Bistum Luxemburg, Moderne und Postmoderne
Beim ersten Zentenarium 1970 war das Bistum Luxemburg in Umbruch begriffen, bedingt durch tiefgehende gesellschaftliche Mutationen, vor allem Säkularisierung und Entchristlichung. Aber nicht nur. (4 /4)
meinden, als 33 neue, großflächige Pfarreien wiedererstanden. Die überkommenen Dekanate und die rezenten Pastoralregionen machten ihrerseits einem neuen System von sechs übergeordneten Dekanaten Platz, davon zwei für den sehr bevölkerten Süden. So standen die Jahre nach dem großen Jubiläumsjahr 2000, strukturell und pastoral gesehen, unter den Vorzeichen von Zäsur und Neuanfang.
Neues Bild von Kirche
In altbewährter staatskirchlicher Tradition von fast 200 Jahren bewegten sich die neuen Regelungen, die 1997/98 per Konvention zwischen Staat und Kirche eingeführt wurden. Die Gehälterskala und -zahl der staatlich besoldeten Kultusdiener („ministres de culte“) wurde revidiert, 254 Gehälter für Priester und Laienmitarbeiter/innen in der territorialen und kategorialen Seelsorge zur Verfügung gestellt. Das brachte mit sich, dass unter Erzbischof Franck so viele Laien für kirchliche Posten eingestellt wurden wie nie zuvor. Im Jahr 2000 waren im Sekundarschulbereich circa 80, in den Primärschulen 260 Religionslehrer/innen, davon 100 hauptamtlich, angestellt. Zur selben Zeit waren rund 120 Laien hauptamtlich im kirchlichen Dienst, davon 100 staatlich besoldet, wovon die Hälfte Pastoralassistenten/innen („coopérateur pastoral“) und Hilfsassistenten/innen („auxiliaire pastoral“) in der territorialen oder kategorialen Seelsorge waren.
Die Kirche selbst änderte im Rahmen der gesellschaftlichen Umschichtungen ihr Gesicht. Die einst mächtigen religiös-kirchlichen Strukturen büßten viel von ihrem Impakt ein, das kirchliche Lebensgeflecht mit seinem assoziativen Charakter ging verloren. Bei den christlichen Gesellschaftsfaktoren geriet der explizite Bezug zum Christlichen ins Hintertreffen.
So vollzog sich der Übergang der einstigen Volkskirche zum Entscheidungsglauben des Einzelnen, des sozial verbindlichen Christentums zum persönlichen und frei gewählten Glauben des einzelnen Menschen als Privatangelegenheit, was dann freilich keine Massen mehr bewegte. Damit hatte neben dem gesellschaftlichen Umfeld auch das gesamte Koordinatensystem geändert, in dem sich Christsein und Kirchesein in der Postmoderne verwirklichen sollten. Das einst die gesamte Gesellschaft umfassende und durchdringende „katholische Milieu“gibt es seither, von einzelnen kleinen Inseln abgesehen, nicht mehr.
Es sind auch die Jahre des Übergangs von einer stark luxemburgisch geprägten zu einer immer mehr, der demografischen Entwicklung entsprechend, multiethnisch und multilingual geprägten Ortskirche.
Ein wichtiger Lebensnerv war und ist die Muttergottes-Oktave. Ihr patriotischer Charakter, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker hervorgetreten, verzeichnete im Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt, danach ging er etwas zurück. Das vom Konzil begünstigte theologisch-ekklesiale Denken dominierte ab Mitte der sechziger Jahre. Auch nahm die integrative Funktion der Oktave ab, um nach der Jahrtausendwende wieder zuzunehmen, jedoch anders gelagert: vordem auf das Luxemburger Volk bezogen, jetzt auf die Einbeziehung der ausländischen Katholiken, die im Einwanderungsland Luxemburg rapide zunahmen und heute das Gesicht der Diözese stark markieren.
Zäsur und Neuanfang zeigten sich am radikalsten und dramatisch bei der nach 2013 von der Linkskoalition (Liberale, Sozialisten, Grüne) durchgezogenen „Trennung von Staat und Kirche“. 2014-15 wurden mit der Kirche, die als geschwächte Institution über nicht viel Spielraum verfügte, Konventionen abgeschlossen, gefolgt von Ausführungsgesetzen, die den gesellschaftlich relevanten Charakter der Kirche beschnitten. Grundlegend neue Rahmenbedingungen
für die Existenzweise der Kirche in der Gesellschaft wurden geschaffen, ihre Ressourcen, die von öffentlicher Hand finanziert wurden, erheblich zurückgeschraubt.
Das Te Deum zu Nationalfeiertag verlor 2014 seinen offiziell-staatlichen Charakter. Ab 2016 wurde, aufgrund einer der drei abgeschlossenen Konventionen, der katholische Religionsunterricht an den staatlichen Schulen abgeschafft, ebenso das Alternativfach Laienmoral („formation morale et sociale“); beide wurden ersetzt durch den allgemein verbindlichen Kurs „Leben und Gesellschaft“, in dem das religiöse Phänomen nur noch am Rande vorkommt. Eine ausschließlich kirchlich organisierte Katechese wurde nun in den neuen Pfarreien ins Leben gerufen.
Der Gesamtbetrag der Staatsleistungen für katholische Kultusgehälter oder andere Ausgaben wird progressiv auf ein Drittel zurückgefahren, so verfügt die zweite Konvention.
2016-2018 wurde – so beschlossen durch die dritte Konvention – das Verhältnis der Zivilgemeinden zu den Pfarreien grundlegend revidiert. Die Besitzverhältnisse, was Kirchengebäude angeht, wurden geklärt. Bisher waren nicht jene, sondern nur die Zuständigkeiten definiert, wobei den Zivilgemeinden die Unterhaltspflicht der kirchlichen Bauten und den Kirchenfabriken die Sorge für die Innenausstattung oblag. Dieses napoleonische System hatte in der Art eines Kondominiums funktioniert, und das in der Regel auch gut und problemlos. Nun kamen drei Viertel der rund 500 Kirchen und Kapellen in die Hand der Kommunen, die den Pfarreien die Kirchen vermieten oder sie entweihen lassen können. Ein Viertel ging in den Besitz eines 2017 neu gegründeten, dezentral organisierten Kirchenfonds über, der die alten, autonomen Kirchenfabriken ablöste und seither für die Gebäude, ihre Erhaltung und ihren Unterhalt aufkommen muss. Die bis in die Zeit des Napoleonischen Konkordats (1801) und seiner Ausführungsbestimmungen zurückreichende Verpflichtung der Zivilgemeinden, die Kirchengebäude in ihrer Substanz zu unterhalten, wurde durch das neue Gesetz umgewandelt in ein striktes Verbot, den Kult vor Ort in irgendeiner Form finanziell zu unterstützen.
Unter dieser Rücksicht stellt der Episkopat von Jean-Claude Hollerich, seit 2011 im Amt und 2019 zum Kardinal ernannt, einen institutionsgeschichtlichen Bruch dar. Die von der Politik aufgezwungene, in ihrer konkreten Ausgestaltung dann wohl einvernehmlich durchgeführte „Trennung von Staat und Kirche“hat ein neues Paradigma geschaffen, das in seinen Auswirkungen erst ansatzweise erkennbar wird. Das alte napoleonische System, hierzulande als „konkordatäres Modell“(Alexis Pauly) während über zwei Jahrhunderten funktionsfähig, kommt damit an ein Ende.
Kirchliche Konstellationen kommen und gehen. Vieles ist heute in Fluss geraten, Neues keimt. Was daraus wird, wird sich morgen und übermorgen zeigen. Die Geschichte der katholischen Kirche in unserem Land geht weiter, wenn auch anders als gestern und heute. An den zukünftigen Mitgliedern, sie mit Leben zu füllen.
Trennung von Staat und Kirche