Hoffen auf stille Nächte
Stille gehört nicht unbedingt zu den Eigenschaften, die mit der amerikanischen Hauptstadt in Verbindung gebracht werden. Selbst während der Covid-19-Pandemie erlebte Washington leidenschaftliche Proteste gegen den gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd unter dem Knie eines weißen Polizisten und wütende Drohungen enttäuschter Anhänger des Wahlverlierers Donald Trump.
Doch verglichen mit der Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie ist es für die Stadtbewohner spürbar ruhiger geworden. Die trendigen Restaurants, in denen es vor Covid-19 ohne Reservierung mehrere Tage vorher am Wochenende keinen Tisch gab, ringen ums Überleben. Oder haben bereits geschlossen. Weihnachtsfeiern finden dieses Jahr nicht statt.
Angesichts der außer Kontrolle geratenen Pandemie dürfte es an Heiligabend zwischen der Connecticut Avenue und der 14. sehr ruhig werden. Durch unsere Fenster drängt gewiss nicht das gewöhnlich lebhafte Durcheinander der Stimmen vergnügter Menschen in Feierlaune in die Wohnung.
Wir erwarten stille Nächte in diesen Weihnachtstagen; eine besinnliche Zeit mit unseren erwachsenen Kindern und ein paar wenigen Covid-19-getesteten Freunden, die den Blick auf das Wesentliche richten: Die Ankunft neuer Hoffnung in einer in Dunkelheit gefangenen Welt.
Wie die Geburt eines Flüchtlingskinds in einem Stall von Bethlehem vor mehr als 2 000 Jahren bis heute die mit rund 2,3 Milliarden Gläubigen der größten Religionsgruppe der Welt spirituell inspiriert, lassen sich in diesem Jahr zusätzlich ganz irdische Hoffnungssignale ausmachen.
Mit der Verfügbarkeit der ersten Impfstoffe zeichnet sich Licht am Ende des Pandemie-Tunnels ab. Nicht minder Mut macht das bevorstehende Ende einer nihilistischen Präsidentschaft, die jeden Anstand vermissen ließ und alle Normen des zivilen Miteinanders in einer Demokratie infrage stellte.
Persönlich habe ich nach diesem auf vielerlei Ebenen herausforderndem Jahr nichts gegen ruhigere Tage ohne überfüllte Läden, Weihnachtsschnulzen auf Endlosschleife und Konsumterror.
Ich freue mich auf ein gutes Mahl, eine schöne Flasche Wein und tiefschürfende Gespräche.
Und hoffe auf eine wirklich stille Weihnachtsnacht. Eine, die nicht von den Sirenen der Krankenwagen unterbrochen wird, die von der benachbarten Wache ausrücken, um Nachbarn zu retten, denen Covid-19 an diesem Heiligabend die Luft abzuschnüren droht.