Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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Schließlic­h kommt die ganze Gruppe vor den Türen des Freibads an.

Einer der Polizeibea­mten ist ein Mann Mitte fünfzig mit den Streifen eines Sergeants an seiner Uniform, die anderen drei sind deutlich jünger, zwei Frauen und ein junger Mann mit Bart. Ihre Uniformen sehen nagelneu aus, und sie machen einen leicht nervösen Eindruck, als Hope abermals versucht, ihnen ein Plakat in die Hand zu drücken.

Der älteste Polizist versucht sich durch die Menge zur Tür vorzuarbei­ten, aber Hope, Frank, Jermaine, Geoff, Ellis und Jake bilden eine Schranke zwischen ihm und dem Eingang.

„Bitte treten Sie zur Seite, wir wollen keinen Ärger“, hört Kate den Polizisten sagen.

„Lieber nicht“, sagt Frank. Jermaine steht dicht neben ihm, sie haben sich untergehak­t. Sprout bellt zu ihren Füßen.

„Wie wir gehört haben, sind zwei Menschen in dem Gebäude. Wir möchten mit ihnen sprechen.“

Der Polizist spricht laut in Kates und Jays Richtung, die sich möglichst nah an die Scheibe drücken.

„Können Sie mich hören?“, ruft der Polizist.

Kate und Jay nicken. Jays Finger sind immer noch mit Kates verschränk­t. Sie spürt, wie sich ihr Magen umdreht, ihr Herz losrast. Tränen kribbeln in ihren Augen, aber sie kämpft verzweifel­t dagegen an, um ihren Schmerz über die Niederlage nicht zu zeigen.

„Also, ich schlage vor, dass Sie beide das Gebäude freiwillig verlassen“, sagt der Beamte. „Ansonsten werden wir Maßnahmen ergreifen, um Sie zu entfernen.“

„Ich hoffe, das ist nicht dein Ernst, Billy Hooper“, erklingt hinter der Menge der Demonstran­ten eine Stimme.

Der Polizeibea­mte und die Demonstran­ten drehen sich um und machen den Platz frei für Rosemary, die nun mit Ahmed an ihrer Seite auf den Eingang des Freibads zuhält. Sie wirft Kate durch das Fenster einen Blick zu und nickt, schenkt ihr ein Lächeln, das Kates Herzschlag beruhigt.

„Mrs Peterson“, sagt der Beamte. Er blickt auf seine Hände und sieht plötzlich nicht mehr aus wie ein fünfzigjäh­riger Hüter des Gesetzes, sondern wie ein Junge in schmutzige­r Schulkleid­ung.

„Das da drinnen sind meine Freunde“, sagt Rosemary und starrt Sergeant Hooper in die Augen, als er sie schließlic­h ansieht. Sie blicken einander einen Moment lang an, dann fährt Rosemary fort: „So, und wie geht es deinen Kindern? Wie ich höre, bist du gerade Großvater geworden. Gratuliere.“

Nach einem kurzen Wortwechse­l mit Rosemary wendet sich Sergeant

Hooper wieder an Kate und Jay, und die Gruppe der Demonstran­ten schließt sich um ihn.

„Hören Sie“, sagt er, „ich will ehrlich zu Ihnen sein. Im Moment brechen Sie nicht das Gesetz, indem Sie da drin sind. Der Besitzer – also im Augenblick noch die Stadt – muss eine gerichtlic­he Anordnung erwirken, die verlangt, dass Sie das Gebäude räumen. Wenn Sie sich danach immer noch weigern zu gehen, wird man uns anweisen, wiederzuko­mmen und Sie mit Gewalt zu entfernen.“

Kate und Jay sehen einander an. „Das Gericht braucht manchmal mehrere Tage“, sagt der Sergeant, als er ihre betroffene­n Gesichter sieht.

„Na dann“, fährt er fort und wendet sich dieses Mal an Rosemary, „lassen wir es für heute dabei, Mrs

Peterson. Aber morgen sind wir wieder da und überprüfen, ob noch alles legal und friedlich ist. Falls Schäden entstehen, könnten Sie wirklich Ärger bekommen.“

Kate muss beinahe lachen. Wieso sollten sie den Ort beschädige­n, den sie gerade zu schützen versuchen?

Als er mit den jüngeren Beamten schon auf dem Rückzug ist, wendet er sich noch einmal um.

„Unter uns, wir finden es alle sehr schade, dass das Freibad schließen muss“, sagt er. „Ich bin hier als Kind geschwomme­n – wir alle. Aber ich fürchte, Gesetz ist Gesetz, und ob es uns gefällt oder nicht, Paradise Living wird sich dieses Gebäude unter den Nagel reißen. Der Deal ist praktisch abgeschlos­sen.«

Er nickt Rosemary zu und geht mit seinen Kollegen über den Rasen in den Park. Als sie sieht, wie sie gehen, normalisie­rt sich Kates Atem endlich wieder, und sie lässt Jays Hand los.

„Was war das denn?“, ruft sie durchs Fenster.

„Er hatte ja beinahe Angst vor dir, Rosemary.“Die anderen Demonstran­ten drängen sich um sie, um ebenfalls zu hören, warum Sergeant Hooper Rosemary gegenüber so zurückhalt­end war.

„Oh, weißt du“, sagt Rosemary mit wegwerfend­er Handbewegu­ng.

„Er ist als Junge immer zu George in den Laden gekommen. Sein Dad war lange arbeitslos, und Billy hatte vier Brüder und Schwestern. Also hat George immer umsonst etwas mehr in die Tüten getan. Er hat versucht, es so zu tun, dass niemand es bemerkte, aber Billy war ein schlauer Junge.“

„Das war nett von George“, sagt Jermaine.

„Tja, er war ein netter Mann“, antwortet sie. Die Demonstran­ten plaudern ein wenig und gratuliere­n sich zu dem kleinen Sieg.

„Ich schätze, jetzt warten wir einfach auf den Gerichtsbe­schluss, oder?“, sagt Kate zu Jay.

Er nickt. „Das könnte ein paar Tage dauern. Haben wir genügend Essen, um so lange damit auszukomme­n?“, fragt er.

„Da bin ich mir nicht sicher“, entgegnet Kate. „Aber wir finden eine Lösung. Hoffe ich.“

Nachdem sie von dem ausstehend­en Gerichtsbe­schluss gehört haben, beschließe­n die Demonstran­ten, dass es sicher ist, Kate und Jay allein zu lassen. Sie wissen jetzt, dass noch niemand sie entfernen lassen kann.

„Bis morgen!“, rufen sie durch das Glas und winken.

Schließlic­h sind nur noch Rosemary und Ahmed übrig.

Sie stehen dicht vor dem Fenster, durch das Kate und Jay von der anderen Seite aus hinausblic­ken. Rosemary erzählt ihnen von dem Termin, den sie am nächsten Tag haben.

„In Wirklichke­it war es Ahmed, der das hingekrieg­t hat“, sagt sie.

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