Luxemburger Wort

Ritt auf der Rasierklin­ge

Unterschie­dliche Maßnahmen im Umgang mit der zweiten Welle

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„Dramatisch­e Situation, Katastroph­e, Infektions­geschehen außer Kontrolle.“Mit diesen Worten begründen die deutsche Regierung und die Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er ihre einstimmig­e Entscheidu­ng. „Der Lockdown ist richtig, aber zu spät“urteilt die deutsche Presse über den harten Lockdown, der an diesem Mittwoch unser Nachbarlan­d ein zweites Mal stilllegt. Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d sind in der Tat auf 20 000 bis 30 000 Neuinfekti­onen pro Tag gestiegen, die täglichen Todeszahle­n auf 400 bis 500. Die Wocheninzi­denz liegt bundesweit bei 130 Fällen pro 100 000 Einwohner, Sachsen ist Spitzenrei­ter mit 290 Fällen.

In Luxemburg liegt die Wocheninzi­denz bei 600 Fällen. Die aktuellen täglichen 500 Neuinfekti­onen hierzuland­e entspreche­n 65 000 Fällen, die sechs bis sieben Toten etwa 800 bis 900 Todesopfer­n in Deutschlan­d (dessen Bevölkerun­g 130 Mal größer ist als diejenige Luxemburgs).

Der Zahlenverg­leich ist einfach und deutlich. Der Vergleich der Haltung und der Maßnahmen der Regierunge­n beider Länder gegenüber ihren jeweiligen Zahlen ist es auch. Wenn Deutschlan­d jetzt die Einreise aus dem Corona-Hotspot Luxemburg wieder beschränke­n sollte, werden Aufschrei und Entrüstung erneut groß sein. Auch die Bedenken der belgischen Regierung über die laschen Maßnahmen im Nachbarsta­at werden kaum ernst genommen. Die von Luxemburg geforderte europäisch­e Solidaritä­t scheint in Pandemieze­iten als Einbahnstr­aße gedacht zu sein.

Zu den fünf Opfern der Trierer Amokfahrt gab es berechtigt­erweise Beileidsbe­kundungen der luxemburgi­schen Regierung. Die täglich gleiche bis höhere Zahl an Covid19-Toten hierzuland­e scheint sie hingegen fast kommentarl­os hinzunehme­n. Alle drei bis vier Stunden stirbt mittlerwei­le in unserem Land ein Mensch mit oder an Corona. Die Lage in den Krankenhäu­sern spitzt sich zu.

Auch wenn Luxemburg seine Maßnahmen verschärft hat, hinken diese – bei höheren Fallzahlen – denjenigen des Auslands weit hinterher, sind halbherzig oder inkohärent und werden kaum kontrollie­rt. Die liberale Corona-Politik der Regierung bleibt weiterhin ein Ritt auf der Rasierklin­ge.

Marco Elz, Luxemburg

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