Corona-Mutation isoliert Briten
Mehrere Länder haben den Flugverkehr von der Insel suspendiert, weite Teile Englands sind im harten Lockdown
Großbritannien ist von einem Tag auf den anderen von weiten Teilen der Welt abgeschnitten worden. Verantwortlich ist eine neue Variante des Corona-Virus, die sich auf der Insel schnell ausbreitet. Mehr als 30 Länder haben Flüge aus dem Land verboten, ebenso ist der Fährverkehr von England nach Frankreich zum Stillstand gekommen. Nebst etlichen europäischen Staaten haben auch Kanada, Indien und Russland die Flüge aus dem Königreich vorerst suspendiert.
Am folgenreichsten ist der Entscheid Frankreichs, seine Grenzen zu schließen – nicht nur für Reisende, sondern auch für den Frachtverkehr. So ist der Eurotunnel in eine Richtung gesperrt, auch setzen seit Sonntagnacht nur noch vereinzelte Fähren von Dover nach Calais über. Die Grenzschließung soll laut den französischen Behörden vorerst 48 Stunden lang dauern, also bis Dienstagabend.
Ein „Hammerschlag“
Die britische Regierung wurde von der Grenzschließung auf dem falschen Fuß erwischt. Transportminister Grant Shapps sprach von einem „überraschenden“Entscheid. Die Behörden warnten am Montagmorgen, dass es in der Grafschaft Kent, wo der Großteil der Handelsgüter aus der EU ankommt, zu „schweren Störungen“kommen könnte. Normalerweise werden am Hafen von Dover jeden Tag rund 10 000 Lastwagen abgefertigt; fast ein Fünftel der Importe nach Großbritannien gelangen über diese Route ins Land.
Ein Sprecher der Supermarktkette Sainsbury’s sagte, dass es in den kommenden Tagen zu Engpässen bei Früchten und Gemüse kommen könnte. Denn zwar dürfen Lastwagen nach wie vor über den Kanal kommen, aber dann sitzen auf der Insel fest; Branchenverbände befürchten, dass Speditionsunternehmen
aus diesem Grund komplett auf Reisen nach Großbritannien verzichten werden. Rod McKenzie von der „Road Haulage Association“bezeichnete den Entscheid Frankreichs gegenüber dem Fernsehsender BBC als einen „Hammerschlag“. Bereits in den vergangenen Wochen ist es zu massiven Staus auf den Autobahnen
in Kent gekommen, weil viele Unternehmen im Hinblick auf das Ende der Brexit-Übergangsperiode Vorräte anhäufen.
In dringenden Gesprächen am Montagnachmittag versuchten Großbritannien und Frankreich einen Plan für Gesundheitsmaßnahmen auszuarbeiten, sodass der Grenzverkehr so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden kann.
Dennoch müssen sich die Briten sich auf einige schwierige Wochen vorbereiten, möglicherweise sogar Monate. Bereits letzte Woche hatte sich abgezeichnet, dass die Pandemie erneut mit voller Wucht zuschlägt. Mitte Dezember stellten die Gesundheitsbehörden fest, dass eine neue Mutation des Corona-Virus
verantwortlich ist für viele Neuinfektionen im Südosten Englands, unter anderem auch in London. Laut dem Expertenausschuss des Gesundheitsministeriums, Nervtag, ist das mutierte Virus bis zu 70 Prozent ansteckender als bisherige Varianten. Es gebe Hinweise, dass sich das Virus selbst zu einer Zeit ausbreiten konnte, als erhebliche Einschränkungen galten. Gesundheitsminister Matt Hancock räumte am Wochenende ein, dass das Virus „außer Kontrolle“sei.
Diese alarmierende Einschätzung hat die Regierung zu drastischen Maßnahmen verleitet. In der Nacht auf Sonntag verhängte Boris Johnson die schärfsten Einschränkungen über der Hauptstadt und weiten Teile der umliegenden Gebiete. Das heißt, dass mit wenigen Ausnahmen alle zu Hause bleiben sollten. Die geplante Lockerung der Einschränkungen über Weihnachten wurde gestrichen: Auch über die Feiertage darf sich niemand mehr mit Leuten aus anderen Haushalten treffen. „Wir bedauern bitter, dass diese Änderungen nötig sind“, sagte Boris Johnson, aber wenn sich die Fakten ändern, dann müssen wir unseren Ansatz anpassen.“
Übereilte Kehrtwenden
Mittlerweile ist man sich daran gewöhnt, dass die Regierung in der Pandemie übereilte Kehrtwenden vollzieht. Was viele Briten jedoch in diesem Fall besonders frustriert hat, ist die Tatsache, dass der Premierminister noch wenige Tage zuvor versichert hatte, dass Weihnachtsfeiern im Familienkreis auf jeden Fall möglich sein würden. „Weihnachten zu verbieten“wäre geradezu „unmenschlich“, hatte er am Mittwoch gesagt.
Dabei war zu dem Zeitpunkt bereits bekannt, dass sich das Virus im Südosten Englands schnell ausbreitet. Bereits vor einer Woche hatten medizinische Fachleute gewarnt, dass eine Lockerung der Beschränkungen über Weihnachten ein „großer Fehler“sein würde; sie forderten die Regierung auf, die Regeln zu verschärfen. Erneut hat Johnson erst in letzter Minute gehandelt.
Auch über die Feiertage darf sich niemand mit Leuten aus anderen Haushalten treffen.