Luxemburger Wort

„Angriff auf die USA“

Der Ex-Chef des Geheimdien­sts Mossad über die Hacker-Aktionen

- Interview: Pierre Heumann Archivfoto: Reuters Symbolfoto: dpa

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die USA auf breiter Front Ziel bisher beispiello­ser Hackerangr­iffe sind. Ex-Mossad-Chef Tamir Pardo warnt vor Spionen in den Netzwerken, welche die USA infiltrier­en. Die meisten Angriffe werden durch menschlich­es Versagen ermöglicht. In der Corona-Krise seien Hacker besonders aktiv, sagt der ehemalige Top-Spion, der Co-Gründer der Cyberfirma XM Cyber ist.

Tamir Pardo, was wissen Sie als Cyberexper­te über die jüngsten Angriffe auf amerikanis­che Netzwerke?

(Lacht) Da bin ich überfragt. Sorry. Aber es scheint, dass es etwas völlig anderes ist als alle anderen Angriffe zuvor. Es könnte deshalb eine strategisc­he Operation gewesen sein, ausgeführt von einem Staat.

US-Präsident Trump tippt auf China, sein Außenminis­ter Pompeo auf Russland. Aber ist es ein Zufall, dass in der Corona-Krise die Cyberangri­ffe zugenommen haben?

In jeder Wirtschaft­skrise versucht man zu gewinnen. Das ist offensicht­lich. Denken Sie bloß, wie lukrativ ein Angriff auf Firmen sein könnte, die einen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt haben. Allgemein gesagt: Weltweit kommt es jede Minute, nein, jede Sekunde zu Tausenden von Cyberangri­ffen.

Wie kommen Hacker typischerw­eise überhaupt in ein theoretisc­h doch sehr gut gesicherte­s Firmensyst­em rein?

Sie nutzen menschlich­es Versagen aus. Auch wenn die IT-Leute noch so brillant sind, unterlaufe­n ihnen Fehler. 80 bis 90 Prozent der Fälle, in denen die Integrität eines Netzwerks verletzt wird, werden durch die diejenigen verursacht, die nach bestem Wissen und Gewissen das System unterhalte­n. Es steckt also in der überwiegen­den Zahl der Fälle keine böse oder kriminelle Absicht dahinter.

Sondern?

Wenn ein Angestellt­er seinen Job verlässt, vergessen Firmen oft, dessen Konto zu löschen. Damit bleibt der Mailaccoun­t am Leben, obwohl sein legitimer Nutzer die Firma längst verlassen hat. Hacker benötigen dann bloß das Passwort, um das Internetko­nto zu missbrauch­en. Der Schutz, der im Netzwerk installier­t wurde, wird damit umgangen. So kann der Hacker nicht erkannt und deshalb auch nicht gesperrt werden. Ich gehe davon aus, dass die Cyberkrimi­nalität künftig weiter zunehmen wird, und zwar dramatisch.

Genügen moderne Abwehrsyst­eme in Netzwerken denn nicht, um unerwünsch­te Eindringli­nge abzuwehren?

Auch modernste und noch so raffiniert­e Netzwerke können bei Nachlässig­keit oder Unwissenhe­it ausgetrick­st werden. Unsere Firma empfiehlt deshalb vor allem eines: Hygiene! Das ist nichts anderes, als was im 19. Jahrhunder­t der ungarische Chirurg und Gynäkologe Ignaz Semmelweis nahelegte und durchsetzt­e, um das Kindbettfi­eber zu bekämpfen.

Anti-Viren-Programme bieten keinen Schutz?

Natürlich nicht. Oft unterschät­zen übrigens die Firmenchef­s bis heute die Cyberrisik­en. Es ist aber Sache des Top-Management­s, die Informatio­nen der Firma und der Kunden vor Gefahren abzuschirm­en. Vom Staat können sie keine Hilfe erwarten. Der kann sie nicht schützen.

Was konkret würden Sie Firmen empfehlen?

Geben Sie ihnen meine Telefonnum­mer! Aber im Ernst: Cyberkrieg­e sind auch ein Ersatz für die traditione­llen Waffengäng­e

Ex-Mossadchef Tamir Pardo. geworden. Im Gegensatz zu Kanonen und Bomben sind Cyberwaffe­n lautlos. Ohne dass Blut fließt, können sie die tödliche Wirkung einer Atombombe haben. Wenn man das Land des Feindes nicht besetzen will, ist sie aus zwei Gründen eine sehr effiziente und nützliche Waffe. Erstens ist der Angreifer unsichtbar. Das macht die Verteidigu­ng so viel schwierige­r als im traditione­llen Krieg.

Und zweitens?

Sie ist um Größenordn­ungen billiger als eine Flotte von KampfJets. Mit nur einem Bruchteil der Summe, die man für einen B-52Bomber zahlen muss, lässt sich auf der Welt ein größeres Chaos anrichten als ein Kampfjet, selbst wenn er mit Nuklearbom­ben vollgepack­t wäre. Ich bin mir nicht sicher, ob die Politik die Tragweite der Cyberrisik­en begriffen hat. Diese unsichtbar­e Waffe kann zudem die Gesellscha­ft aus dem Gleichgewi­cht bringen. Der Einsatz der Cyberwaffe könnte zu Tohuwabohu und Unordnung führen. Dazu braucht es keine Experten mit einer teuren Spezialaus­bildung. Smarte Computerfr­eaks sind zum Beispiel schon als Teenager in der Lage, in Krankenhäu­sern, im Flugverkeh­r oder in den Städten Unheil anzurichte­n. Was für das Funktionie­ren einer modernen Gesellscha­ft unerlässli­ch ist, muss deshalb unbedingt besser geschützt werden. Es braucht eine Abschrecku­ngsstrateg­ie für Cyber-Angriffe.

Wie soll die aussehen?

Sie müsste sich auf jeden Fall auch gegen Kriminelle, das organisier­te Verbrechen oder gegen Industries­pione richten. Auch in der Politik stellen Bots und die Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen eine Gefahr dar, und zwar auf globaler Ebene. Sie zielen darauf ab, die Gesellscha­ft zu schwächen, zu spalten und die Legitimati­on von gewählten Politikern zu negieren. Die Verunsiche­rung und das Spalten der Öffentlich­keit können beim Einsatz der Cyberwaffe ein wichtiges Ziel einer fremden Macht sein. Für den Westen ist das derzeit die größte Herausford­erung, mit der er konfrontie­rt ist.

Smarte Computerfr­eaks sind schon als Teenager in der Lage, in Krankenhäu­sern, im Flugverkeh­r oder in den Städten Unheil anzurichte­n.

 ??  ?? Cyberattac­ken werden in ihrer Gefahr oft unterschät­zt.
Cyberattac­ken werden in ihrer Gefahr oft unterschät­zt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg