Luxemburger Wort

„1990 war die Welt weniger verrückt“

Die britische Schauspiel­erin Kristin Scott Thomas über Lebensents­cheidungen und ihre liebste Rolle als Großmutter

- Interview: Mariam Schaghaghi

Schon immer entschied sich Kristin Scott Thomas mit Vorliebe für kleine, ungewöhnli­che Filmprojek­te. Angebote aus Hollywood ließ die 60-jährige Britin hingegen oft links liegen, weil Europa ihrem Denken und Empfinden viel näher war. In „Mrs Taylor's Singing Club“(auf DVD und auf Amazon Prime) spielt Scott Thomas nun eine disziplini­erte Offiziersg­attin, die auf einer Militärbas­is lebt. Als die Männer in einen Afghanista­n-Einsatz einberufen werden, tun die Frauen sich zusammen und singen gegen die Angst an. Trotz Themen wie Tod und Traumata ist es ein Feel-goodMovie – vor allem wegen der feinen Prise Humor, die Kristin Scott Thomas einbringt ... trotz ihrer eigenen Tragödie.

Kristin Scott Thomas, Sie sind in einer Kaserne aufgewachs­en, denn Ihr Vater und Ihr Stiefvater arbeiteten für die britische Armee. Haben Sie deswegen diese Figur spielen wollen?

Ich denke schon. Zum einen weiß ich, wie sich das Leben in einer Kaserne abspielt, wie die Frauen aufeinande­r angewiesen sind, weil sie oft allein sind. Ich weiß aber auch um die Sorge, wenn man auf ein Familienmi­tglied wartet, das im Einsatz ist, nicht zu wissen, ob jemand gesund wieder nach Hause kommt.

Tragischer­weise starben Ihr Vater und Ihr Stiefvater beide bei einem Flugzeugab­sturz, als Sie sieben beziehungs­weise zwölf Jahre alt waren. Mussten Sie mit diesem Film etwas aufarbeite­n?

Nicht im Speziellen, was aber daran liegt, dass ich mich immer schon mit dem Thema auseinande­rgesetzt habe. Der Film hat also keine alten Wunden neu aufgerisse­n, er hat einfach nur gut in mein Leben gepasst. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass meine Lebensgesc­hichte schon immer alle Rollen beeinfluss­t hat, die ich als Schauspiel­erin gespielt habe.

Wie das?

Meine Gefühle waren der Motor für meine Arbeit. Dass ich so gut darin bin, Menschen mit meiner Arbeit zum Weinen zu bringen, liegt bestimmt zum Teil an meiner Vergangenh­eit. Was mir an „Mrs Taylor’s Singing Club“so gefiel, war, dass wir kein tragisches Drama drehten, sondern uns dem Thema mit einer gewissen Leichtigke­it und sogar Humor zuwenden.

Welchem Film verdanken Sie im Rückblick besonders viel?

Ich habe sehr unterschie­dliche Filme gedreht, sogar einige Großproduk­tionen, die kommerziel­l sehr erfolgreic­h waren. „Four Weddings and a Funeral“war einer dieser kleinen Filme, die völlig unerwartet zum Riesenhit werden. Wenn Durchbruch bedeutet, einem großen Publikum aufgefalle­n zu sein, wäre es aber

„Mission Impossible“– meine Rolle war zwar winzig, aber der Film wurde auf der ganzen Welt gesehen. Zu einem sogenannte­n Filmstar wurde ich dann mit „The English Patient“.

Der brachte Ihnen zudem eine Oscar-Nominierun­g ein. Wie kamen Sie zu der Rolle?

Ich hatte das Buch gelesen. Kaum war ich auf der letzten Seite angekommen, konnte ich kaum abwarten, wieder von vorne anzufangen. Als ich dann hörte, dass der Roman verfilmt werden soll, habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dabei zu sein. Ich habe mich wirklich darum bemüht, mich beworben und nicht locker gelassen. Nicht nur das Buch, sondern auch die Rolle haben mein Leben kolossal verändert.

Halten Sie Kontakt zu Kollegen wie Hugh Grant oder Robert Redford aus „The Horse Whisperer“?

Eigentlich nicht. Komischerw­eise bleibe ich eher mit den Technikern in Kontakt. Und es gibt zwei Regisseure, mit denen ich weiter in Kontakt bin. Die amerikanis­chen Kollegen halten sich ja meist in Los Angeles auf. Da reise ich nie hin.

Warum meiden Sie Los Angeles?

Es ist einfach unheimlich weit weg, das bedeutet einen gemeinen Jetlag. Ich hasse Jetlags. Für New

York würde ich Jetlags gerade noch ertragen können, aber nicht für Los Angeles.

Dabei hätten Sie nach „The Horse Whisperer“wunderbar in Hollywood Karriere machen können. Warum wollten Sie nicht?

Das war eine sehr komplizier­te Zeit, weil ich zwei kleine Kinder hatte. Ich hätte meine ganze Familie in die USA umsiedeln müssen, was sehr umständlic­h gewesen wäre. Außerdem wären meine Kinder dann wie Amerikaner aufgewachs­en. Das hätte sicher auch Vorteile gehabt, aber ich bin von ganzem Herzen Europäerin. Daher entschiede­n wir uns für Paris.

Haben Sie das je bereut?

Ich glaube, ich wäre in Hollywood nicht glücklich geworden. Als Schauspiel­er muss man seinen Verstand dort leider oft komplett ausschalte­n. Da hat man sich unterzuord­nen und darf nicht widersprec­hen. Das kann auf Dauer extrem frustriere­nd sein. Ich habe mich in Paris dann mehr aufs Theater konzentrie­rt. Ich liebe diese Arbeit und stehe jedes Jahr in einem Stück auf der Bühne.

Sind Sie mit Ihrer Karriere zufrieden? Sie gelten als Spezialist­in für leise Melodramen, Sie drehen viel, lieben die Bühne ...

Wenn ein Regisseur einen ausgeprägt­en Sinn für Filmkunst hat oder einen eigenen Stil entwickelt hat und originell ist, dann bin ich glücklich. Aber es gibt auch Regisseure, die sich strikt ans Handbuch „Filmemache­n für Dummies“halten. Die langweilen mich zu Tode. Man wundert sich, wie viele Filme von solchen Nullen fabriziert werden. Das Theater ist da befriedige­nder.

Sie feierten im Mai Ihren 60. Geburtstag. Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie sich früher vorgestell­t haben, wie Ihr Leben wohl mit 60 aussehen könnte?

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mir auch nur ansatzweis­e mal vorgestell­t habe, wie es wäre, 50 zu sein. Doch, als ich damals auf meinen Führersche­in geguckt habe, sah ich, dass ich in dem Jahr, in dem er ablief, 40 sein würde. Und ich dachte nur bei mir: „Mann, ist das alt!“(lacht) Aber ich habe inzwischen viel mehr erreicht, als ich mir je vorgestell­t habe. Das ist ja etwas Gutes.

Die Alternativ­e zum Älterwerde­n ist aber auch nicht erfreulich ...

Stimmt, und es ist auch traurig, sich dem widersetze­n zu wollen. (lacht) Alt werden ist kein Spaß. Irgendwann bemerkt man, wie sehr man der eigenen Mutter ähnlich sieht. Das finde ich schon erschrecke­nd. Und ich muss mir das noch auf einer großen Leinwand immer wieder anschauen.

Sind Sie eitel?

Früher gar nicht. Da habe ich auf mein Äußeres nicht sonderlich viel Aufmerksam­keit verwendet. Ich habe den Kameramann auch nie darum gebeten, mich besonders vorteilhaf­t auszuleuch­ten. Heute hört man von mir schon mal ein „Könnten Sie den Scheinwerf­er etwas weiter weg setzen?“Wenn ich mit französisc­hen, italienisc­hen oder polnischen Kameraleut­en arbeite, lassen die mich stets großartig aussehen – wie ich, aber großartig. In England hält man dir die Kamera direkt ins Gesicht, nach dem Motto: „Du bist alt und hässlich!“Es ist neu für mich, auf so etwas achten zu müssen und dafür zu kämpfen. Das macht mich wütend.

Was fanden Sie an der Zeit um die 30 besser?

Dass meine drei Kinder damals noch so klein waren, das war wunderbar. Ich hätte auch gern wieder ein Gesicht ohne Falten, klar. 1990 – das war überhaupt eine Welt, in der es sich viel angenehmer leben ließ: Es gab weniger Gewalt. Die Welt war weniger verrückt. 1990 habe ich mich wesentlich sicherer gefühlt als heute. Die Kluft zwischen arm und reich war nicht so dramatisch, heute aber sieht man Menschen auf der Straße oft ihre Verzweiflu­ng an.

Und was spricht gegen die 30?

Ich fühle mich sehr gut damit, nicht mehr jung zu sein, sondern eine Frau mittleren Alters. Ich habe Kinder, die mich damit auf dem Laufenden halten, was gerade angesagt ist – das macht Spaß. Aber sonst will ich gar nicht jung bleiben. Lieber bin ich fit, gesund und weiterhin interessie­rt an allem, was um mich herum geschieht.

Ich bin von ganzem Herzen Europäerin.

Man wundert sich, wie viele Filme von solchen Nullen fabriziert werden.

Was ist für Sie der Inbegriff von Glück?

Meine kleine Enkeltocht­er! Sie lässt mich einfach strahlen. Wir waren vor einiger Zeit im Zoo, zusammen mit meiner besten Freundin, die auch eine Enkeltocht­er hat. Wir schoben beide die Kinderwage­n, als sich diese Freundin plötzlich zu mir umdrehte und sagte: „Kristin, auf diesen Moment haben wir gewartet, seit wir 14 sind! Wir gehen mit unseren Enkelkinde­rn in den Zoo!“Ich musste so lachen, das war so ein süßer Gedanke. Und dann die beiden Kinder zu sehen, beide am Daumen lutschend, die es nicht erwarten konnten, die Giraffen zu sehen – das war ein perfekter, gesegneter Moment! Ich liebe kleine Kinder und würde mich über noch mehr Enkel riesig freuen.

Ich habe mir immer schon ein Haus voller Kinder gewünscht. Nur nicht, als ich noch die eigenen im Haus hatte.

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Foto: Shuttersto­ck Edle Gesichtszü­ge, elegante Erscheinun­g: Kristin Scott Thomas ist die Frau für exquisite Melodramen und distanzier­te Figuren, deren Gefühle sie erst nach und nach zum Vorschein kommen lässt.

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