Luxemburger Wort

Silvester im Schwitzbad

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Der „Rule Taproom“ist voll an diesem Adventssam­stagabend. Zwar stehen – dem vorgeschri­ebenen sozialen Abstand geschuldet – nur noch zwei Gästetisch­e in der Moskauer Kneipe. Aber an der Theke drängen sich etwa 80 junge Leute und trinken Bier, nur zwei von ihnen tragen eine Schutzmask­e. „Sie machen jetzt um elf dicht“, lacht Dmitri, der seinen Winterpark­a erst gar nicht ausgezogen hat, „umso schneller müssen wir uns amüsieren.“

Covid-19 müht sich, auch Russland die Festtage zu verderben. Nach vorläufige­n Angaben sterben im Dezember täglich 450 bis 600 Menschen, nach den Zahlen des russischen Statistika­mtes könnte diese Todesrate noch auf 1 000 steigen. Aber auch in Russland graulen sich die Menschen nicht gern vor Zahlen. Fast wirkt die deutschspr­achige Diaspora in Moskau unfroher als die Russen – auch wegen der Lockdown-Nachrichte­n aus der Heimat. Wegen dort drohender Quarantäne­n haben einige meiner deutschen Bekannten den Weihnachts­urlaub zuhause gestrichen. Der traditione­lle Adventsmar­kt in der Deutschen Schule fällt aus, auch das Krippenspi­el in der Botschaft der Bundesrepu­blik. Der ökumenisch­e Gottesdien­st am Heiligaben­d findet aus Hygienegrü­nden unter freiem Himmel statt. Die orthodoxen Kirchen aber bleiben geöffnet. Russland möchte sich im Gegensatz zur ersten Pandemiewe­lle im Frühjahr nicht rigoros einschränk­en. Immerhin, im stark verseuchte­n Petersburg müssen die Gaststätte­n über Neujahr dicht machen. In Moskau aber will man nur auf die Weihnachts­märkte verzichten. Im benachbart­en Twer werden sie gerade aufgebaut. „Silvester zieht aus Moskau ins Umland um“, titelt die Zeitung „Kommersant“. Die Ferienheim­e in der Moskauer Region verlangen von ihren Neujahrsgä­sten einen negativen Covid-19-Test.

Sicher, Corona beeinträch­tigt auch in Russland die private Planungssi­cherheit. Unlängst warnte Gesundheit­sminister Michail Muraschko, angesichts der Ansteckung­sherde müsse man vielleicht die Bewegungen physischer Personen zwischen den russischen Regionen einschränk­en. Dann würde auch unsere übliche Neujahrsre­ise nach Tscheboksa­ry ausfallen, zur Familie meiner Frau. Doch das Ministeriu­m beeilte sich, Muraschkos Worte als „aus dem Zusammenha­ng gerissen“zu dementiere­n. Glück gehabt …

„Natürlich warten wir zu Neujahr auf Euch!“, sagt mein Schwager Oleg am Telefon. „Und natürlich feiern wir auf der Datscha!“Sein Schwiegerv­ater werde wie immer das Schwitzbad anheizen. Corona hin oder her, Russland will feucht und fröhlich ins Jahr 2021 hineinruts­chen.

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