Das große Tram-Trara
Dass die Tram nun bis zum Hauptbahnhof fährt, ist eine gute Nachricht. Wie schon 2017 beim ersten Streckenabschnitt konnten die Bauarbeiten pünktlich abgeschlossen werden – eine derartige Fristentreue war man von Großprojekten in Luxemburg bislang nicht gewohnt. Die offizielle Eröffnung der vier neuen Haltestellen am vergangenen Sonntag hinterlässt allerdings einen fahlen Beigeschmack.
War das große Tamtam in Krisenzeiten wirklich notwendig? War die Sehnsucht nach Rampenlicht bei einigen schon zu groß, unter anderem bei jenen (grünen) Ministern, die wegen Corona fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden sind? So wichtig das Projekt Tram auch sein mag: Eine Absage der Einweihungsfeier wäre kein Drama gewesen.
Der oft hinausposaunte Aufruf zum Verzicht gilt offenbar nur für den Sport, die Gastronomie und die Kultur. Diese Sektoren mussten Ende November erneut die Vorhänge zuziehen. Die Politshow hingegen läuft ununterbrochen weiter.
Resultat: Fotos von gut gefüllten Straßenbahnzügen am Eröffnungstag rufen auf den sozialen Medien seit Tagen verärgerte Reaktionen hervor. Die Wut mancher Bürger ist durchaus verständlich. Andererseits müssen sich Pendler seit Jahren jeden Tag in hoffnungslos überbesetzte Busse, Züge und Tramzüge quetschen, um zur Arbeit zu gelangen – Ansteckungsgefahr hin oder her. Ist das nicht auch ein Grund, um – auf gut Luxemburgisch – „richteg rosen“zu werden? Immerhin: Künftig soll auch Benutzern des öffentlichen Transports Desinfektionsmittel bereitgestellt werden.
Aus dem aktuellen Facebook-Furor über das Tram-Trara blitzt aber auch eine andere Begleiterscheinung der CoronaKrise hervor: Es wächst die Lust an der Empörung über vermeintliches Fehlverhalten anderer Menschen. Vom eigenen Wohnzimmer aus ist es einfach und bequem, sich über andere zu erheben. Vor der eigenen Haustüre kehrt man aber nicht so gern. Die viel betonte „Eegeverantwortung“, eigentlich das Luxemburger Unwort des Jahres, ist jedenfalls krachend gescheitert. Ein Teil der Bevölkerung will auf Treffen mit Freunden und Verwandten an Weihnachten nicht verzichten – trotz konstant hoher Corona-Zahlen. Der „Homard“schmeckt offenbar nur in der großen Familienrunde – am besten auch noch mit Risikopatienten als Sitznachbarn.
Wenn man der jüngsten Politmonitor-Umfrage Glauben schenkt, kommt die Regierung mit ihrem Laissez-faire-Ansatz bei den Bürgern beinahe ungestraft durch. Dabei hat die blau-rot-grüne Equipe ihren Vorsprung bei der Virusbekämpfung längst verjubelt. Laut Zahlen der europäischen Agentur ECDC zählt Luxemburg zu den drei Spitzenreitern bei der 14-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner. Der Lockdown light wirkte nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Stattdessen betätigen sich Minister und Gemeindepolitiker in Krisenzeiten als Bändchendurchschneider.
Der Showeffekt der blitzblank polierten Tram wird bald wieder verpuffen. Pendler, Radfahrer und Fußgänger fordern seit langem nachhaltige Verbesserungen auf Straßen und Schiene. Die Politik bemühte sich in den vergangenen Jahren redlich – aber auf den großen Wurf in Sachen Verkehrswende wartet das Land bislang vergeblich.
Fotos von gut gefüllten Trambahnen sorgen für Ärger.
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