Ein Land in Dauerquarantäne
Nordkorea hat sich in der Corona-Pandemie vollständig isoliert – Führung nutzt Abwesenheit westlicher Beobachter aus
Wer durch den Hinterhof des traditionellen Pekinger Ziegelbaus schreitet, betritt eine geradezu surreale Welt: Nordkoreanische Propagandakunst und Filmposter hängen an den Wänden, auf eine Leinwand wird eine Dokumentation über die Architektur von Pjöngjang in Endlosschleife projiziert. Was als Museumsausstellung durchgehen würde, ist tatsächlich der kreative Versuch einer Reiseagentur, sich im Corona-Jahr wirtschaftlich über Wasser zu halten: Da derzeit keine Trips nach Nordkorea möglich sind, verkauft der Unternehmensgründer von „Koryo Tours“seine persönliche Sammlung an Propagandakunst aus dem Kim-Regime.
„Wir machen gerade mal genau so viel Umsatz damit, dass es den Aufwand lohnt“, sagt Simon Cockerell ein paar Tage nach der Ausstellung. Cockerell, ein jovialer Brite mit breitem Lächeln und kahlem Kopf, ist der Geschäftsführer einer Reiseagentur, die ihr Geschäft praktisch ausschließlich mit Touren in das abgeschottete Land verdient. Er selbst ist in den letzten 18 Jahren rekordverdächtige 182 Mal nach Nordkorea gereist. Doch damit ist auf absehbare Zeit Schluss. Das Kim-Regime hat nicht nur im Januar als erstes seine Landesgrenzen geschlossen, sondern wird sie wohl auch als letztes wieder öffnen.
Für „Koryo Tours“kommt zudem erschwerend hinzu, dass sich ihr Firmensitz in Peking befindet – auch China lässt derzeit kaum Ausländer ins Land. Deshalb steckt derzeit eine Mitarbeiterin auf dem Inselstaat Tonga fest, ein anderer in der Mongolei und auch Firmengründer Nick Bonner hockt seit Januar unfreiwillig in seiner Heimat
England. „Es gab schon früher mehrere Pandemien, bei denen Nordkorea die Grenzen dicht gemacht hat – etwa Sars oder Ebola“, sagt Geschäftsführer Cockerell stoisch: „Aber das hier ist die bei weitem schwerwiegendste Krise“.
In Provinzkliniken fehlt fließendes Wasser
Und sie sagt viel über den Corona-Umgang des Landes aus. Einerseits sind radikale Grenzschließungen für einen Staat mit einem derart katastrophalen Gesundheitssystem wie Nordkorea absolut lebensnotwendig. Wer bei ehemaligen Entwicklungshelfern im Land nachfragt, bekommt beklemmende Anekdoten zu hören: Besonders in abgelegenen Provinzen hätten die Spitäler oftmals nicht mal Zugang zu fließend Wasser, an Antibiotika sei nicht mal zu denken. Bedenkt man zudem die systematische Mangelernährung breiter Bevölkerungsschichten, lässt sich leicht ausmalen, dass das Virus in Nordkorea für eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate sorgen würde.
Gleichzeitig jedoch dient die Abschottung auch der Propaganda des Kim-Regimes, die seit der Staatsgründung proklamiert, dass die Kim-Dynastie sein Volk vor den Gefahren des als feindlich wahrgenommenen Auslands schützt. Insofern geht die Botschaft durchaus auf: Denn während in den reichsten Ländern weltweit täglich Tausende Menschen sterben, ist Nordkorea laut Angaben der Staatsmedien bislang ohne Infektionen durch die Krise gekommen. Zwar gab es mehrere Tausend Verdachtsfälle, diese sind jedoch in Quarantäne gesteckt worden.
Mindestens zwei Hinrichtungen seit September
Natürlich lassen sich die offiziellen Statistiken nicht überprüfen. Unter normalen Umständen gäbe es zumindest noch eine Hand voll Journalisten vor Ort in Pjöngjang, etwa von der russischen Nachrichtenagentur TASS, sowie die diplomatische Gemeinschaft und NGO-Mitarbeiter. Doch diese sind mittlerweile längst alle ausgereist. Die fehlende Kontrolle durch die internationale Gemeinschaft soll laut einer Stellungnahme von acht Mitgliedsländern des UN-Sicherheitsrats, darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten, zu zunehmenden Menschenrechtsverbrechen geführt haben. Bereits im September hat der südkoreanische Geheimdienst von mindestens zwei Hinrichtungen in Pjöngjang berichtet.
Doch jüngst deuten sich auch wieder positive Entwicklungen im Land an. Angeblich soll das KimRegime ausreichend Dosen den russischen Sputnik V-Impfstoffs aufgekauft haben, auch wenn die Meldung der japanischen Zeitung Asahi bislang nicht offiziell bestätigt wurde.
Die Nordkorea-Reiseagentur „Koryo Tours“in Peking hegt zumindest vorsichtige Hoffnung darauf, dass das Land im Spätsommer seine Grenzen allmählich wieder öffnen könnte. „Die Frage ist jedoch, wie groß der Bedarf ist: Wenn man über ein Jahr lang nicht reisen konnte, wird man seinen ersten Trip vielleicht nicht unbedingt nach Nordkorea machen“, sagt Simon Cockerell.