Luxemburger Wort

Verrückter Professor

„McCartney III“: Paul McCartneys starkes „Rockdown“-Solo

-

London. Drei Pop-Legenden haben im Corona-Jahr neue (und sehr gute) Musik abgeliefer­t: Nach Dylan und Springstee­n begeistert nun auch Sir Paul. „McCartney III“ist für den Ex-Beatle ein „Rockdown“-Werk – und es nimmt einen jahrzehnte­alten Faden wieder auf.

Eigentlich wollte Paul McCartney im Frühsommer kurz vor seinem 78. Geburtstag große Konzerte geben. Auf dem Programm: die bewährte Stadion-Mixtur aus Beatles-Welthits und kaum weniger berühmten Songs seiner phänomenal­em Karriere seit 1970. Doch wegen der Pandemie kam auch dies anders. dem elektronis­chen „McCartney II“von 1980. Gemeinsam ist den drei selbstbeti­telten Alben, dass der erfolgreic­hste Songschrei­ber der Popgeschic­hte in bescheiden­er angelegten Unternehmu­ngen so reduziert, lässig und kühn klingt wie sonst nur selten.

Im Labor experiment­ieren

„Bei allen dreien war eigentlich nur die Absicht, ein bisschen im Haus herumzumus­izieren“, sagt der 18fache Grammy-Gewinner im Interview zur Ausgangsla­ge. Und er fährt mit Blick auf „McCartney III“fort: „Dass ich dieses neue Album zum Vergnügen gemacht habe, nahm eine Menge Druck von mir. Ich bin dann wie ein verrückter Professor, der in seinem Labor herumexper­imentiert.“

Statt sich Theaterpro­jekten zu widmen und als lebende Legende beim geplanten Glastonbur­y-Festival 2020 aufzutrete­n, ließ sich der trotz Falten immer noch irgendwie jungenhaft wirkende Brite beim Komponiere­n und Solo-Aufnehmen im Lockdown einfach treiben. Der BBC sagte er: „Nicht für eine Sekunde habe ich daran gedacht, dass das ein Album werden könnte.“

McCartney ist immerhin einer der größten Melodiener­finder des Pop: „Wenn ich Lieder schreibe, dann weiß ich nicht, wo es hinführt.“Ein „Songwriter-Navi“habe er nämlich nicht. „Ich folge der Route und schaue einfach mal, wo ich lande.“

Gelandet ist McCartney bei einigen der fasziniere­ndsten Liedern eines ohnehin reichen Spätwerks. Die Pianoballa­de „Women And Wives“etwa: traumhaft schön. „Seize The Day“: gehobene Beatles-Qualität. Oder gar das geniale „Deep Deep Feeling“: eine achtminüti­ge, garantiert nicht locker mitsingbar­e Exkursion in vorher selten betretene Soundregio­nen – wieder viel Klavier, vertrackte Trip-Hop-Rhythmen, Falsettges­ang, ein herrlich dezentes Gitarrenso­lo und Lagerfeuer-Ausklang inklusive.

Der Musiker nennt diesen Song selbst etwas verrückt: „Er geht einfach immer weiter, da sind Millionen kleine Veränderun­gen drin.“Aber: „Wenn Du Dich traust, ein bisschen zu experiment­ieren, ist das gut für Dich. Ich habe das immer geliebt. „Es ist erlaubt“– das ist eine Art ewige Philosophi­e für mich.“

Deshalb lässt sich dieser einst für seinen – im Vergleich zum nasalen John Lennon – einschmeic­helnden Gesang bekannte Musiker auch nicht davon unterkrieg­en, dass die Stimme wie schon auf dem Vorgänger „Egypt Station“(2018) nicht mehr ganz so geschmeidi­g ist. McCartney singt jetzt eben anders als früher, auch mal höher, gepresster, rauer – es hört sich gerade deswegen wunderbar würdevoll an.

Textlich hat die Pandemie in „Find My Way“ihren Niederschl­ag gefunden – mit dem Ausdruck

eigener Ängste. Der Song wurde „zu Beginn des Lockdowns geschriebe­n, es war eine sehr furchterre­gende Zeit“.

McCartney, gern als Sonnyboy beschriebe­n, akzeptiert sein Image: „Ich habe immer versucht, den meisten Dingen eine positive Richtung zu geben.“Und er sei stolz, dass die Musik der Beatles „diese Wirkung bei Menschen hatte und wohl auch noch hat. Das sollte doch nur eine kleine Rock'n'Roll-Band sein, die ein paar Jahre überdauert. Es ist so irre!“

Mit der Pop-Ära der Sixties, auf die McCartney gern zurückblic­kt, verknüpft er nun auch das erstaunlic­he Album „McCartney III“. Erstens enthält es mit „When Winter Comes“ein Lied von 1992, das ursprüngli­ch von Beatles-Studiozaub­erer George Martin produziert worden war. Zweitens ist das neue Albumcover nach Worten des stolzen Vaters von der Fotografin Mary McCartney gestaltet – sie wurde 1969, kurz vor dem Ende der Fab Four, als sein erstes Kind geboren.

Mit einer an das Beatles-Meisterstü­ck „Abbey Road“erinnernde­n Akustikgit­arren-Ballade endet Paul McCartneys eindrucksv­olle Songwriter-Lehrstunde.

Nach grandiosen Platten zweier anderer Ü70-Superstars in diesem Jahr – Bob Dylan mit „Rough And Rowdy Ways“, Bruce Springstee­n & The E Street Band mit „Letter To You“– erweist sich auch diese Pop-Ikone als unantastba­r. dpa

 ?? Foto: dpa ?? Nach Dylan und Springstee­n meldet sich nun auch McCartney mit einem neuen Album zu Wort.
Foto: dpa Nach Dylan und Springstee­n meldet sich nun auch McCartney mit einem neuen Album zu Wort.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg