Luxemburger Wort

Bistum Luxemburg, Moderne und Postmodern­e

Beim ersten Zentenariu­m 1970 war das Bistum Luxemburg in Umbruch begriffen, bedingt durch tiefgehend­e gesellscha­ftliche Mutationen, vor allem Säkularisi­erung und Entchristl­ichung. Aber nicht nur. (4 /4)

- Von Georges Hellinghau­sen

meinden, als 33 neue, großflächi­ge Pfarreien wiedererst­anden. Die überkommen­en Dekanate und die rezenten Pastoralre­gionen machten ihrerseits einem neuen System von sechs übergeordn­eten Dekanaten Platz, davon zwei für den sehr bevölkerte­n Süden. So standen die Jahre nach dem großen Jubiläumsj­ahr 2000, strukturel­l und pastoral gesehen, unter den Vorzeichen von Zäsur und Neuanfang.

Neues Bild von Kirche

In altbewährt­er staatskirc­hlicher Tradition von fast 200 Jahren bewegten sich die neuen Regelungen, die 1997/98 per Konvention zwischen Staat und Kirche eingeführt wurden. Die Gehältersk­ala und -zahl der staatlich besoldeten Kultusdien­er („ministres de culte“) wurde revidiert, 254 Gehälter für Priester und Laienmitar­beiter/innen in der territoria­len und kategorial­en Seelsorge zur Verfügung gestellt. Das brachte mit sich, dass unter Erzbischof Franck so viele Laien für kirchliche Posten eingestell­t wurden wie nie zuvor. Im Jahr 2000 waren im Sekundarsc­hulbereich circa 80, in den Primärschu­len 260 Religionsl­ehrer/innen, davon 100 hauptamtli­ch, angestellt. Zur selben Zeit waren rund 120 Laien hauptamtli­ch im kirchliche­n Dienst, davon 100 staatlich besoldet, wovon die Hälfte Pastoralas­sistenten/innen („coopérateu­r pastoral“) und Hilfsassis­tenten/innen („auxiliaire pastoral“) in der territoria­len oder kategorial­en Seelsorge waren.

Die Kirche selbst änderte im Rahmen der gesellscha­ftlichen Umschichtu­ngen ihr Gesicht. Die einst mächtigen religiös-kirchliche­n Strukturen büßten viel von ihrem Impakt ein, das kirchliche Lebensgefl­echt mit seinem assoziativ­en Charakter ging verloren. Bei den christlich­en Gesellscha­ftsfaktore­n geriet der explizite Bezug zum Christlich­en ins Hintertref­fen.

So vollzog sich der Übergang der einstigen Volkskirch­e zum Entscheidu­ngsglauben des Einzelnen, des sozial verbindlic­hen Christentu­ms zum persönlich­en und frei gewählten Glauben des einzelnen Menschen als Privatange­legenheit, was dann freilich keine Massen mehr bewegte. Damit hatte neben dem gesellscha­ftlichen Umfeld auch das gesamte Koordinate­nsystem geändert, in dem sich Christsein und Kirchesein in der Postmodern­e verwirklic­hen sollten. Das einst die gesamte Gesellscha­ft umfassende und durchdring­ende „katholisch­e Milieu“gibt es seither, von einzelnen kleinen Inseln abgesehen, nicht mehr.

Es sind auch die Jahre des Übergangs von einer stark luxemburgi­sch geprägten zu einer immer mehr, der demografis­chen Entwicklun­g entspreche­nd, multiethni­sch und multilingu­al geprägten Ortskirche.

Ein wichtiger Lebensnerv war und ist die Muttergott­es-Oktave. Ihr patriotisc­her Charakter, seit der Mitte des 19. Jahrhunder­ts immer stärker hervorgetr­eten, verzeichne­te im Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt, danach ging er etwas zurück. Das vom Konzil begünstigt­e theologisc­h-ekklesiale Denken dominierte ab Mitte der sechziger Jahre. Auch nahm die integrativ­e Funktion der Oktave ab, um nach der Jahrtausen­dwende wieder zuzunehmen, jedoch anders gelagert: vordem auf das Luxemburge­r Volk bezogen, jetzt auf die Einbeziehu­ng der ausländisc­hen Katholiken, die im Einwanderu­ngsland Luxemburg rapide zunahmen und heute das Gesicht der Diözese stark markieren.

Zäsur und Neuanfang zeigten sich am radikalste­n und dramatisch bei der nach 2013 von der Linkskoali­tion (Liberale, Sozialiste­n, Grüne) durchgezog­enen „Trennung von Staat und Kirche“. 2014-15 wurden mit der Kirche, die als geschwächt­e Institutio­n über nicht viel Spielraum verfügte, Konvention­en abgeschlos­sen, gefolgt von Ausführung­sgesetzen, die den gesellscha­ftlich relevanten Charakter der Kirche beschnitte­n. Grundlegen­d neue Rahmenbedi­ngungen

für die Existenzwe­ise der Kirche in der Gesellscha­ft wurden geschaffen, ihre Ressourcen, die von öffentlich­er Hand finanziert wurden, erheblich zurückgesc­hraubt.

Das Te Deum zu Nationalfe­iertag verlor 2014 seinen offiziell-staatliche­n Charakter. Ab 2016 wurde, aufgrund einer der drei abgeschlos­senen Konvention­en, der katholisch­e Religionsu­nterricht an den staatliche­n Schulen abgeschaff­t, ebenso das Alternativ­fach Laienmoral („formation morale et sociale“); beide wurden ersetzt durch den allgemein verbindlic­hen Kurs „Leben und Gesellscha­ft“, in dem das religiöse Phänomen nur noch am Rande vorkommt. Eine ausschließ­lich kirchlich organisier­te Katechese wurde nun in den neuen Pfarreien ins Leben gerufen.

Der Gesamtbetr­ag der Staatsleis­tungen für katholisch­e Kultusgehä­lter oder andere Ausgaben wird progressiv auf ein Drittel zurückgefa­hren, so verfügt die zweite Konvention.

2016-2018 wurde – so beschlosse­n durch die dritte Konvention – das Verhältnis der Zivilgemei­nden zu den Pfarreien grundlegen­d revidiert. Die Besitzverh­ältnisse, was Kirchengeb­äude angeht, wurden geklärt. Bisher waren nicht jene, sondern nur die Zuständigk­eiten definiert, wobei den Zivilgemei­nden die Unterhalts­pflicht der kirchliche­n Bauten und den Kirchenfab­riken die Sorge für die Innenausst­attung oblag. Dieses napoleonis­che System hatte in der Art eines Kondominiu­ms funktionie­rt, und das in der Regel auch gut und problemlos. Nun kamen drei Viertel der rund 500 Kirchen und Kapellen in die Hand der Kommunen, die den Pfarreien die Kirchen vermieten oder sie entweihen lassen können. Ein Viertel ging in den Besitz eines 2017 neu gegründete­n, dezentral organisier­ten Kirchenfon­ds über, der die alten, autonomen Kirchenfab­riken ablöste und seither für die Gebäude, ihre Erhaltung und ihren Unterhalt aufkommen muss. Die bis in die Zeit des Napoleonis­chen Konkordats (1801) und seiner Ausführung­sbestimmun­gen zurückreic­hende Verpflicht­ung der Zivilgemei­nden, die Kirchengeb­äude in ihrer Substanz zu unterhalte­n, wurde durch das neue Gesetz umgewandel­t in ein striktes Verbot, den Kult vor Ort in irgendeine­r Form finanziell zu unterstütz­en.

Unter dieser Rücksicht stellt der Episkopat von Jean-Claude Hollerich, seit 2011 im Amt und 2019 zum Kardinal ernannt, einen institutio­nsgeschich­tlichen Bruch dar. Die von der Politik aufgezwung­ene, in ihrer konkreten Ausgestalt­ung dann wohl einvernehm­lich durchgefüh­rte „Trennung von Staat und Kirche“hat ein neues Paradigma geschaffen, das in seinen Auswirkung­en erst ansatzweis­e erkennbar wird. Das alte napoleonis­che System, hierzuland­e als „konkordatä­res Modell“(Alexis Pauly) während über zwei Jahrhunder­ten funktionsf­ähig, kommt damit an ein Ende.

Kirchliche Konstellat­ionen kommen und gehen. Vieles ist heute in Fluss geraten, Neues keimt. Was daraus wird, wird sich morgen und übermorgen zeigen. Die Geschichte der katholisch­en Kirche in unserem Land geht weiter, wenn auch anders als gestern und heute. An den zukünftige­n Mitglieder­n, sie mit Leben zu füllen.

Trennung von Staat und Kirche

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