Der Kampf um offene Grenzen
Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten heute via Telekonferenz über Impfungen und koordinierte Corona-Maßnahmen
Brüssel. Auch nach fast einem Jahr Pandemie wirkt die EU unkoordiniert. Gemeinsame Einreisebedingungen gibt es nicht wirklich – jedes Land kocht sein eigenes Süppchen – und auch die LockdownMaßnahmen sind von Land zu Land unterschiedlich. Sogar in sehr integrierten und verflochtenen Gebieten, wie etwa im Benelux oder in der Großregion herrschen unterschiedliche Regeln, je nachdem, auf welcher Seite einer Staatsgrenze (oder Regionalgrenze) man sich befindet.
Und auch beim Ausweg aus der Krise – nämlich den Impfkampagnen – herrscht Kakophonie. Während die luxemburgische Regierung die Strategie der EU-Kommission verteidigt, die darin besteht, im Namen aller EU-Staaten Impfdosen zu bestellen und auf
EU-Qualitätsstandards zu pochen, sind andere Staaten viel ungeduldiger. Die deutsche Bundesregierung erweckt etwa den Eindruck, dass sie im Alleingang Impfdosen bestellt, der Österreicher Sebastian Kurz setzt die europäische Arzneimittel-Agentur öffentlich unter Druck, um Impfmittel schneller zuzulassen und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán will sich Impfungen aus China oder Russland besorgen. „Es gibt in den Mitgliedstaaten Druck, um die Produktion und die Schnelligkeit der Impfungen zu erhöhen“, so ein EU-Diplomat.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Das Auftauchen von neuen Virus-Varianten, die noch ansteckender sind. Der EU-Gipfelpräsident fasst die derzeitigen Herausforderungen in seinem Einladungsschreiben
für den heutigen VideoGipfel, bei dem die EU-Staats- und Regierungschefs über die Pandemie-Bekämpfung beraten werden, wie folgt zusammen: „Die Infektionsraten in ganz Europa und das Auftreten neuer, ansteckenderer Varianten des Virus erfordern äußerste Vorsicht. Die Aussicht auf Impfungen ist ermutigend, aber wir müssen unsere Wachsamkeit beibehalten und unseren Test- und Rückverfolgungsansatz fortsetzen, während wir grenzüberschreitende Bewegungen in der EU zulassen.“
Wie genau die EU dabei vorgehen will, ist allerdings noch nicht klar. „Um eine bessere Koordinierung zu gewährleisten, möchte ich, dass wir uns über bewährte Verfahren für die in den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen austauschen“, schreibt Michel weiter.
Teil der Debatte wird auch der sogenannte Impfpass sein, den einige tourismusabhängige Staaten verlangen, um Reisen zu vereinfachen. Doch EU-Diplomaten warnen davor, unnötige Kontroversen wegen vager Konzepte loszutreten. Dafür sei es ohnehin verfrüht, so EU-Kreise, denn wesentlichere Fragen sind im Zusammenhang mit den Impfungen noch offen – sowohl aus wissenschaftlicher Sicht wie auch in Bezug auf die Impfpläne in den einzelnen Staaten.
Ausnahmen für Grenzpendler?
Insgesamt geht es demnach darum, der Gefahr von Grenzschließungen wegen unkoordinierter Maßnahmen vorzubeugen. Dass diese besteht, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ungewohnt klar gesagt. „Wenn
Länder ganz andere Wege gehen sollten, dann muss man auch bis zum Äußersten bereit sein und sagen: Dann müssen wir auch wieder Grenzkontrollen einführen.“
Für Luxemburgs Premier Xavier Bettel (DP) ist das Thema besonders brisant, da sowohl die Wirtschaft wie auch das Gesundheitswesen des Landes von offenen Grenzen abhängig sind. Der Premier wird sich demnach für den offenen Verkehr der Grenzpendler stark machen – wie er das seit dem Anfang der Pandemie auf EUEbene machen muss. Vieles wird dabei von der Haltung Deutschlands gegenüber den Grenzpendlern abhängig sein. Ziel der Luxemburger Regierung ist es, diese komplett aus den jeweiligen Einreisebeschränkungen herauszuhalten. dv