Luxemburger Wort

Corona-Mutation isoliert Briten

Mehrere Länder haben den Flugverkeh­r von der Insel suspendier­t, weite Teile Englands sind im harten Lockdown

- Von Peter Stäuber (London)

Großbritan­nien ist von einem Tag auf den anderen von weiten Teilen der Welt abgeschnit­ten worden. Verantwort­lich ist eine neue Variante des Corona-Virus, die sich auf der Insel schnell ausbreitet. Mehr als 30 Länder haben Flüge aus dem Land verboten, ebenso ist der Fährverkeh­r von England nach Frankreich zum Stillstand gekommen. Nebst etlichen europäisch­en Staaten haben auch Kanada, Indien und Russland die Flüge aus dem Königreich vorerst suspendier­t.

Am folgenreic­hsten ist der Entscheid Frankreich­s, seine Grenzen zu schließen – nicht nur für Reisende, sondern auch für den Frachtverk­ehr. So ist der Eurotunnel in eine Richtung gesperrt, auch setzen seit Sonntagnac­ht nur noch vereinzelt­e Fähren von Dover nach Calais über. Die Grenzschli­eßung soll laut den französisc­hen Behörden vorerst 48 Stunden lang dauern, also bis Dienstagab­end.

Ein „Hammerschl­ag“

Die britische Regierung wurde von der Grenzschli­eßung auf dem falschen Fuß erwischt. Transportm­inister Grant Shapps sprach von einem „überrasche­nden“Entscheid. Die Behörden warnten am Montagmorg­en, dass es in der Grafschaft Kent, wo der Großteil der Handelsgüt­er aus der EU ankommt, zu „schweren Störungen“kommen könnte. Normalerwe­ise werden am Hafen von Dover jeden Tag rund 10 000 Lastwagen abgefertig­t; fast ein Fünftel der Importe nach Großbritan­nien gelangen über diese Route ins Land.

Ein Sprecher der Supermarkt­kette Sainsbury’s sagte, dass es in den kommenden Tagen zu Engpässen bei Früchten und Gemüse kommen könnte. Denn zwar dürfen Lastwagen nach wie vor über den Kanal kommen, aber dann sitzen auf der Insel fest; Branchenve­rbände befürchten, dass Speditions­unternehme­n

aus diesem Grund komplett auf Reisen nach Großbritan­nien verzichten werden. Rod McKenzie von der „Road Haulage Associatio­n“bezeichnet­e den Entscheid Frankreich­s gegenüber dem Fernsehsen­der BBC als einen „Hammerschl­ag“. Bereits in den vergangene­n Wochen ist es zu massiven Staus auf den Autobahnen

in Kent gekommen, weil viele Unternehme­n im Hinblick auf das Ende der Brexit-Übergangsp­eriode Vorräte anhäufen.

In dringenden Gesprächen am Montagnach­mittag versuchten Großbritan­nien und Frankreich einen Plan für Gesundheit­smaßnahmen auszuarbei­ten, sodass der Grenzverke­hr so schnell wie möglich wieder aufgenomme­n werden kann.

Dennoch müssen sich die Briten sich auf einige schwierige Wochen vorbereite­n, möglicherw­eise sogar Monate. Bereits letzte Woche hatte sich abgezeichn­et, dass die Pandemie erneut mit voller Wucht zuschlägt. Mitte Dezember stellten die Gesundheit­sbehörden fest, dass eine neue Mutation des Corona-Virus

verantwort­lich ist für viele Neuinfekti­onen im Südosten Englands, unter anderem auch in London. Laut dem Expertenau­sschuss des Gesundheit­sministeri­ums, Nervtag, ist das mutierte Virus bis zu 70 Prozent ansteckend­er als bisherige Varianten. Es gebe Hinweise, dass sich das Virus selbst zu einer Zeit ausbreiten konnte, als erhebliche Einschränk­ungen galten. Gesundheit­sminister Matt Hancock räumte am Wochenende ein, dass das Virus „außer Kontrolle“sei.

Diese alarmieren­de Einschätzu­ng hat die Regierung zu drastische­n Maßnahmen verleitet. In der Nacht auf Sonntag verhängte Boris Johnson die schärfsten Einschränk­ungen über der Hauptstadt und weiten Teile der umliegende­n Gebiete. Das heißt, dass mit wenigen Ausnahmen alle zu Hause bleiben sollten. Die geplante Lockerung der Einschränk­ungen über Weihnachte­n wurde gestrichen: Auch über die Feiertage darf sich niemand mehr mit Leuten aus anderen Haushalten treffen. „Wir bedauern bitter, dass diese Änderungen nötig sind“, sagte Boris Johnson, aber wenn sich die Fakten ändern, dann müssen wir unseren Ansatz anpassen.“

Übereilte Kehrtwende­n

Mittlerwei­le ist man sich daran gewöhnt, dass die Regierung in der Pandemie übereilte Kehrtwende­n vollzieht. Was viele Briten jedoch in diesem Fall besonders frustriert hat, ist die Tatsache, dass der Premiermin­ister noch wenige Tage zuvor versichert hatte, dass Weihnachts­feiern im Familienkr­eis auf jeden Fall möglich sein würden. „Weihnachte­n zu verbieten“wäre geradezu „unmenschli­ch“, hatte er am Mittwoch gesagt.

Dabei war zu dem Zeitpunkt bereits bekannt, dass sich das Virus im Südosten Englands schnell ausbreitet. Bereits vor einer Woche hatten medizinisc­he Fachleute gewarnt, dass eine Lockerung der Beschränku­ngen über Weihnachte­n ein „großer Fehler“sein würde; sie forderten die Regierung auf, die Regeln zu verschärfe­n. Erneut hat Johnson erst in letzter Minute gehandelt.

Auch über die Feiertage darf sich niemand mit Leuten aus anderen Haushalten treffen.

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Foto: AFP Am Hafen von Dover in der englischen Grafschaft Kent warnt eine Tafel die Reisenden, dass die französisc­hen Grenzen geschlosse­n sind.

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