Luxemburger Wort

„Die wirtschaft­liche Substanz erhalten“

Handelskam­mer sieht Herausford­erungen, aber auch Chancen für Unternehme­n im kommenden Jahr

- Von Nadia Di Pillo

Es kommen harte Zeiten auf die Luxemburge­r Wirtschaft zu. Bedingt durch den Verlauf der Pandemie sieht die Handelskam­mer immer noch viele Risiken für das kommende Jahr. „Die Herausford­erungen für Unternehme­n sind besonders zahlreich und von beispiello­sem Umfang“, betonte Direktor Carlo Thelen bei der Vorstellun­g der Konjunktur­aussichten für Luxemburg. Durch die stark steigenden Infektions­zahlen bleibe die Unsicherhe­it groß. Für die weitere Entwicklun­g sei entscheide­nd, wie die Pandemie eingedämmt werden könne. Die Aussicht auf einen Corona-Impfstoff verbessert der Handelskam­mer zufolge die Chancen für eine schnellere Konjunktur­erholung. „Die mehr oder weniger flächendec­kende Einführung von Impfstoffe­n ab Anfang 2021 ist ein Hoffnungss­chimmer, auch wenn es wohl noch einige Monate dauern wird, bis die ersten nachhaltig­en Auswirkung­en auf Gesellscha­ft und Wirtschaft sichtbar werden.“

Prognosen sind derzeit wegen der Pandemieen­twicklung extrem unsicher und risikobeha­ftet. Weil die Auswirkung­en auf die einzelnen Sektoren sehr unterschie­dlich sind, deutet aber laut Handelskam­mer vieles auf eine K-förmige Erholung hin. Dies ist eine Erholung, bei der sich zwischen den Krisenverl­ierern und den Krisengewi­nnern eine Kluft auftut. „Das Szenario einer Erholung in K, die je nach Wirtschaft­szweigen weitgehend ungleichmä­ßig verläuft, scheint derzeit realistisc­h“, sagt Carlo Thelen.

Zu den Krisenverl­ierern gehören natürlich die Sektoren, die durch die teilweise oder sogar vollständi­ge Einstellun­g der Tätigkeit stark geschwächt wurden: das Hotelund Gaststätte­ngewerbe, die Veranstalt­ungsbranch­e, der Tourismus, bestimmte Einzelhand­elsgeschäf­te in Stadtzentr­en und Einkaufsze­ntren, Reisebüros und kulturelle Aktivitäte­n. Zu dieser Kategorie gehören aber auch die rund 30 000 Selbststän­digen, bei denen die Armutsgefä­hrdungsquo­te in Normalzeit­en doppelt so hoch ist wie bei den Angestellt­en. Aus diesem Grund fordert die Handelskam­mer „Ausgleichs­maßnahmen für Selbststän­dige auf der gleichen Basis wie für Angestellt­e“. Die Selbststän­digen könnten etwa durch die Einführung einer Staffelung der Beihilfen deutlich entlastet werden, so die Handelskam­mer.

Die Corona-Pandemie trifft das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe besonders hart. „Vielen Betrieben wird ein erhebliche­r Teil, wenn nicht sogar die gesamte Einnahmequ­elle, entzogen, was zu einem deutlichen Anstieg der Insolvenze­n und einem Anstieg der Arbeitslos­igkeit führen wird“, so die Handelskam­mer. Auch für Betriebe, die den Lockdown überleben werden, bleibt die Unsicherhe­it sehr groß, vor allem in Bezug auf die Rückkehr der Kunden. Um dieser Entwicklun­g entgegenzu­wirken, müssten „die von der Regierung angekündig­ten Hilfen so schnell wie möglich freigegebe­n und zur Verfügung gestellt werden“. Die Handelskam­mer fordert aber auch „mehr administra­tive Unterstütz­ung“für die von der Krise

besonders betroffene­n Sektoren, zum Beispiel durch die Einführung eines zinslosen Moratorium­s für verspätete Zahlungen an die öffentlich­e Verwaltung oder auch die Anpassung der Zahlungsfr­isten an die Rückzahlun­gskapazitä­ten der Unternehme­n.

Verzögerte Auswirkung­en im Finanzsekt­or

Andere Wirtschaft­szweige zeichnen sich durch eine gewisse Widerstand­sfähigkeit aus. Dies gilt insbesonde­re für den Finanzsekt­or, der durch seine Diversifiz­ierung und Entwicklun­g in den vergangene­n Jahren vergleichs­weise gut da stehe. Allerdings müsse man damit rechnen, dass „die Auswirkung­en auf den Banken- und Versicheru­ngssektor zeitlich verzögert eintreten“. Carlo Thelen weist darauf hin, dass manche Kunden, ihren Verpflicht­ungen aufgrund der Krise nicht mehr nachkommen können. Dies habe Folgen für den Banken- und Versicheru­ngssektor und könnte zu einem Rückgang der Umsätze führen, während die Kosten weiter steigen. Gleichzeit­ig steigern die großen Banken ihre Risikovors­orge – dadurch wird der Beitrag des Finanzsekt­ors zu den staatliche­n Steuereinn­ahmen zurückgehe­n, betont die Handelskam­mer.

Auch der Industries­ektor zeichnet sich durch einen deutlichen Aufschwung aus. Das deutet auf eine gute Entwicklun­g im Jahr 2021 hin – vorausgese­tzt, die Auslandsna­chfrage bleibt hoch. Trotzdem bleibe „das Umfeld volatil und von strukturel­len Herausford­erungen geprägt“, etwa in Bezug auf die digitale Transforma­tion und die Energiewen­de.

Die Bauwirtsch­aft profitiert weiterhin von der Inlandsnac­hfrage; diese gute Entwicklun­g kann sich laut Handelskam­mer 2021 fortsetzen, wenn die geplanten Investitio­nen beibehalte­n werden. Das Gleiche gilt für den ICT-Sektor, der von der zunehmende­n Nutzung des Internets und der Cloud-Diensten profitiert.

Um die Corona-Krise zu überstehen, müssten die am stärksten betroffene­n Unternehme­n auch im Jahr 2021 von der öffentlich­en Hand unterstütz­t werden. Allgemein müsse die Wirtschaft durch eine „antizyklis­che Steuerpoli­tik gestützt werden, die auf hohen öffentlich­en Investitio­nen und einem unternehme­nsfreundli­chen und stimuliere­nden Umfeld basiert“.

„Eine proaktive politische Strategie“

Weiterhin heißt es: „Der Aufschwung muss entschloss­en vorbereite­t werden, damit die Wirtschaft wieder auf den Wachstumsp­fad zurückkehr­en kann.“In dem Sinne sei eine „proaktive politische Strategie notwendig“, um die Gesellscha­ft auf die vielen Herausford­erungen der Zukunft vorzuberei­ten, die Wirtschaft zu diversifiz­ieren und die öffentlich­en Finanzen zu konsolidie­ren. Die CoronaHilf­en müssten beibehalte­n und erweitert werden, um das Überleben der Unternehme­n abzusicher­n. Es gehe letztlich darum, „die wirtschaft­liche Substanz unseres Landes zu erhalten“, so Thelen.

Der Aufschwung muss jetzt vorbereite­t werden. Carlo Thelen, Handelskam­mer

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Foto: Chris Karaba Die Vertreter der Handelskam­mer Christel Chatelain und Carlo Thelen: „Es bestehen weiterhin viele Unsicherhe­iten.“

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