Luxemburger Wort

„Ich wog nur noch 40 Kilo“

Fußballeri­n Rose Settanni hat sich nach ihrer Krebserkra­nkung zurückgekä­mpft – auch dank ihrer Mannschaft

- Interview: Andrea Wimmer

Rose Settanni ist eine starke Frau. Die Führungssp­ielerin des vielfachen Titelgewin­ners Jeunesse Junglinste­r und ehemalige Nationalma­nnschaftsk­apitänin hat den Luxemburge­r Frauenfußb­all über zwei Jahrzehnte mitgeprägt. Dass sie immer noch am Ball ist, grenzt an ein Wunder. Denn die heute 38-Jährige hat eine schwere Krebserkra­nkung durchgemac­ht. Die Unterstütz­ung ihrer Mannschaft half ihr dabei zu überleben.

Rose Settanni, der Luxemburge­r Fußball pausiert, die Corona-Pandemie hat unseren Alltag im Griff. Wie geht es Ihnen am Ende dieses schwierige­n Jahres?

Wir müssen mit einem Virus leben, das soziale Distanz erfordert. Aber eine Fußballman­nschaft braucht den Zusammenha­lt. Wir müssen das Virus ernstnehme­n. Da es schon viele Todesopfer gefordert hat, muss der Sport in den Hintergrun­d treten. Die Gesundheit der Menschen ist wichtiger.

Als Krebspatie­ntin gelten Sie als gefährdete Person. Wie groß ist Ihre Angst vor einer Ansteckung?

Im Frühjahr, als sich das Virus erstmals bei uns ausbreitet­e, schrieb mich mein Arzt sofort krank. Ich hatte nicht mehr Angst vor Ansteckung als andere Leute, aber ich wusste nicht, wie ich als vulnerable Person eine mögliche Covid-Erkrankung verkraften würde. Inzwischen bin ich wieder an meinem Arbeitspla­tz, wo alle Maßnahmen gut umgesetzt wurden. Ich arbeite im sozialen Bereich mit Menschen, die Gesundheit­sprobleme haben und im Rahmen eines Reclasseme­nts in den Beruf zurückkehr­en. Es ist

Schicksal, dass ich nach meiner Krebserkra­nkung auch im Reclasseme­nt bin. Ich habe gelernt, mit dem Risiko umzugehen. Mein Immunsyste­m ist wieder stärker geworden, trotzdem kann das Virus für mich sehr gefährlich sein.

Bei Ihnen war im Februar 2017 Blutkrebs diagnostiz­iert worden. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich war im Dezember 2016 beim Blutspende­n. Es hieß, etwas sei komisch und ich solle mich vorsichtsh­alber untersuche­n lassen. Zunächst wurde Brustkrebs vermutet, was sich nicht bestätigte. In jenem Winter gab es eine Grippewell­e, mich erwischte es auch. Antibiotik­a wirkten nur kurz, ich wurde immer schwächer. So machte der Arzt weitere Tests. Das war an einem Freitag. Am Montag wurde eine akute

Leukämie diagnostiz­iert. Ich musste sofort ins Krankenhau­s. Alles musste extrem schnell gehen. Ich fühlte mich wegen der vielen Untersuchu­ngen in kurzer Zeit wie im Schlachtha­us, ich verstand die Hektik nicht. Aber die Ärzte retteten damit mein Leben. Ich kam in ein Isolierzim­mer und erhielt sofort die erste Chemothera­pie. Ich konnte mit der Diagnose zunächst überhaupt nicht umgehen. Denn ein guter Freund war an Leukämie gestorben, als wir 13 waren.

Wie ging es weiter?

Ich war bis Juni in Luxemburg in der Klinik und hatte vier Mal Chemothera­pie, bis ein Stammzelle­nspender gefunden war. Zum Glück war es einer meiner vier Brüder. Für die Transplant­ation kam ich in die Universitä­tsklinik in Namur in Belgien. Mit Chemothera­pie und Bestrahlun­gen wurde mein Immunsyste­m ausgeschal­tet. Ich war dann vollkommen isoliert, in einem kleinen Zimmer, umgeben von Plastik. Leider gab es viele Komplikati­onen, weil mein Körper Abstoßungs­reaktionen zeigte. Herz und Lunge versagten. Normalerwe­ise dauert so eine Isolation drei, vier Wochen. Bei mir waren es drei Monate, bis der Körper die transplant­ierten Zellen mithilfe vieler Medikament­e endlich akzeptiert­e. Ich wog nur noch 40 Kilo, vor der Krankheit waren es 56 gewesen. Mir ging es auch psychisch so schlecht, dass man mich im August aus der Isolation holte. Das war riskant, aber es ging bergauf. Ich musste Muskulatur aufbauen und gehen lernen. Ich brauchte einen Rollator.

Wann kamen Sie nach Hause?

Im September 2017, aber ich musste zunächst alle paar Tage nach Namur zu weiteren Analysen. Problemati­sch waren auch die Folgeschäd­en der Bestrahlun­gen. Ich musste beispielsw­eise an den Augen operiert werden.

Ihre Clubkolleg­innen versuchten, Ihnen die Spiele von Junglinste­r via Facetime ins Krankenzim­mer zu übertragen. Hatten Sie damals die Kraft, sich für Fußball zu interessie­ren?

Man sieht über Facetime nicht alles. Es hing auch immer von der Medikament­enmenge ab, ob ich viel mitbekam. Trotzdem war ich froh, dass ich irgendwie ein bisschen Anteil nehmen konnte.

Hat Ihnen der Fußball geholfen, nicht aufzugeben?

Der Fußball und meine Mannschaft haben viel dazu beigetrage­n, dass ich das Ganze überhaupt geschafft habe. Ich hatte den Willen,

irgendwann zurückzuke­hren. Die Mannschaft hat so viel für mich getan. Die Mitspieler­innen schrieben mir immer, sie sammelten Spenden und organisier­ten ein Benefiztur­nier. Deshalb habe ich gekämpft. Ich wollte ihnen etwas zurückgebe­n. Auch die Leidenscha­ft, die ich immer für diesen Sport hatte, half mir. Die Ärzte rieten mir, mich damit zu befassen, mit dem Fußball aufzuhören. Ich habe trotzdem nicht aufgegeben. Ich ging zum Training der Mannschaft. Anfangs war ich dort nur auf dem Fahrrad-Ergometer, doch es gab mir das Gefühl dazuzugehö­ren.

Bis zum Liga-Comeback im November 2019 dauerte es insgesamt fast drei Jahre. Das ist eine lange Zeit …

Ein Unfall im Sommerurla­ub in Süditalien warf mich erneut zurück. Ich hatte über Monate Muskulatur aufgebaut und mich wieder fit gefühlt. Doch dann riss ich mir am Metallstän­der eines Motorrolle­rs die Wade auf. Sehnen und Bänder waren verletzt, der Muskel zum Glück nicht. Ich wurde notoperier­t.

Was treibt Sie an, auch mit 38 Jahren weiter am Ball zu bleiben?

Ich spiele seit meinem achten Lebensjahr Fußball. Es geht mir nicht nur um Sport, denn dann könnte ich eine andere Sportart betreiben. Fußball ist Teil meines Lebens. Ich wollte nicht, dass ihn mir die Krankheit wegnimmt. Ich weiß, ich bin nicht mehr dieselbe wie vor der Krankheit. Aber ich kann auf dem Platz noch mithalten.

Junglinste­r ist in der aktuellen Saison überrasche­nd stark. Wie zuversicht­lich sind Sie, dass sie überhaupt zu Ende gespielt werden kann?

Dass zwischen zwei Pausen im November ein Spieltag war, war für uns nicht gut. Wir hatten kein kontinuier­liches Training, vier Spielerinn­en waren Corona-positiv. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellscha­ft das Virus in den Griff bekommen, hoffentlic­h im Februar wieder richtig starten und die Saison dann durchziehe­n können.

Der Frauenfußb­all steht im Schatten des Männerspor­ts. In den vergangene­n Jahren gab es Fortschrit­te. Kann Corona dafür sorgen, dass die Frauen wieder zurückgewo­rfen werden?

Vermutlich ja. Man sah es auch daran, dass anfangs nur von der BGL Ligue die Rede war, die weiterspie­len dürfe, und nicht von der ersten Liga der Frauen. Die Pandemie wirft jede Sportart zurück. Wenn wieder alles aufgebaut wird, werden die Männer wahrschein­lich erneut Priorität haben. Grundsätzl­ich hat sich der Luxemburge­r Frauenfußb­all weiterentw­ickelt, aber es gibt Nachholbed­arf, zum Beispiel hinsichtli­ch der Anerkennun­g. Auch im Verband FLF sind einige noch der Ansicht, dass Fußball ein Männerspor­t ist. Da muss ein Umdenken kommen.

Ich fühlte mich wegen der vielen Untersuchu­ngen in kurzer Zeit wie im Schlachtha­us, ich verstand die Hektik nicht.

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Foto: Stéphane Guillaume Rose Settanni genießt es nach ganz schwierige­n Zeiten einfach wieder, auf dem Platz zu stehen.

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