„Ich wog nur noch 40 Kilo“
Fußballerin Rose Settanni hat sich nach ihrer Krebserkrankung zurückgekämpft – auch dank ihrer Mannschaft
Rose Settanni ist eine starke Frau. Die Führungsspielerin des vielfachen Titelgewinners Jeunesse Junglinster und ehemalige Nationalmannschaftskapitänin hat den Luxemburger Frauenfußball über zwei Jahrzehnte mitgeprägt. Dass sie immer noch am Ball ist, grenzt an ein Wunder. Denn die heute 38-Jährige hat eine schwere Krebserkrankung durchgemacht. Die Unterstützung ihrer Mannschaft half ihr dabei zu überleben.
Rose Settanni, der Luxemburger Fußball pausiert, die Corona-Pandemie hat unseren Alltag im Griff. Wie geht es Ihnen am Ende dieses schwierigen Jahres?
Wir müssen mit einem Virus leben, das soziale Distanz erfordert. Aber eine Fußballmannschaft braucht den Zusammenhalt. Wir müssen das Virus ernstnehmen. Da es schon viele Todesopfer gefordert hat, muss der Sport in den Hintergrund treten. Die Gesundheit der Menschen ist wichtiger.
Als Krebspatientin gelten Sie als gefährdete Person. Wie groß ist Ihre Angst vor einer Ansteckung?
Im Frühjahr, als sich das Virus erstmals bei uns ausbreitete, schrieb mich mein Arzt sofort krank. Ich hatte nicht mehr Angst vor Ansteckung als andere Leute, aber ich wusste nicht, wie ich als vulnerable Person eine mögliche Covid-Erkrankung verkraften würde. Inzwischen bin ich wieder an meinem Arbeitsplatz, wo alle Maßnahmen gut umgesetzt wurden. Ich arbeite im sozialen Bereich mit Menschen, die Gesundheitsprobleme haben und im Rahmen eines Reclassements in den Beruf zurückkehren. Es ist
Schicksal, dass ich nach meiner Krebserkrankung auch im Reclassement bin. Ich habe gelernt, mit dem Risiko umzugehen. Mein Immunsystem ist wieder stärker geworden, trotzdem kann das Virus für mich sehr gefährlich sein.
Bei Ihnen war im Februar 2017 Blutkrebs diagnostiziert worden. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich war im Dezember 2016 beim Blutspenden. Es hieß, etwas sei komisch und ich solle mich vorsichtshalber untersuchen lassen. Zunächst wurde Brustkrebs vermutet, was sich nicht bestätigte. In jenem Winter gab es eine Grippewelle, mich erwischte es auch. Antibiotika wirkten nur kurz, ich wurde immer schwächer. So machte der Arzt weitere Tests. Das war an einem Freitag. Am Montag wurde eine akute
Leukämie diagnostiziert. Ich musste sofort ins Krankenhaus. Alles musste extrem schnell gehen. Ich fühlte mich wegen der vielen Untersuchungen in kurzer Zeit wie im Schlachthaus, ich verstand die Hektik nicht. Aber die Ärzte retteten damit mein Leben. Ich kam in ein Isolierzimmer und erhielt sofort die erste Chemotherapie. Ich konnte mit der Diagnose zunächst überhaupt nicht umgehen. Denn ein guter Freund war an Leukämie gestorben, als wir 13 waren.
Wie ging es weiter?
Ich war bis Juni in Luxemburg in der Klinik und hatte vier Mal Chemotherapie, bis ein Stammzellenspender gefunden war. Zum Glück war es einer meiner vier Brüder. Für die Transplantation kam ich in die Universitätsklinik in Namur in Belgien. Mit Chemotherapie und Bestrahlungen wurde mein Immunsystem ausgeschaltet. Ich war dann vollkommen isoliert, in einem kleinen Zimmer, umgeben von Plastik. Leider gab es viele Komplikationen, weil mein Körper Abstoßungsreaktionen zeigte. Herz und Lunge versagten. Normalerweise dauert so eine Isolation drei, vier Wochen. Bei mir waren es drei Monate, bis der Körper die transplantierten Zellen mithilfe vieler Medikamente endlich akzeptierte. Ich wog nur noch 40 Kilo, vor der Krankheit waren es 56 gewesen. Mir ging es auch psychisch so schlecht, dass man mich im August aus der Isolation holte. Das war riskant, aber es ging bergauf. Ich musste Muskulatur aufbauen und gehen lernen. Ich brauchte einen Rollator.
Wann kamen Sie nach Hause?
Im September 2017, aber ich musste zunächst alle paar Tage nach Namur zu weiteren Analysen. Problematisch waren auch die Folgeschäden der Bestrahlungen. Ich musste beispielsweise an den Augen operiert werden.
Ihre Clubkolleginnen versuchten, Ihnen die Spiele von Junglinster via Facetime ins Krankenzimmer zu übertragen. Hatten Sie damals die Kraft, sich für Fußball zu interessieren?
Man sieht über Facetime nicht alles. Es hing auch immer von der Medikamentenmenge ab, ob ich viel mitbekam. Trotzdem war ich froh, dass ich irgendwie ein bisschen Anteil nehmen konnte.
Hat Ihnen der Fußball geholfen, nicht aufzugeben?
Der Fußball und meine Mannschaft haben viel dazu beigetragen, dass ich das Ganze überhaupt geschafft habe. Ich hatte den Willen,
irgendwann zurückzukehren. Die Mannschaft hat so viel für mich getan. Die Mitspielerinnen schrieben mir immer, sie sammelten Spenden und organisierten ein Benefizturnier. Deshalb habe ich gekämpft. Ich wollte ihnen etwas zurückgeben. Auch die Leidenschaft, die ich immer für diesen Sport hatte, half mir. Die Ärzte rieten mir, mich damit zu befassen, mit dem Fußball aufzuhören. Ich habe trotzdem nicht aufgegeben. Ich ging zum Training der Mannschaft. Anfangs war ich dort nur auf dem Fahrrad-Ergometer, doch es gab mir das Gefühl dazuzugehören.
Bis zum Liga-Comeback im November 2019 dauerte es insgesamt fast drei Jahre. Das ist eine lange Zeit …
Ein Unfall im Sommerurlaub in Süditalien warf mich erneut zurück. Ich hatte über Monate Muskulatur aufgebaut und mich wieder fit gefühlt. Doch dann riss ich mir am Metallständer eines Motorrollers die Wade auf. Sehnen und Bänder waren verletzt, der Muskel zum Glück nicht. Ich wurde notoperiert.
Was treibt Sie an, auch mit 38 Jahren weiter am Ball zu bleiben?
Ich spiele seit meinem achten Lebensjahr Fußball. Es geht mir nicht nur um Sport, denn dann könnte ich eine andere Sportart betreiben. Fußball ist Teil meines Lebens. Ich wollte nicht, dass ihn mir die Krankheit wegnimmt. Ich weiß, ich bin nicht mehr dieselbe wie vor der Krankheit. Aber ich kann auf dem Platz noch mithalten.
Junglinster ist in der aktuellen Saison überraschend stark. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sie überhaupt zu Ende gespielt werden kann?
Dass zwischen zwei Pausen im November ein Spieltag war, war für uns nicht gut. Wir hatten kein kontinuierliches Training, vier Spielerinnen waren Corona-positiv. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft das Virus in den Griff bekommen, hoffentlich im Februar wieder richtig starten und die Saison dann durchziehen können.
Der Frauenfußball steht im Schatten des Männersports. In den vergangenen Jahren gab es Fortschritte. Kann Corona dafür sorgen, dass die Frauen wieder zurückgeworfen werden?
Vermutlich ja. Man sah es auch daran, dass anfangs nur von der BGL Ligue die Rede war, die weiterspielen dürfe, und nicht von der ersten Liga der Frauen. Die Pandemie wirft jede Sportart zurück. Wenn wieder alles aufgebaut wird, werden die Männer wahrscheinlich erneut Priorität haben. Grundsätzlich hat sich der Luxemburger Frauenfußball weiterentwickelt, aber es gibt Nachholbedarf, zum Beispiel hinsichtlich der Anerkennung. Auch im Verband FLF sind einige noch der Ansicht, dass Fußball ein Männersport ist. Da muss ein Umdenken kommen.
Ich fühlte mich wegen der vielen Untersuchungen in kurzer Zeit wie im Schlachthaus, ich verstand die Hektik nicht.