Luxemburger Wort

„Der Spuk ist nicht vorbei“

Der Historiker Norbert Finzsch über den Angriff auf das Kapitol und die Zukunft der USA

- Interview: Stefan Schocher

Überall auf der Welt hat der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in der US-Hauptstadt Washington für Entsetzen gesorgt. Der Historiker Norbert Finzsch, der zuletzt Gastprofes­suren an der FU Berlin und der Sigmund Freud Privatuniv­ersität Wien innehatte, ordnet die Ereignisse ein und erklärt, was für den künftigen Präsidente­n Joe Biden auf dem Spiel steht.

Norbert Finzsch, ist das, was sich in Washington zugetragen hat, denn der Tief- und Endpunkt der Ära Trump, oder ist das viel eher erst der Anfang eines Prozesses, der noch viel gefährlich­er werden kann?

Dieser Konflikt, der da zutage tritt, ist viel älter als die TrumpAdmin­istration. Ich meine diese Teilung der US-Gesellscha­ft. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die sich benachteil­igt fühlen, weil sie weiß sind und zur Arbeiterkl­asse gehören und glauben, dass Migranten und Schwarze ihnen etwas wegnehmen. Dazu kommt ein tief sitzendes Misstrauen gegen den Staat. Das gab es in Summe schon, bevor Donald Trump im Weißen Haus saß – es hat aber durch Trump einen Weg gefunden, sich öffentlich zu äußern. Daher glaube ich, dass dieser Spuk nicht vorbei ist – eben, weil es Trump gelungen ist, Gruppen am äußersten Rand des rechten Spektrums zu mobilisier­en und er diesen Gruppen ein Podium bietet, ihre Ideen zu verbreiten. Trump an sich ist womöglich politisch erledigt, aber er wird nach wie vor eine Rolle spielen. Er wird seine Anhänger auffordern, künftig den (ultrakonse­rvativen Senator, Anm. d. Red.) Ted Cruz zu unterstütz­en. Vizepräsid­ent Pence kommt für ihn nicht mehr in Frage. Aber die Problemati­k wird weiter da sein. Und die Frage wird sein, ob Joe Biden es schafft, in den nächsten vier Jahren die übelsten Auswüchse dieser Entwicklun­gen abzuwenden.

War der Sturm auf das Kapitol Ihrer Ansicht nach denn eine geplante Aktion oder war das spontan?

Ich glaube, dass das eine geplante Aktion war. Dazu muss man sich die Reden Trumps im Vorfeld ansehen. Er sagt da in sehr deutlichen Worten, dass er sich erwartet, dass seine Anhänger zum Kongress ziehen. Ähnliches war vonseiten seiner Familie zu hören. Da haben einige unverhohle­n dazu aufgerufen, mit Gewalt vorzugehen.

Kann Trump all das letztlich in Freiheit überleben?

Das ist nicht ohne Weiteres zu beantworte­n. Es gäbe die Möglichkei­t, den 25. Zusatzarti­kel zur Verfassung anzuwenden. Vizepräsid­ent Pence müsste dazu aber sagen, dass Trump nicht im Stande ist, die Geschäfte zu führen. Und mit einem Amtsentheb­ungsverfah­ren ist nicht mehr zu rechnen. Ob Trump nach Ablauf seiner Amtszeit vor Gericht gestellt werden kann, ist auch nicht klar. Ich gehe aber davon aus, dass das möglich wäre. Aber auch das setzt die Kooperatio­n von Pence voraus. Pence muss sich zugleich aber auch überlegen, was mit der republikan­ischen Partei passiert. Denn mit der Ausnahme von sieben Mandataren haben ja alle die Wahl anerkannt. Jetzt wird man bei den Republikan­ern versuchen müssen, den größten Schaden abzuwenden. Pence könnte Trump letztlich begnadigen, weil er ihn für geistig nicht zurechnung­sfähig hält. Aber das ist reine Spekulatio­n.

Was bedeutet das für die Republikan­er? Die waren ja bereits vor Trump viel eher ein Konglomera­t aus mehreren Gruppen als eine Partei?

Man muss dabei zugleich auch sehen, dass die Demokraten ebenfalls aus mindestens drei Gruppen bestehen. Da gibt es etwa die Bluedogs, die sich eher mit den gemäßigten Republikan­ern als den Linken der eigenen Partei verstehen. Ich kann mir vorstellen, dass es da zu einer Kooperatio­n über Parteigren­zen hinweg kommt. Aber die Republikan­er werden sich an ihren rechten Rändern weiter radikalisi­eren.

Droht eine Fortsetzun­g dieser Eskalation­sspirale?

Mich hat das Ganze sehr an die Vorgänge von 1856 bis 1860 erinnert. 1856 ist im Senat ein Senator von einem Kollegen mit einem Stock fast totgeschla­gen worden. Seit diesem Zeitpunkt sind Senatoren und Abgeordnet­e mit Dolchen und Pistolen in die Sitzungen gegangen. Es gab Unruhen, bei denen Abgeordnet­e bedroht und verletzt wurden. 1860 hat der Bürgerkrie­g begonnen. Und vergessen wir nicht, dass die Köpfe der Bürgerkrie­gsparteien zuvor im Kongress waren. Diese Gefahr besteht auch jetzt.

Aber hat Trump denn noch Unterstütz­er in dieser Breite – sowohl in der Gesellscha­ft als auch im politische­n Establishm­ent?

Da stecken die Proud Boys (rechtsradi­kale Gang, Anm .d. Red.) dahinter, die Oath Keepers (rechtsradi­kale Miliz, Anm. d. Red.), da stecken Rechtsradi­kale vom Schlag der Stormfront (Neonazi-Blogger, Anm. d. Red.) dahinter. Das geht alles von rechtsradi­kalen Milizen aus. Auf politische­r Ebene wiederum steckt das Kalkül dahinter, dass Ted Cruz Präsident werden möchte. Er legt es darauf an, die Spaltung der Gesellscha­ft zu vertiefen – als einer, der in den Augen dieser Leute nicht in die Knie gegangen ist wie Pence. Denn im Großen und Ganzen ist der Kern der Republikan­er umgefallen. Aber die einzigen, die Haltung gezeigt haben aus der Perspektiv­e der Trump-Unterstütz­er, waren die im Kreis um Ted Cruz. Und der will 2024 im Rennen um die Präsidents­chaft dabei sein.

Der Historiker Norbert Finzsch bleibt optimistis­ch.

Was bedeutet das alles für den künftigen Präsidente­n Joe Biden?

Joe Biden befindet sich letztlich in einer relativ komfortabl­en Situation, weil er eine Mehrheit im Senat und Kongress hat – wenn alle anwesend sind. Einen Filibuster kann er aber nicht verhindern.

Und in zwei Jahren sind MidtermEle­ctions, da wird man sehen, ob die Demokraten die Mehrheit ausbauen können. Ich glaube das nicht. Wenn Biden also etwas bewegen kann, dann innerhalb der nächsten zwei Jahre. Das, was sich jetzt zugetragen hat, ist freilich eine wahnsinnig­e Bürde, eine riesige Belastung. Die Lage erinnert an die Roosevelts 1933 am Höhepunkt der Weltwirtsc­haftskrise. Roosevelt hat Vertrauen entstehen lassen und damit radikalen rechten wie linken Strömungen das Wasser abgegraben. Das muss Biden jetzt schaffen. Er muss kommunizie­ren, muss dauernd präsent sein, muss erklären, was er tut und warum er es tut. Und er muss beweisen, dass er nicht das – wie es einer jener ausgedrück­t hat, die den Kongress gestürmt haben – „Communist piece of shit“ist, für das er von seinen Gegnern gehalten wird.

Trauen Sie ihm das zu – nicht zuletzt auch angesichts seines Alters?

Ja, das traue ich ihm zu. Die Rede im Zusammenha­ng mit diesem Putschvers­uch war gut. Die war spontan, die war nicht abgelesen, die war sehr gut. Und Kamala Harris wird es auch schaffen, genau das zu kommunizie­ren. Vor allem aber auch: Biden kann auf eine Truppe bewährter ObamaMitar­beiter zurückgrei­fen. Das sind alte erfahrene Kollegen, die kennen das Geschäft. Biden kann das schaffen.

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Foto: AFP Der Sturm auf das Kapitol hat die amerikanis­che Demokratie in ihren Grundfeste­n erschütter­t.
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Foto: Uni Köln

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