„Angriff auf die USA“
Der Ex-Chef des Geheimdiensts Mossad über die Hacker-Aktionen
Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die USA auf breiter Front Ziel bisher beispielloser Hackerangriffe sind. Ex-Mossad-Chef Tamir Pardo warnt vor Spionen in den Netzwerken, welche die USA infiltrieren. Die meisten Angriffe werden durch menschliches Versagen ermöglicht. In der Corona-Krise seien Hacker besonders aktiv, sagt der ehemalige Top-Spion, der Co-Gründer der Cyberfirma XM Cyber ist.
Tamir Pardo, was wissen Sie als Cyberexperte über die jüngsten Angriffe auf amerikanische Netzwerke?
(Lacht) Da bin ich überfragt. Sorry. Aber es scheint, dass es etwas völlig anderes ist als alle anderen Angriffe zuvor. Es könnte deshalb eine strategische Operation gewesen sein, ausgeführt von einem Staat.
US-Präsident Trump tippt auf China, sein Außenminister Pompeo auf Russland. Aber ist es ein Zufall, dass in der Corona-Krise die Cyberangriffe zugenommen haben?
In jeder Wirtschaftskrise versucht man zu gewinnen. Das ist offensichtlich. Denken Sie bloß, wie lukrativ ein Angriff auf Firmen sein könnte, die einen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt haben. Allgemein gesagt: Weltweit kommt es jede Minute, nein, jede Sekunde zu Tausenden von Cyberangriffen.
Wie kommen Hacker typischerweise überhaupt in ein theoretisch doch sehr gut gesichertes Firmensystem rein?
Sie nutzen menschliches Versagen aus. Auch wenn die IT-Leute noch so brillant sind, unterlaufen ihnen Fehler. 80 bis 90 Prozent der Fälle, in denen die Integrität eines Netzwerks verletzt wird, werden durch die diejenigen verursacht, die nach bestem Wissen und Gewissen das System unterhalten. Es steckt also in der überwiegenden Zahl der Fälle keine böse oder kriminelle Absicht dahinter.
Sondern?
Wenn ein Angestellter seinen Job verlässt, vergessen Firmen oft, dessen Konto zu löschen. Damit bleibt der Mailaccount am Leben, obwohl sein legitimer Nutzer die Firma längst verlassen hat. Hacker benötigen dann bloß das Passwort, um das Internetkonto zu missbrauchen. Der Schutz, der im Netzwerk installiert wurde, wird damit umgangen. So kann der Hacker nicht erkannt und deshalb auch nicht gesperrt werden. Ich gehe davon aus, dass die Cyberkriminalität künftig weiter zunehmen wird, und zwar dramatisch.
Genügen moderne Abwehrsysteme in Netzwerken denn nicht, um unerwünschte Eindringlinge abzuwehren?
Auch modernste und noch so raffinierte Netzwerke können bei Nachlässigkeit oder Unwissenheit ausgetrickst werden. Unsere Firma empfiehlt deshalb vor allem eines: Hygiene! Das ist nichts anderes, als was im 19. Jahrhundert der ungarische Chirurg und Gynäkologe Ignaz Semmelweis nahelegte und durchsetzte, um das Kindbettfieber zu bekämpfen.
Anti-Viren-Programme bieten keinen Schutz?
Natürlich nicht. Oft unterschätzen übrigens die Firmenchefs bis heute die Cyberrisiken. Es ist aber Sache des Top-Managements, die Informationen der Firma und der Kunden vor Gefahren abzuschirmen. Vom Staat können sie keine Hilfe erwarten. Der kann sie nicht schützen.
Was konkret würden Sie Firmen empfehlen?
Geben Sie ihnen meine Telefonnummer! Aber im Ernst: Cyberkriege sind auch ein Ersatz für die traditionellen Waffengänge
Ex-Mossadchef Tamir Pardo. geworden. Im Gegensatz zu Kanonen und Bomben sind Cyberwaffen lautlos. Ohne dass Blut fließt, können sie die tödliche Wirkung einer Atombombe haben. Wenn man das Land des Feindes nicht besetzen will, ist sie aus zwei Gründen eine sehr effiziente und nützliche Waffe. Erstens ist der Angreifer unsichtbar. Das macht die Verteidigung so viel schwieriger als im traditionellen Krieg.
Und zweitens?
Sie ist um Größenordnungen billiger als eine Flotte von KampfJets. Mit nur einem Bruchteil der Summe, die man für einen B-52Bomber zahlen muss, lässt sich auf der Welt ein größeres Chaos anrichten als ein Kampfjet, selbst wenn er mit Nuklearbomben vollgepackt wäre. Ich bin mir nicht sicher, ob die Politik die Tragweite der Cyberrisiken begriffen hat. Diese unsichtbare Waffe kann zudem die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringen. Der Einsatz der Cyberwaffe könnte zu Tohuwabohu und Unordnung führen. Dazu braucht es keine Experten mit einer teuren Spezialausbildung. Smarte Computerfreaks sind zum Beispiel schon als Teenager in der Lage, in Krankenhäusern, im Flugverkehr oder in den Städten Unheil anzurichten. Was für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft unerlässlich ist, muss deshalb unbedingt besser geschützt werden. Es braucht eine Abschreckungsstrategie für Cyber-Angriffe.
Wie soll die aussehen?
Sie müsste sich auf jeden Fall auch gegen Kriminelle, das organisierte Verbrechen oder gegen Industriespione richten. Auch in der Politik stellen Bots und die Verbreitung von Falschinformationen eine Gefahr dar, und zwar auf globaler Ebene. Sie zielen darauf ab, die Gesellschaft zu schwächen, zu spalten und die Legitimation von gewählten Politikern zu negieren. Die Verunsicherung und das Spalten der Öffentlichkeit können beim Einsatz der Cyberwaffe ein wichtiges Ziel einer fremden Macht sein. Für den Westen ist das derzeit die größte Herausforderung, mit der er konfrontiert ist.
Smarte Computerfreaks sind schon als Teenager in der Lage, in Krankenhäusern, im Flugverkehr oder in den Städten Unheil anzurichten.