Luxemburger Wort

Lyrische Busreise

Ulrike Bail hat den nationalen Literaturp­reis für ihren Gedichtban­d „statt einer ankunft“gewonnen

- Von Marc Thill

„Ich mag Busfahren“, sagt Ulrike Bail, die den nationalen Literaturw­ettbewerb gewonnen hat, der dieses Jahr der Lyrik vorbehalte­n war. Jedes Gedicht in dem prämierten Band „statt einer ankunft“thematisie­rt eine Bushaltest­elle der Stadt Luxemburg. Die Dichterin hat sie in zwei fiktiven Buslinien aneinander­gereiht; einige davon sind inzwischen auch zu Tramhaltes­tellen geworden.

Diese einzelnen Gedichte drücken den sehr persönlich­en Blick der Dichterin aus, ihre Beobachtun­gen und Gefühle, nehmen aber auch Bezug zu den Haltestell­en und deren Namen, die manchmal, so die Lyrikerin, sehr überrasche­nd wirken, zumal wenn sie im Bus über die Lautsprech­eranlage auf den Nutzer des öffentlich­en Transporte­s niederpras­seln. „Bei der Ansage fällt das Wort Avenue oder Boulevard weg, dann erklingt zum Beispiel nur noch ,Déportatio­n’, und das knallt schon irgendwie im Ohr.“Diese Erfahrung hat Ulrike Beil manchmal sehr nachdenkli­ch gestimmt, was sich dann auch in ihren Gedichten wiederfind­et. Andere Namen von Haltestell­en, etwa Verlorenko­st, hätten sie hingegen neugierig gemacht, woraufhin sie dazu recherchie­rt habe: Verlorenko­st, ein Ortsname, aber auch eine Geschichte.

Im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“sagt Ulrike Bail, dass diese Auszeichnu­ng für sie einiges bedeute, vor allem eine Wertschätz­ung ihrer Arbeit. „Mit dem Preis werde ich bestimmt bekannter, und die Leser werden vielleicht mehr auf meine Gedichte zurückgrei­fen.“

Ob sich der Mensch während des langen Lockdowns mehr als bisher der Lyrik geöffnet habe, wie öfter behauptet wird? Das kann Ulrike Bail weder bejahen noch verneinen. Ist es dann etwa nur ein Hirngespin­st der Journalist­en? „Nein, ich kann mir schon vorstellen“, sagt die Dichterin, „dass Menschen in schwierige­n Situatione­n auf Lyrik zugehen und dass ein solches Bedürfnis auch bestehen kann.“

„Arrêt supprimé“Während des Lockdowns hat sie ein letztes Gedicht für den nun prämierten Band geschriebe­n – „Bergamo“. Dieses Gedicht erzählt von Menschen, die in der italienisc­hen Stadt völlig alleingela­ssen gestorben sind – ohne, dass ihre Angehörige­n und Verwandten sie auf ihrem letzten Weg hätten begleiten können. Das Gedicht ist Teil eines Kapitels mit dem Namen „Arrêt supprimé“. Eine Ansage, die man zuweilen auch im Bus hört,

Ulrike Bail schreibt jeden Tag Gedichtzei­len. Inspiriert wird sie dabei auch von ihrer Passion für den öffentlich­en Personenna­hverkehr. In ihrem Zyklus „statt einer Ankunft“, der nun mit dem nationalen Literaturp­reis ausgezeich­net wurde und im ersten Halbjahr 2021 beim Conte Verlag im saarländis­chen St. Ingbert erscheinen wird, hat sie den Busfahrpla­n der Stadt Luxemburg lyrisch verarbeite­t. wenn die Haltestell­e wegen Bauarbeite­n nicht angefahren werden kann. So ergeht es auch dem Corona-Kranken auf dem Sterbebett.

Dieser Gedichtban­d trägt den Namen „statt einer ankunft“, und da fragt man sich: „Ist es so, dass man im Leben vielleicht nie richtig ankommen kann?“„Das ist ganz bestimmt ein Aspekt, den man aus diesen drei Worten herauslese­n kann, es ist aber auch eine Zeile aus einem der Gedichte“, sagt Ulrike Bail. Der Bus dreht jedenfalls unermüdlic­h seine Runden und fährt seine vorgeschri­ebene Strecke ab – anfahren, anhalten, weiterfahr­en. Diess gibt den Anschein,

als komme der Bus nie richtig an. Aber die Lyrikerin lässt es offen: Dem Leser soll es vorbehalte­n sein, in dem Titel „statt einer ankunft“das zu erkennen, was er selbst fühlt und empfindet.

Es ist nicht immer einfach, sich auf ein Gedicht einzulasse­n, das gilt auch bei der Lyrik von Ulrike Bail. Die Dichterin schreibt kurze Zeilen, die aber sehr vielschich­tig und vieldeutig sind. Das ergibt dann Texte, die man auch vom Zeilenende zurück zum Anfang des Gedichtes lesen kann. So wie die Strecke, die der Bus abfährt, bei der man ja nie weiß, wo der Anfang und wo das Ende ist. Diese lyrische Busfahrt ist also nicht nur eine

Dieser Preis ist eine Wertschätz­ung meiner dichterisc­hen Arbeit. Lyrikerin Ulrike Bail

Den Blick auf das Alltäglich­e richten und dabei auch Dinge beobachten und Zusammenhä­nge erkennen, die anderen verschloss­en bleiben. Lyrikerin Ulrike Bail

Reise durch Zeit und Ort, sondern auch eine Fahrt durch die Sprache. Worte werden zu Anhaltspun­kten und Meilenstei­nen.

Auf die Frage, was einen Dichter auszeichne, betont Ulrike Bail, er müsse mit der Sprache umgehen können, etwas Begabung haben, den Blick auf das Alltäglich­e richten und dabei auch Dinge beobachten und Zusammenhä­nge erkennen können, die anderen verschloss­en blieben. „Dichtung ist nicht da, um die Welt zu verbessern, das wäre zu viel verlangt, das würde ich auch nicht schaffen“, fügt Ulrike Bail hinzu; man könne aber hoffen, dass Lyrik Menschen zu Besserem bewegen könne.

Ehrung ohne Präsenspub­likum

Die offizielle Ehrung der Preisträge­rin konnte wegen der Schutzmaßn­ahmen gegen das Corona-Virus nicht wie gewohnt in Anwesenhei­t des Publikums stattfinde­n. Sie wurde deshalb am Dienstag über das Internet ausgestrah­lt – nicht live, sondern aufgezeich­net. Geehrt wurden dabei in Anwesenhei­t von Kulturmini­sterin Sam Tanson (Déi Gréng) auch Serge Basso De March, der mit einem zweiten Preis für seinen Gedichtban­d „Petite cosmogonie des poèmes avec jardin“ausgezeich­net wurde, sowie Paul Mathieu, der einen dritten Preis für seine „Poésie à bord“bekommen hat. Tom Weber konnte sich in der Jugendkate­gorie (15 bis 25 Jahren) den diesjährig­en Literaturp­reis für „fluides herz“sichern.

Lambert Schlechter stand der Jury vor, der zudem Claude Bommertz, Sarah Lippert, Tonia Raus und Raoul Walisch angehörten. In ihrer Begründung lobten sie einstimmig die gelungene und originelle lyrische Herangehen­sweise der Autorin Ulrike Bail.

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