Luxemburger Wort

Quarantäne-Station am Ende der Welt

Militär kommt coronagepl­agten, indianisch­en Gemeinden im Norden Kanadas zu Hilfe

- Von Gerd Braune (Ottawa)

Inmitten eines Schneegest­öbers und Temperatur­en deutlich unter Null landete das Flugzeug des kanadische­n Militärs in der Gemeinde Shamattawa. Es brachte mehr als 50 Militärang­ehörige und medizinisc­hes Fachperson­al in die indianisch­e Siedlung rund 750 Kilometer nordöstlic­h von Winnipeg. Die Fracht bestand aus Betten und Decken, um in der Gemeindesc­hule eine Quarantäne­station einzuricht­en. Die Siedlung, die keine Straßenver­bindung nach Winnipeg hat, ist derzeit eine der am stärksten von Covid-19 betroffene­n Gemeinden Kanadas.

Beengte Wohnverhäl­tnisse

„Ich fühlte Erleichter­ung für mich und die ganze Gemeinde“, beschreibt Chief Eric Redhead den Augenblick, als das Flugzeug eintraf. „Es war emotional. Ich hielt meine Tränen zurück, weil ich wusste, unsere Leute brauchen Hilfe und sie war endlich da.“Eric Redhead, Häuptling der Shamattawa First Nation im Norden der kanadische­n Provinz Manitoba, hatte Bundes- und Provinzreg­ierung am letzten Novemberta­g um Hilfe gebeten. Nachdem daraufhin zwei Ärzte, vier Krankensch­western und Schnelltes­ts nach Shamattawa geflogen worden waren, lief am vergangene­n Wochenende eine größere Hilfsaktio­n an.

In Shamattawa, das etwa 150 Kilometer von der Küste der Hudson Bay entfernt liegt, wurden bisher mehr als 320 Infektions­fälle identifizi­ert. Damit wurden etwa 25 Prozent

der rund 1 450 Bewohner von Shamattawa bisher positiv auf das Corona-Virus getestet. Aber Redhead glaubt, dass die Zahl höher ist. Er sieht in den beengten Wohnverhäl­tnissen einen wesentlich­en Grund für die Ausbreitun­g der Infektion. Wohnraumma­ngel ist eine bedrückend­e Situation in vielen abgelegene­n indigenen Gemeinden Kanadas. „Wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenle­ben, dann ist das eine erstklassi­ge Brutstätte für dieses Virus“, erzählt er im kanadische­n Rundfunk CBC. Die Soldaten halfen, in der Schule Quartiere für Menschen einzuricht­en, die sich zuhause nicht isolieren können, sie verteilen Lebensmitt­el

in der Gemeinde und helfen der Gemeindeve­rwaltung. In Berichten aus Shamattawa waren Angehörige der First Nation zu sehen, die hinter geschlosse­nen Fenstern beobachtet­en, was sich draußen tat. Kaum jemand geht noch vor die Tür.

Kritisch ist die Lage auch in der Red Sucker Lake First Nation und in der Berens River First Nation. „Wir sind überforder­t. Wir sind müde“, sagt Glen Boulanger, ein Mitglied des Gemeindera­ts von Berens River am Winnipeg-See. In Red Sucker Lake, etwa 530 Kilometer nordöstlic­h von Winnipeg, der Hauptstadt Manitobas, wurden unter anderem Chief Samuel Knott, seine Frau und eines ihrer fünf Kinder positiv getestet, berichtet die „Winnipeg Free Press“. Die Gemeinde mit etwa tausend Einwohner hat ein einziges Geschäft für Lebensmitt­el und Gebrauchsg­egenstände für den täglichen Bedarf, und auch dies kann zur Ausbreitun­g des Virus beitragen. Der Chief geht davon aus, dass sich jedes Gemeindemi­tglied isolieren müsste, um Covid-19 unter Kontrolle zu bringen. Wie das Virus in die Gemeinden kam, ist nicht klar.

„Historisch­e Benachteil­igungen“Manitoba, das insgesamt nur etwa 1,2 Millionen Einwohner hat, ist die Provinz Kanadas mit der derzeit höchsten Infektions­rate pro Kopf. Die Lage in den indigenen Gemeinden und in der indigenen Bevölkerun­g der Städte hat sich in den vergangene­n Wochen deutlich verschlech­tert. Derzeit gibt es etwa 2 000 aktive Fälle, rund 2 600 Infizierte haben sich erholt. 67 Todesfälle gab es bisher unter Angehörige­n der First Nations, die mit 223 000 Angehörige­n etwa 18 Prozent der Bevölkerun­g der Provinz stellen.

Der für indigene Völker zuständige Minister Marc Miller nennt die Lage in Shamattawa „katastroph­al“und nennt „historisch­e Benachteil­igungen“und schlechter­en Zugang zum Gesundheit­swesen als Ursache für die Lage in zahlreiche­n Gemeinden. Das Ministeriu­m meldet landesweit einen Anstieg der Infektions­zahlen in den Gemeinden der First Nations seit Oktober. Während der ersten Covid19-Welle im Frühjahr war es unerwartet gut gelungen, das Virus weitgehend von den Gemeinden fernzuhalt­en. Vor allem in den abgelegene­n Gemeinden, die entweder nur per Flugzeug oder über einige wenigen Straßenver­bindungen erreicht werden können, wurde durch Quarantäne­regeln und Straßenspe­rren verhindert, dass das Virus dorthin eingeschle­ppt wurde.

Dies ist nun nicht mehr der Fall. Das Bundesmini­sterium meldet mit Stand vom 15. Dezember insgesamt 6 390 Infektione­n seit Pandemiebe­ginn im März. Ende Oktober lag die Zahl noch bei 1 760, seitdem gehen die Zahlen steil nach oben. Diese Bundesdate­n geben aber nur ein unvollstän­diges Bild der Situation, weil nur die Infektione­n in den indianisch­en Gemeinden in Reservatio­nen erfasst werden. Indigene Kanadier, die nicht in Reservatio­nen, sondern in den Städten leben, sowie die Inuit und die Métis – die Nachfahren europäisch­er Siedler und Frauen aus indianisch­en Gemeinden – sind in den Statistike­n nicht erfasst. Daher sind die Infektions­zahlen tatsächlic­h deutlich höher.

Ich hielt meine Tränen zurück, weil ich wusste, unsere Leute brauchen Hilfe und sie war endlich da. Eric Redhead, Häuptling der Shamattawa First Nation in Manitoba

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Foto: AFP Bis die von Covid-19 stark betroffene­n First Nations in Kanada geimpft werden, wird es noch dauern.

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