Lyrische Busreise
Ulrike Bail hat den nationalen Literaturpreis für ihren Gedichtband „statt einer ankunft“gewonnen
„Ich mag Busfahren“, sagt Ulrike Bail, die den nationalen Literaturwettbewerb gewonnen hat, der dieses Jahr der Lyrik vorbehalten war. Jedes Gedicht in dem prämierten Band „statt einer ankunft“thematisiert eine Bushaltestelle der Stadt Luxemburg. Die Dichterin hat sie in zwei fiktiven Buslinien aneinandergereiht; einige davon sind inzwischen auch zu Tramhaltestellen geworden.
Diese einzelnen Gedichte drücken den sehr persönlichen Blick der Dichterin aus, ihre Beobachtungen und Gefühle, nehmen aber auch Bezug zu den Haltestellen und deren Namen, die manchmal, so die Lyrikerin, sehr überraschend wirken, zumal wenn sie im Bus über die Lautsprecheranlage auf den Nutzer des öffentlichen Transportes niederprasseln. „Bei der Ansage fällt das Wort Avenue oder Boulevard weg, dann erklingt zum Beispiel nur noch ,Déportation’, und das knallt schon irgendwie im Ohr.“Diese Erfahrung hat Ulrike Beil manchmal sehr nachdenklich gestimmt, was sich dann auch in ihren Gedichten wiederfindet. Andere Namen von Haltestellen, etwa Verlorenkost, hätten sie hingegen neugierig gemacht, woraufhin sie dazu recherchiert habe: Verlorenkost, ein Ortsname, aber auch eine Geschichte.
Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“sagt Ulrike Bail, dass diese Auszeichnung für sie einiges bedeute, vor allem eine Wertschätzung ihrer Arbeit. „Mit dem Preis werde ich bestimmt bekannter, und die Leser werden vielleicht mehr auf meine Gedichte zurückgreifen.“
Ob sich der Mensch während des langen Lockdowns mehr als bisher der Lyrik geöffnet habe, wie öfter behauptet wird? Das kann Ulrike Bail weder bejahen noch verneinen. Ist es dann etwa nur ein Hirngespinst der Journalisten? „Nein, ich kann mir schon vorstellen“, sagt die Dichterin, „dass Menschen in schwierigen Situationen auf Lyrik zugehen und dass ein solches Bedürfnis auch bestehen kann.“
„Arrêt supprimé“Während des Lockdowns hat sie ein letztes Gedicht für den nun prämierten Band geschrieben – „Bergamo“. Dieses Gedicht erzählt von Menschen, die in der italienischen Stadt völlig alleingelassen gestorben sind – ohne, dass ihre Angehörigen und Verwandten sie auf ihrem letzten Weg hätten begleiten können. Das Gedicht ist Teil eines Kapitels mit dem Namen „Arrêt supprimé“. Eine Ansage, die man zuweilen auch im Bus hört,
Ulrike Bail schreibt jeden Tag Gedichtzeilen. Inspiriert wird sie dabei auch von ihrer Passion für den öffentlichen Personennahverkehr. In ihrem Zyklus „statt einer Ankunft“, der nun mit dem nationalen Literaturpreis ausgezeichnet wurde und im ersten Halbjahr 2021 beim Conte Verlag im saarländischen St. Ingbert erscheinen wird, hat sie den Busfahrplan der Stadt Luxemburg lyrisch verarbeitet. wenn die Haltestelle wegen Bauarbeiten nicht angefahren werden kann. So ergeht es auch dem Corona-Kranken auf dem Sterbebett.
Dieser Gedichtband trägt den Namen „statt einer ankunft“, und da fragt man sich: „Ist es so, dass man im Leben vielleicht nie richtig ankommen kann?“„Das ist ganz bestimmt ein Aspekt, den man aus diesen drei Worten herauslesen kann, es ist aber auch eine Zeile aus einem der Gedichte“, sagt Ulrike Bail. Der Bus dreht jedenfalls unermüdlich seine Runden und fährt seine vorgeschriebene Strecke ab – anfahren, anhalten, weiterfahren. Diess gibt den Anschein,
als komme der Bus nie richtig an. Aber die Lyrikerin lässt es offen: Dem Leser soll es vorbehalten sein, in dem Titel „statt einer ankunft“das zu erkennen, was er selbst fühlt und empfindet.
Es ist nicht immer einfach, sich auf ein Gedicht einzulassen, das gilt auch bei der Lyrik von Ulrike Bail. Die Dichterin schreibt kurze Zeilen, die aber sehr vielschichtig und vieldeutig sind. Das ergibt dann Texte, die man auch vom Zeilenende zurück zum Anfang des Gedichtes lesen kann. So wie die Strecke, die der Bus abfährt, bei der man ja nie weiß, wo der Anfang und wo das Ende ist. Diese lyrische Busfahrt ist also nicht nur eine
Dieser Preis ist eine Wertschätzung meiner dichterischen Arbeit. Lyrikerin Ulrike Bail
Den Blick auf das Alltägliche richten und dabei auch Dinge beobachten und Zusammenhänge erkennen, die anderen verschlossen bleiben. Lyrikerin Ulrike Bail
Reise durch Zeit und Ort, sondern auch eine Fahrt durch die Sprache. Worte werden zu Anhaltspunkten und Meilensteinen.
Auf die Frage, was einen Dichter auszeichne, betont Ulrike Bail, er müsse mit der Sprache umgehen können, etwas Begabung haben, den Blick auf das Alltägliche richten und dabei auch Dinge beobachten und Zusammenhänge erkennen können, die anderen verschlossen blieben. „Dichtung ist nicht da, um die Welt zu verbessern, das wäre zu viel verlangt, das würde ich auch nicht schaffen“, fügt Ulrike Bail hinzu; man könne aber hoffen, dass Lyrik Menschen zu Besserem bewegen könne.
Ehrung ohne Präsenspublikum
Die offizielle Ehrung der Preisträgerin konnte wegen der Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus nicht wie gewohnt in Anwesenheit des Publikums stattfinden. Sie wurde deshalb am Dienstag über das Internet ausgestrahlt – nicht live, sondern aufgezeichnet. Geehrt wurden dabei in Anwesenheit von Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) auch Serge Basso De March, der mit einem zweiten Preis für seinen Gedichtband „Petite cosmogonie des poèmes avec jardin“ausgezeichnet wurde, sowie Paul Mathieu, der einen dritten Preis für seine „Poésie à bord“bekommen hat. Tom Weber konnte sich in der Jugendkategorie (15 bis 25 Jahren) den diesjährigen Literaturpreis für „fluides herz“sichern.
Lambert Schlechter stand der Jury vor, der zudem Claude Bommertz, Sarah Lippert, Tonia Raus und Raoul Walisch angehörten. In ihrer Begründung lobten sie einstimmig die gelungene und originelle lyrische Herangehensweise der Autorin Ulrike Bail.