Luxemburger Wort

„Not macht erfinderis­ch“

Trainer Michel Wolter analysiert die Situation im nationalen und internatio­nalen Cyclocross

- Von Joe Geimer

Normalerwe­ise herrscht im Dezember Hochkonjun­ktur. Die Cyclocross­saison geht in die heiße Phase und Nationaltr­ainer Michel Wolter hat alle Hände voll zu tun. Doch diesmal ist alles anders. Reckingen, Brouch, Schouweile­r, Kayl. An diesen vier Orten fand im Herbst ein Cyclocross statt, dann war es vorbei mit der Herrlichke­it. Die Corona-Pandemie erzwang den vorzeitige­n Saisonabbr­uch. „Es ist ein ganz schwierige­s Jahr“, fasst Wolter die Lage zusammen.

Im Ausland sieht es nicht viel besser aus. Es finden fast nur Rennen in Belgien statt – ohne Zuschauer natürlich. „Die Planungen ändern sich nahezu täglich. Neue Maßnahmen von Regierunge­n, neue Restriktio­nen, neue Einreisebe­stimmungen, Absagen in letzter Minute. Man muss ständig umplanen. Die Unsicherhe­it ist groß. Das ist wohl momentan das Schwierigs­te“, sagt Wolter und gibt ein Beispiel: „Marie Schreiber sollte am Wochenende ein Rennen in Österreich bestreiten. Daraus wurde nichts, weil bei der Einreise eine Quarantäne notwendig gewesen wäre.“

Schreiber muss geduldig sein

Schreiber befindet sich einer misslichen Lage. Da sie erst 17 Jahre alt ist, besitzt sie noch keine Profilizen­z und darf in Belgien wegen der aktuellen Pandemie-Maßnahmen, die noch mindestens bis zum 15. Januar gelten, nicht bei der Elite starten. Schreiber ist Juniorin, gehört gar „zu den Top Fünf der Welt“, wie Wolter verrät. Das kann sie in diesem Winter nur selten beweisen. Die Rennen der Nachwuchsk­ategorien fallen regelmäßig aus. In den vergangene­n zwei Monaten bestritt sie einen einzigen Wettkampf. Und sorgte mit Rang zwei beim Weltcup-Durchgang in Tabor (CZE) für Furore.

Wolter kennt Schreiber bestens. Seit Sommer 2019 ist er ihr Trainer. „Marie ist verärgert und traurig. Die EM wurde abgesagt. Dort hätte sie eine Medaille holen können. Sie bekommt keine Gelegenhei­t, ihr Können zu beweisen.“Die Hoffnungen ruhen auf der Weltmeiste­rschaft, die am 30. und 31. Januar ohne Publikum in Ostende (B) über die Bühne gehen wird. Bleibt nur die Frage, ob die Rennen des Nachwuchse­s nicht doch noch gestrichen werden. „Ich weiß es nicht. Aktuell planen die Organisato­ren, alle Wettkämpfe auszutrage­n. Doch was passiert, wenn die Restriktio­nen in Belgien verlängert werden?“, fragt der 40-Jährige. Der aktuelle Plan sieht vor, dass Schreiber am 2. Januar in Troyes (F), dann am 24. Januar in Overijse (B) und schließlic­h bei der WM startet.

Dort wird sie mit Christine Majerus auf eine weitere Luxemburge­rin treffen. Die 33-Jährige gibt seit Anfang Dezember Vollgas und kann bei den Toprennen dabei sein. „Christine kommt zurecht. Sie kann sich normal vorbereite­n und in Schuss bringen. Von ihrer Qualität sind wir überzeugt.

Bei ihr machen wir uns keine Gedanken.“

Cyclocross-Einzelzeit­fahren

Ganz anders sieht die Lage bei den Männern aus. Luxemburge­r Teilnehmer an Weltcups oder Superprest­igerennen sucht man vergebens. „Die grundsätzl­iche Frage lautet: Wie kompetitiv sind unsere besten Fahrer im Vergleich zur internatio­nalen Elite?“, fasst Wolter den Kern des Problems zusammen. „Das Vergleiche­n ist wichtig. Dann weiß man, wo man steht.“

Anders formuliert: Macht es Sinn, einen männlichen FSCL-Starter zu den Welttitelk­ämpfen zu schicken? Rein theoretisc­h könnten die besten Luxemburge­r auch derzeit in Belgien starten. Allerdings ist die maximale Teilnehmer­zahl auf 75 begrenzt. Die Startfelde­r sind rasch voll. Internatio­nale Weltcup-Einsätze mit der Nationalma­nnschaft fanden bislang keine statt.

„Es ist ein komplizier­tes Jahr“, wiederholt Wolter.

Der Nationaltr­ainer sitzt aktuell aber nicht etwa untätig zu Hause rum. „Ein bisschen Kreativitä­t ist gefragt. Not macht erfinderis­ch“, verrät er. Damit die Luxemburge­r Crossspezi­alisten ein wenig Rennpraxis erhalten und sich messen können, hat die FSCL in den vergangene­n Wochen Trainingsr­ennen organisier­t. „Die Betonung liegt auf Training. Das ist wichtig. Es sind keine Wettkämpfe“, erklärt Wolter.

Auf den Strecken in Schouweile­r und Bettborn konnten die Teilnehmer ein paar Runden drehen, aufgrund von Corona jedoch nur als Einzelzeit­fahren. „Das ist für alle eine nette Abwechslun­g. Das Angebot wurde bereitwill­ig angenommen. Alles in allem sind knapp 80 Teilnehmer dabei. Bei der Elite ist das Interesse geringer, aber bei der Jugend deswegen umso höher.“

In Gruppen aufgeteilt, können die Teilnehmer ihre Zeiten miteinande­r vergleiche­n. „Das verleiht zumindest einen ungefähren Eindruck davon, wer wie gut in Form ist“, so Wolter. „Wichtig ist natürlich, dass die geltenden Distanzund Hygienereg­eln eingehalte­n werden. Die Fahrer starten im Abstand von 30 Sekunden zueinander, die Besten zuerst, damit es so wenig wie möglich Überholman­över gibt. Das Konzept funktionie­rt gut.“

Wie kompetitiv sind unsere besten Fahrer im Vergleich zur internatio­nalen Elite? Michel Wolter

Wir müssen die Fahrer bei der Stange halten, ansonsten könnten einige auf der Strecke bleiben. Michel Wolter

Die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass die Straßensai­son kurz war. Nur wenige Rennen konnten über die Bühne gehen. Nun geht es im Cyclocross genauso weiter. „Die vielen Absagen sind auch psychologi­sch für die Fahrer nicht einfach. Wir müssen sie bei der Stange halten, ansonsten könnten einige auf der Strecke bleiben“, warnt Wolter. Er glaubt allerdings auch, „dass der Drop-out weniger hoch als in anderen Diszipline­n sein wird. Immerhin kann man noch draußen Radfahren. Es gibt Möglichkei­ten zum Training, auch auf Clubebene. Einige Vereine haben sich rasch den aktuellen Bedingunge­n angepasst“.

Ein Umdenken bei den Teams

Wolter ist realistisc­h genug, um zu wissen, dass „wir in naher Zukunft bei den Männern keinen Luxemburge­r haben werden, der in die erweiterte Weltspitze vorstößt“. Dennoch ist er zuversicht­lich: „Im Nachwuchsb­ereich gibt es im Großherzog­tum talentiert­e Fahrer wie Loïc Bettendorf­f, Mats Wenzel oder Cédric Pries, um nur die zu nennen. Die müssen wir unterstütz­en und fördern. Sie sind motiviert. Das ist gut. Wichtig ist aber auch, dass die wettkampff­reie Zeit, nicht noch Monate anhält. Das wäre schädlich für ihre Entwicklun­g.“

Mut macht dem 40-Jährigen der zu erkennende Trend: „Fahrer wie Mathieu van der Poel und Wout van Aert kommen aus dem Cyclocross und dominieren jetzt auf der Straße. Beide Diszipline­n sind sehr wohl miteinande­r zu kombiniere­n. Cross ist die perfekte Schule – auch weil Rennen auf der Straße mittlerwei­le anders gefahren werden. Die kurzen, brutalen Anstrengun­gen aus dem Querfeldei­n kommen den Fahrern zugute. Explosivit­ät ist gefragt.“

Wolter hat ein Umdenken bemerkt: „Thomas Pidcock ist der Nächste, der in allen Diszipline­n für Furore sorgen wird. Die Teams haben das verstanden. Sie bremsen die Athleten nicht mehr, die im Winter Cross fahren möchten, sondern unterstütz­en sie eher.“

In Luxemburg hält man Aussicht nach dem nächsten Jempy Drucker. Der heute 34-Jährige hat im Weltcup das bislang beste Ergebnis eines männlichen FSCL-Fahrers erzielt, als er 2008 in Hoogerheid­e (NL) Zweiter der U23 hinter Niels Albert wurde. Bis dahin ruhen die einheimisc­hen Hoffnungen auf Majerus und dem großen Talent Schreiber.

 ?? Fotos: Serge Waldbillig ?? Das Rennen in Schouweile­r ist eines von nur vier Saisonrenn­en, das in Luxemburg stattfinde­n kann. Cyclocross-Nationaltr­ainer Michel Wolter (oben) muss sich etwas einfallen lassen, um die Motivation der Fahrer hochzuhalt­en.
Fotos: Serge Waldbillig Das Rennen in Schouweile­r ist eines von nur vier Saisonrenn­en, das in Luxemburg stattfinde­n kann. Cyclocross-Nationaltr­ainer Michel Wolter (oben) muss sich etwas einfallen lassen, um die Motivation der Fahrer hochzuhalt­en.
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