Silvester im Schwitzbad
Der „Rule Taproom“ist voll an diesem Adventssamstagabend. Zwar stehen – dem vorgeschriebenen sozialen Abstand geschuldet – nur noch zwei Gästetische in der Moskauer Kneipe. Aber an der Theke drängen sich etwa 80 junge Leute und trinken Bier, nur zwei von ihnen tragen eine Schutzmaske. „Sie machen jetzt um elf dicht“, lacht Dmitri, der seinen Winterparka erst gar nicht ausgezogen hat, „umso schneller müssen wir uns amüsieren.“
Covid-19 müht sich, auch Russland die Festtage zu verderben. Nach vorläufigen Angaben sterben im Dezember täglich 450 bis 600 Menschen, nach den Zahlen des russischen Statistikamtes könnte diese Todesrate noch auf 1 000 steigen. Aber auch in Russland graulen sich die Menschen nicht gern vor Zahlen. Fast wirkt die deutschsprachige Diaspora in Moskau unfroher als die Russen – auch wegen der Lockdown-Nachrichten aus der Heimat. Wegen dort drohender Quarantänen haben einige meiner deutschen Bekannten den Weihnachtsurlaub zuhause gestrichen. Der traditionelle Adventsmarkt in der Deutschen Schule fällt aus, auch das Krippenspiel in der Botschaft der Bundesrepublik. Der ökumenische Gottesdienst am Heiligabend findet aus Hygienegründen unter freiem Himmel statt. Die orthodoxen Kirchen aber bleiben geöffnet. Russland möchte sich im Gegensatz zur ersten Pandemiewelle im Frühjahr nicht rigoros einschränken. Immerhin, im stark verseuchten Petersburg müssen die Gaststätten über Neujahr dicht machen. In Moskau aber will man nur auf die Weihnachtsmärkte verzichten. Im benachbarten Twer werden sie gerade aufgebaut. „Silvester zieht aus Moskau ins Umland um“, titelt die Zeitung „Kommersant“. Die Ferienheime in der Moskauer Region verlangen von ihren Neujahrsgästen einen negativen Covid-19-Test.
Sicher, Corona beeinträchtigt auch in Russland die private Planungssicherheit. Unlängst warnte Gesundheitsminister Michail Muraschko, angesichts der Ansteckungsherde müsse man vielleicht die Bewegungen physischer Personen zwischen den russischen Regionen einschränken. Dann würde auch unsere übliche Neujahrsreise nach Tscheboksary ausfallen, zur Familie meiner Frau. Doch das Ministerium beeilte sich, Muraschkos Worte als „aus dem Zusammenhang gerissen“zu dementieren. Glück gehabt …
„Natürlich warten wir zu Neujahr auf Euch!“, sagt mein Schwager Oleg am Telefon. „Und natürlich feiern wir auf der Datscha!“Sein Schwiegervater werde wie immer das Schwitzbad anheizen. Corona hin oder her, Russland will feucht und fröhlich ins Jahr 2021 hineinrutschen.