Luxemburger Wort

Keine „splendid isolation“

- Von Françoise Hanff

Eigentlich lieben die Briten ihre Abgeschied­enheit. Ihr Misstrauen gegenüber dem europäisch­en Kontinent hat eine lange Tradition. Es war unter anderem auch der Zustrom von Ausländern, der zahlreiche Briten im Juni 2016 dazu bewog, ihr Kreuz beim EU-Austritt zu machen.

Doch mit der Entwicklun­g der vergangene­n Tage sind die Briten plötzlich isolierter, als vielen von ihnen lieb ist. Der Eurotunnel wurde geschlosse­n, der Flug- und Fährverkeh­r ist unterbroch­en, in der südostengl­ischen Grafschaft Kent stauen sich die Lastwagen kilometerw­eit. Grund für die ganze Aufregung ist eine Mutation des Sars-CoV-2Virus, vor der sich andere Länder schützen wollen – was durchaus verständli­ch ist. Allerdings soll die neue Variante bereits seit Ende September in England grassieren und ihren Weg auf das Festland schon gefunden haben.

Die britische Presse hat sich – wie immer – auf die böse EU eingeschos­sen. Das ist einfacher, als nach den wahren Gründen für das Debakel zu suchen. Obwohl die Zahl der Neuinfekti­onen und Corona-Toten im Südosten Englands seit Wochen in die Höhe schoss, widersetzt­e sich Boris Johnson einer notwendige­n Verschärfu­ng der Maßnahmen und versprach seinen Landsleute­n vor einigen Tagen noch ein Weihnachts­fest im Familienkr­eis. Erst am Wochenende bequemte sich der Premier, die Notbremse zu ziehen. Dabei kam ihm die Virus-Mutation gerade recht – als Entschuldi­gung für seine Kehrtwende.

Der verschärft­e Shutdown hat zwei Folgen. Erstens stürmten die Londoner die Bahnhöfe, um noch rechtzeiti­g den letzten Zug aus der Hauptstadt zu erwischen. Abstandhal­ten? Fehlanzeig­e. Zweitens haben die Menschen nun noch mehr ihr Vertrauen in die Regierung verloren. Im Alltag reichen coole Sprüche und clownesque Auftritte eben nicht aus, um ein Land von 68 Millionen Bürgern verantwort­ungsvoll zu führen.

Ob er mit seiner Entscheidu­ng auch so lange gewartet hatte, bis dass das Parlament im Weihnachts­urlaub war, wird das Geheimnis des Mannes aus Downing Street 10 bleiben. Fakt ist jedoch, dass der Beschluss zu spät kam. Wie Labour-Chef und Opposition­sführer Keir Starmer am Sonntag bei einer Pressekonf­erenz mutmaßte, wollte der Regierungs­chef sich nicht unbeliebt beim Volk machen.

Allerdings ist es nicht die Aufgabe von Politikern, ihr Fähnchen nach dem Wind zu hängen und nur Entscheidu­ngen zu treffen, die der Bevölkerun­g munden. Besonders in Krisenzeit­en müssen die Gewählten Rückgrat beweisen und das tun, was im Interesse des Landes ist.

A propos Interesse des Landes: Die Staus an den Grenzen und mögliche Versorgung­sengpässe geben einen Vorgeschma­ck auf das Brexit-Chaos ab dem 1. Januar 2021, falls es in letzter Minute nicht doch noch zu einem Handelsabk­ommen zwischen London und Brüssel kommt. Großbritan­nien stehen nicht nur ein trostloses Weihnachts­fest, sondern auch Jahre voller Unsicherhe­it und Entbehrung­en bevor. Kein Wunder, dass vielen Briten nicht zum Feiern zumute ist. Nur sollten sie dafür den wahren Schuldigen ausmachen. Und ihre Konsequenz­en ziehen.

Plötzlich sind die Briten isolierter, als vielen von ihnen lieb ist.

Kontakt: francoise.hanff@wort.lu

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