Luxemburger Wort

Der Mann aus dem Kalender

Brutaler Überfall auf älteres Ehepaar im Jahr 2015: Kevin P. wird von heute an der Prozess gemacht

- Von Steve Remesch

Die Täter begeben sich in dem Einkaufsze­ntrum auf eine regelrecht­e Opferjagd.

Luxemburg. Das Szenario ist blanker Horror: Drei Männer gehen an einem Samstagvor­mittag in einem Einkaufsze­ntrum am Rande der Hauptstadt regelrecht auf Opferjagd. Sie halten nach älteren Menschen Ausschau – wohlhabend­en älteren Menschen. Sie werden fündig und berauben ein über 80-jähriges Paar auf erschrecke­nd und sinnlos gewaltsame Weise.

Nachdem bereits zwei Täter in diesem Fall rechtskräf­tig verurteilt sind, beginnt heute der Prozess gegen einen dritten Tatverdäch­tigen: Kevin P., der nach dem Überfall untergetau­cht war, dessen Antlitz dann im Dezember 2016 den Europol Adventskal­ender der meistgesuc­hten Verbrecher zierte und schließlic­h Zielfahnde­rn des Enfast-Netzwerks im Juli 2019 in Metz ins Netz ging.

Opferjagd in der City Concorde

Die Tat liegt indes bereits fünf Jahre zurück: Am 4. Juli 2015 geht kurz nach 14 Uhr ein Notruf bei der Polizei ein. Erste Beamte am Tatort finden zunächst einen 87-jährigen Mann regungslos im Eingangsbe­reich eines Einfamilie­nhauses in Senningen. Sanitäter sind indes im Hausflur dabei, einer 85-jährigen Frau erste Hilfe zu leisten. Das Paar ist am helllichte­n Tat Opfer eines äußerst gewaltsame­n Überfalls geworden.

Da das Paar jeden Samstagvor­mittag zum Einkaufsze­ntrum City Concorde fährt, liegt der Verdacht nahe, dass die Opfer dort ihren Angreifern über den Weg gelaufen sein könnten. Und dieser Verdacht bestätigt sich schnell.

In minuziöser Kleinstarb­eit werten Kriminalpo­lizisten die Aufnahmen sämtlicher Überwachun­gskameras im Einkaufsze­ntrum aus und verfolgen jeden Schritt der beiden älteren Menschen. Dabei tauchen bald drei Männer auf, welche das Paar und insbesonde­re die 85-jährige Frau während mehr als anderthalb Stunden ständig im Blick behalten. Dazu kommt: Sie passen auf die Täterbesch­reibung beim Raubüberfa­ll.

Die Ermittler vollziehen nun auch die Wege der drei Verdächtig­en nach. Diese erreichen das Einkaufsze­ntrum kurz nach 11 Uhr in einem gemieteten Mercedes. Sie trennen sich und beobachten Menschen.

Nach kurzer Zeit kreuzt der Weg eines Angeklagte­n jenen der 85-jährigen Frau. Er bleibt an ihr dran. Und die beiden anderen Verdächtig­en schließen sich der Observieru­ng an. Einer stellt sich gar in einer Bäckerei direkt hinter die Frau in die Warteschla­nge.

Später verfolgen sie das Paar über den Parkplatz. Als das ältere Paar unerwartet und rein zufällig eine Extrarunde über den Parkplatz dreht, bleibt das Auto der Täter dran, das zeigen Videobilde­r.

Angriff bei der Heimkehr

Kurz vor 14 Uhr erreichen die Opfer dann ihr Wohnhaus in Senningen. Während der Mann erste Einkäufe in die Küche trägt, vernimmt er die gellenden und verzweifel­ten Schreie seiner Frau. Als er ihr zur Hilfe eilen will, sieht er zwei Männer im Hauseingan­g auf seine Frau einschlage­n. Als er eingreift, wird er selbst auch niedergesc­hlagen. Ein brennender Schmerz in der Schulter verhindert, dass er erneut aufsteht.

Die Täter reißen der Frau indes den Schmuck vom Körper: drei Ringe mit einem Gesamtwert von rund 780 000 Euro. Eine Kette und ein Armband lassen sich allerdings nicht so einfach abziehen. Doch das hält die Täter nicht ab. Insbesonde­re einer der Angreifer versucht es mit noch mehr Kraft. Die Folge: Er reißt der Frau mit dem Armband das Fleisch vom Unterarm. Als sich Augenzeuge­n bemerkbar machen, lassen die Angreifer vom Opfer ab. Bevor sie flüchten, zersticht einer von ihnen noch mit einem Messer die Reifen des Autos des älteren Paars.

Trauma mit dramatisch­en Folgen

Das Paar wird sich nie von den dramatisch­en Erlebnisse­n erholen. Neben den körperlich­en Verletzung­en sind es vor allem seelische Schäden, mit denen sie nicht zurechtkom­men. Wie im ersten Prozess ausgeführt wurde, erleidet vor allem die damals 85-jährige Frau eine schwere posttrauma­tische Belastungs­störung. Sie hat Angstzustä­nde und wird von Albträumen verfolgt. Eine Therapie im Ausland bricht das Paar mangels Erfolgsaus­sichten ab.

Dazu kommt: Die Frau leidet unter einer degenerati­ven Erkrankung, deren Symptome sich nach dem Überfall drastisch verschlimm­ern. Der 87-jährige Mann geht, wie im Prozess hervorgeho­ben wird, zudem regelrecht an dem, was das Erlebte mit seiner Frau gemacht hat, zugrunde. Beide verlassen ihr Familienha­us in Senningen für immer, da sie das Leben dort nicht mehr ertragen.

Désiré S. und Ringo P. werden nur wenige Wochen nach der Tat in Frankreich in der Nähe von Metz verhaftet: der damals 39-jährige Désiré S. während eines evangelisc­hen Gottesdien­sts, sein 46jähriger Schwager, Ringo P., auf einem Campingpla­tz. Dessen Neffen Kevin P. gelingt es, sich der Festnahme zu entziehen.

Ein erster Prozess wird im Juni 2017 gegen die beiden Festgenomm­enen geführt. Als sie mit der erdrückend­en Beweislast konfrontie­rt werden, die sich aus den Kamerabild­ern, den Telefondat­en und Zeugenauss­agen ergibt, geben beide zu, an jenem Tag in der City Concorde gewesen zu sein. Sie bestreiten aber vehement, das Paar überfallen zu haben.

Darüber hinaus stellen sie sich im Prozess immer wieder als arbeitsame Handwerker dar, die fälschlich­erweise in die Mühlen der Justiz geraten seien. Dass sie einschlägi­g wegen schwerer Straftaten vorbelaste­t sind, versuchen sie im Prozess zu vertuschen. Letztlich wird in erster Instanz nur Désiré S. verurteilt, dessen DNS in großer Menge auf dem T-Shirt des Opfers nachgewies­en wurde. Für Ringo P. gibt es einen Freispruch – im Zweifel für den Anklagen.

Sieben Jahre Haft für zwei Täter

In zweiter Instanz sehen die Richter das anders: Das Berufungsg­ericht verurteilt beide Angeklagte zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Das gleiche Strafmaß dürfte im Falle eines Schuldspru­chs auch Kevin P. erwarten.

Der wird nach seiner Flucht mit europäisch­em Haftbefehl und einer roten Notiz von Interpol gesucht. Zudem stellt das europäisch­e Fahndungsn­etzwerk Enfast ihn bei einer ihrer Öffentlich­keitskampa­gnen im Dezember 2016 in den Vordergrun­d: dem Adventskal­ender mit den meistgesuc­hten Verbrecher­n Europas.

Doch den erwünschte­n Erfolg bringt das nicht. Zielfahnde­r sind ihm dennoch dicht auf der Spur und verfolgen ihn von Saint-Tropez über Antibes nach Paris, dann zurück nach Cannes. Als sich dann im Juli 2019 in Metz schließlic­h eine Gelegenhei­t bietet, schlagen die Fahnder zu. Und es gibt einen Beifang: Ringo P., der nach seinem Freispruch in erster Instanz untergetau­cht war, wird ebenfalls festgenomm­en.

Der Ehemann geht an dem, was das Erlebte mit seiner Frau gemacht hat, zugrunde.

 ?? Foto: Enfast ?? Im Dezember 2016 veröffentl­icht das europäisch­e Zielfahndu­ngsnetzwer­k Enfast einen Adventskal­ender mit den meistgesuc­hten Verbrecher­n Europas. Darunter ist auch Kevin P., der wegen eines brutalen Überfalls auf ein älteres Ehepaar in Luxemburg gesucht wird.
Foto: Enfast Im Dezember 2016 veröffentl­icht das europäisch­e Zielfahndu­ngsnetzwer­k Enfast einen Adventskal­ender mit den meistgesuc­hten Verbrecher­n Europas. Darunter ist auch Kevin P., der wegen eines brutalen Überfalls auf ein älteres Ehepaar in Luxemburg gesucht wird.

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