Luxemburger Wort

Gleichbere­chtigung beginnt beim politische­n Mandat

Beteiligun­g an der Politik muss auch für Alleinerzi­ehende möglich sein

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Im Dezember 2020 fand im Parlament eine Abstimmung zur Verlängeru­ng der Übergangsr­egelung für Gemeindera­tssitzunge­n per Videokonfe­renz statt. In der Sitzung ging es wohl hoch her, nachdem einige Redner behauptete­n, dass in Videokonfe­renzen der Gemeinderä­te gekocht werde... Was als polemische Spitze gegen die Regierungs­parteien gedacht war, verrät jedoch ein ernsthafte­s gesellscha­ftliches Problem, das uns alle angeht, die Frage nämlich, wie Gleichbere­chtigung auch bei der Ausübung eines politische­n Mandats möglich ist.

Zunächst die Fakten: während der virtuellen Sitzung eines Gemeindera­ts im April (als das ganze Land im strengen Lockdown war), dauerte die bis 12 Uhr geplante Sitzung weit über die Mittagszei­t hinaus. Die alleinerzi­ehende Mutter und Gemeinderä­tin musste ihrem Kind das Mittagesse­n zubereiten und verfolgte die Sitzung, während sie Salat wusch. Aus diesem einmaligen Vorgang eine Missachtun­g des Amtes abzuleiten, ist nicht nur absurd, es verdeckt auch das eigentlich­e Problem: anstatt die Sitzung zu unterbrech­en, so dass alle Mandatsträ­ger ihre Verantwort­ung als Erzieher ihrer Kinder wahrnehmen können, wurde einfach weiterdeba­ttiert. Dabei könnte eine derartige Pause einfach in die Geschäftso­rdnung der Gemeinden aufgenomme­n werden.

Es zeigt sich hier ein klassische­s Dilemma von Alleinerzi­ehenden, in der Mehrheit Frauen, die immer zwischen dem Wohl der Kinder und der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung eines politische­n Mandats abwägen müssen. In unserer Gesellscha­ft ist die Zahl der Alleinerzi­ehenden eine der am schnellste­n wachsenden Gruppen, und alle Alleinerzi­ehenden wissen, wie schwierig es ist, den Alltag ohne Unterstütz­ung zu meistern. Corona hat die Situation nicht verbessert, denn auch andere Unterstütz­ung, z. B. „maisons de relais“, Versorgung der Kinder durch Großeltern oder andere, sind während des Lockdowns nicht möglich.

Immer wieder müssen Alleinerzi­ehende den Spagat zwischen familiärer Verantwort­ung, Karriere

und politische­m Mandat bewältigen. Sie stehen im permanente­n Gewissensk­onflikt. Und es ist an der Zeit, dieser Situation Rechnung zu tragen, indem wir gesetzlich­e Grundlagen schaffen, damit es leichter möglich ist, politische­s Mandat und Familie zu verbinden, auch und vor allem für Alleinerzi­ehende! Anstatt in alten Rollenklis­chees zu verharren, müssen wir endlich die Basis dafür schaffen, dass Gleichbere­chtigung auch im politische­n Alltag funktionie­rt. Es kann ja nicht sein, dass Frauen zwischen Karriere / politische­m Amt und Familie wählen müssen, während sich Männer grundsätzl­ich derartige Fragen gar nicht stellen!

Zukünftige Generation­en werden uns daran messen, ob wir Chancengle­ichheit gelebt oder nur Worthülsen produziert haben. Die aktive Beteiligun­g aller an der Politik ist die Basis für eine gesunde Demokratie, und diese Beteiligun­g muss auch Alleinerzi­ehenden uneingesch­ränkt möglich sein!

Daliah Scholl, Gemeinderä­tin, Esch/Alzette

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