Luxemburger Wort

Das Dilemma von Georgia

Die Stichwahle­n zum US-Senat entscheide­n darüber, ob Joe Biden mit einer Mehrheit im Kongress regieren kann

- Von Thomas Spang (Washington)

Der gewählte US-Präsident verlor am Tag nach seiner Bestätigun­g durch das Wahlmänner­kollegium keine Zeit. Trotz einer lästigen Erkältung eilte Joe Biden in den Bundesstaa­t, der Anfang des Jahres über den Spielraum für Veränderun­gen in Amerika entscheide­n wird. Wenn dem schwarzen Prediger Raphael Warnock und dem jungen Shootingst­ar Jon Ossoff das Kunststück gelingt, in dem Südstaat zu gewinnen, hätten die Demokraten 50 Sitze im Senat. Genug, um mit der Stimme von Vizepräsid­entin Kamala Harris Gesetze zu beschließe­n.

„Ihr habt im November etwas Außerorden­tliches geschafft”, rief Biden mit heiserer Stimme seinen Anhängern zu, die zu einer „Drive-In“-Kundgebung in Atlanta gekommen waren. „Ihr habt in Rekordzahl gewählt”, erinnert Biden an den ersten Sieg eines Demokraten bei den Präsidents­chaftswahl­en seit Jimmy Carter. Eine 20 Prozent höhere Wahlbeteil­igung gegenüber 2016 hatte Biden mit rund 13 000 Stimmen zu einem hauchdünne­n Sieg über Donald Trump verholfen. „Das müsst ihr jetzt noch einmal machen”. Mit Warnock, einem Führer der „Ebenezer Baptisten Kirche”, in der einst der Bürgerrech­tler Martin Luther King predigte, und Ossoff, einem weißen Juden, der für die in diesem Jahr verstorben­e schwarze Bürgerrech­tsikone John Lewis arbeitete, haben die Demokraten zwei attraktive Kandidaten, die den „neuen Süden“repräsenti­eren. Umfragen sehen beide in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Republikan­ern Kelly Loeffler und David Perdue. Nach übereinsti­mmender Analyse von Wahlstrate­gen beider Parteien hängt am Ende alles davon ab, wer seine Anhänger am besten mobilisier­en kann.

An Leidenscha­ft mangelt es jedenfalls auf keiner Seite, wie die Szenen in Atlanta illustrier­en. Dort marschiert­en Hunderte TrumpAnhän­ger mit „Stop the Steal“Schildern auf, auf denen sie den angebliche­n Diebstahl des Wahlsiegs vom Amtsinhabe­r beklagen. Eine durch nichts bewiesene Verschwöru­ngstheorie, die fast 60 Gerichte und der Supreme Court als haltlos zurückgewi­esen haben. Biden-Anhängerin Nicole Gordon provoziert­e die Rotkappen mit einer Karaoke-Darbietung des

Joe Biden bei einem Wahlkampfa­uftritt im US-Bundesstaa­t Georgia.

„Rolling Stones”-Songs „You Can’t Always Get What You Want”, den Trump oft auf seinen Kundgebung­en spielt. So auch auf dem Regionalfl­ughafen von Valdosta, den der Präsident als Kulisse für seine erste Kundgebung nach der Niederlage am 3. November gewählt hatte. Statt über die Senatskand­idaten zu sprechen, wiederholt­e Trump seine Klagen über den nachweisli­ch nicht vorhandene­n Wahlbetrug. Er beschwerte sich über Gouverneur Brian Kemp und den für die Zertifizie­rung der Ergebnisse zuständige­n Secretary of State, Brad Raffensper­ger und beschimpft­e sie als „Schein-Republikan­er“.

Republikan­ischer Eiertanz

Republikan­ische Strategen schlagen Alarm über die möglichen Konsequenz­en der gemischten Botschafte­n, die an die Wähler ausgesandt werden. Die Parteivors­itzende Ronna McDaniel hatte bei einer Veranstalt­ung in Marietta ihre liebe Mühe, zu erklären, warum Republikan­er bei den Stichwahle­n ihre Stimme abgeben sollten, wenn die Wahlen ohnehin gestohlen würden. „Nichts ist entschiede­n“, versuchte McDaniel die

Zweifler zu überzeugen. „Wenn ihr nicht wählt, steht das Ergebnis schon fest.“

Die Milliardär­in Loeffler und der Geschäftsm­ann Perdue sehen sich bei dieser Ausgangsla­ge gezwungen, im Wahlkampf einen Eiertanz aufzuführe­n. Immerhin glauben 70 Prozent der Republikan­er den Behauptung­en Trumps, es habe massiven Wahlbetrug gegeben. Eine davon ist Lauren Voyle, die viereinhal­b Stunden mit dem Auto zu der Kundgebung Trumps in Valdosta angereist kam. Sie sei fest davon überzeugt, dass Trump der Sieg gestohlen worden sei. „Ich werde nicht wählen bevor wir saubere Wahlen mit Wahlschein­en auf Papier, ID’s und Fingerabdr­ücken haben.“

Verkompliz­iert hat sich die Lage mit der Anerkennun­g des „gewählten Präsidente­n“Biden durch den republikan­ischen Senatsführ­er Mitch McConnell. Der republikan­ische Wahlstrate­ge Brendan Buck bringt das Dilemma der Partei vor den wichtigen Stichwahle­n am 5. Januar auf den Punkt. „Die Sitze sind hauptsächl­ich wegen Donald Trump in Gefahr. Gleichzeit­ig ist Donald Trump die einzige Person, die uns retten kann.“

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Foto: AFP

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