicht mehr vor Gericht ziehen. über Nacht die Machtverhältnisse zugunsten der Spieler auf den Kopf.
„Die Bundesliga war auf das Urteil nicht vorbereitet. Von 18 Managern haben 16 oder 17 die Lage falsch eingeschätzt. Erst nach zwei Jahren waren alle darauf eingestellt“, erinnert sich BundesligaUrgestein Heribert Bruchhagen.
Die folgenschwere Entscheidung zur Klage traf Bosman 1990, nachdem der RFC Liège sein Gehalt gekürzt und ihm anschließend die Freigabe für einen Wechsel verwehrt hatte. Ein Transfer in die zweite französische Liga scheiterte an der überzogenen Ablöseforderung des Vereins. Bosman reagierte, klagte sich mit Erfolg über fünf Jahre durch alle Instanzen.
Seit jenem Tag stopfen sich neben Stars inzwischen auch noch selbst mittelmäßige Spieler und ihre Berater Millionen und Abermillionen in die eigenen Taschen. Früher schoben sich die Clubs bei Transfers das Geld untereinander zu, heute geht das Geld vornehmlich vom Verein zum Spieler.
Nur Bosman, Auslöser der Veränderung, schaute in die Röhre. Sein Leben geriet aus der Bahn – Schadenersatzzahlungen verprasste er, dazu kamen Scheidungen, Alkoholprobleme und Depressionen. „Alle profitieren von mir. Von meinem Kampf. Nur ich, ich habe nichts davon“, sagt der Spieler, dessen Karriere nach 1995 faktisch beendet war: „Als hätte ich jemandem die richtigen Lottozahlen verraten, aber dann werde ich nicht am Gewinn beteiligt.“
Diese Erkenntnis hat Bosman gebrochen. Und deshalb bleibt ihm nur ein Fazit: „Ich würde nicht mehr vor Gericht ziehen.“sid