Endlich eine Mannschaft
Chiara Castellucci, Céleste Mordenti und Lola Schleich starten bei der Kunstturn-EM der Frauen
Dieses Trio ist etwas Besonderes. Chiara Castellucci, Céleste Mordenti und Lola Schleich vertreten Luxemburg bei der KunstturnEuropameisterschaft der Frauen, die wie zuvor die Titelkämpfe der männlichen Kollegen in der türkischen Hafenstadt Mersin stattfindet. Dass sie dort zu dritt sind, ist bereits ein Erfolg. Denn sie können damit auch an der Mannschaftswertung teilnehmen. Und so etwas hat Seltenheitswert, jedenfalls für ein kleines Land.
„Es ist das erste Mal, dass wir alle im Seniorenbereich turnen. Ich freue mich auch sehr, dass wir als Mannschaft antreten dürfen. Es ist toll, in die Teamwertung zu kommen“, sagt Mordenti. Sie ist wie Castellucci 17 Jahre alt, Schleich ist 16. „Bei den Seniorinnen hatten wir lange keine Mannschaft mehr am Start, seit mindestens acht Jahren“, erklärt Gilles Andring, der beim Luxemburger Verband FLGym für den Elitekader verantwortlich ist. Die Seniorenkategorie der Turnerinnen beginnt schon mit 16, männliche Turner hingegen gelten bis 18 als Junioren.
Auf der Teamwertung ruhen auch die Hoffnungen der Luxemburgerinnen, denn ein Finaleinzug ist durchaus möglich. „Acht Teams sind gemeldet, davon kommen sechs ins Finale. Unser großes Ziel ist es natürlich, zwei Mannschaften hinter uns zu lassen“, sagt Trainerin Domenica Camardella, die den Nationalkader zusammen mit Piotr Kopczynski betreut.
Erster Wettkampf seit einem Jahr
Vor zwei Jahren, bei der EM der Juniorinnen in Glasgow (GB), waren die drei Luxemburgerinnen schon einmal auch als Mannschaft angetreten. Danach qualifizierten sich Mordenti und Castellucci für ihre ersten Seniorinnen-Titelkämpfe 2019. Doch eine Hüftverletzung machte Castelluccis Traum zunichte. „Ich war traurig. Drei Monate musste ich mit dem Training aussetzen“, sagt die Athletin vom Düdelinger Turnverein.
Sie holte alles wieder auf und studierte für die EM 2020 zwei neue schwierige Sprünge ein, einen Überschlag mit halber Drehung und einen Tsukahara mit Schraube. „Sprung ist mein Lieblingsgerät. Ich versuche, so weit wie möglich zu kommen, vielleicht sogar ins Gerätefinale“, sagt Castellucci. Zuletzt machten ihr in der Vorbereitung Rückenprobleme zu schaffen, die sie mit Krankengymnastik und Osteopathie in den Griff bekam.
Mordenti sammelte im vergangenen Jahr viel internationale Erfahrung in der Seniorinnen-Kategorie. Die Turnerin von Gym Bonneweg bewährte sich bei der EM in Szczecin (PL), den Europaspielen in Minsk (BLR) und der WM in Stuttgart (D). Auch sie hat neue Elemente ausgearbeitet, zum Beispiel einen Sprung mit JurchenkoSchraube.
Sie geht wie ihre Kolleginnen hochmotiviert in die EM in Mersin. „Ich habe große Lust auf den Wettkampf, denn mein bis dato letzter vollständiger war vor über einem Jahr bei der WM.“Sie hofft auf einen positiven Abschluss eines schwierigen Jahres 2020: „Allein, dass man mal die Umgebung wechselt und als Gruppe verreist, ist schon sehr schön.“
Schleich (Espérance Esch) steht vor ihrer EM-Premiere als Seniorin. Auch ihr bisher letzter Wettkampf
datiert aus dem November 2019. Danach musste sie verletzt pausieren, weil die Wachstumsfuge am linken Handgelenk überlastet war. Dass es nun bei der ersten Bewährungsprobe 2020 gleich um eine EM geht, macht ihr mental zu schaffen. „Ich muss schauen, dass ich die Nerven behalte“, meint die 16-Jährige. Sie hat das Beste aus dem Verletzungshandicap gemacht – ausgerechnet am Schwebebalken, der bei Turnerinnen eher gefürchtet ist. „Als ich verletzt war, stellte die Trainerin meine Balkenübung so um, dass ich meine Hände nicht benutzen musste“, berichtet sie. So erlernte sie mehrere schwierige Elemente, die Bonuspunkte bringen könnten.
Den Lockdown genutzt
Auch den Lockdown im Frühjahr nutzten die Turnerinnen so gut wie möglich. „Wir haben viel OnlineTraining gemacht. Wir konnten damit an der Beweglichkeit arbeiten, worauf sonst im Training nicht so sehr der Schwerpunkt gelegt wird. Zu Hause konnten wir uns gut damit beschäftigen“, berichtet Trainerin Camardella. Zudem seien Blessuren auskuriert worden, wodurch man aus dieser Zeit noch etwas Positives mitgenommen habe.
Trotz aller Einschränkungen durch Quarantäne-Wochen und die zeitlich limitierte Hallenbenutzung turnen die Schülerinnen in Mersin ein ambitioniertes Programm. „Hinsichtlich des Schwierigkeitsgrads haben sich alle verbessert. Er wurde fast an allen Geräten angehoben“, so Camardella. Auch in der Luxemburger Problemdisziplin, dem Stufenbarren, gab es Fortschritte. Inzwischen könne man alle Kompositionsanforderungen
erfüllen, erklärt die Trainerin. Man könne also alle Elemente turnen, die auf EM-Niveau verlangt werden.
Für alle schwierig war die Ungewissheit. Die EM war ursprünglich im April in Paris vorgesehen, später wurde sie in Aserbaidschans Hauptstadt Baku verlegt, dort aber dann auch abgesagt. „Wir wussten nicht, worauf wir uns vorbereiten“, sagt Camardella. Als im Oktober endlich klar war, dass die Turnerinnen wie die Männer und Junioren in Mersin antreten würden, war die Erleichterung groß.
Diszipliniert versuchten alle, das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Die Schülerinnen hatten Online-Unterricht und außer mit dem EM-Team und ihrer Kernfamilie zuletzt keine sozialen Kontakte. Die gute Atmosphäre im Nationalkader ist dabei ein Vorteil. „Wir helfen und motivieren uns gegenseitig“, sagt Castellucci.
Nun möchte das Trio zusammen erfolgreich sein. Morgen ist die Qualifikation. Vielleicht machen sich die Kunstturnerinnen selbst ein besonderes Weihnachtsgeschenk.
Ich muss schauen, dass ich die Nerven behalte. Lola Schleich