Luxemburger Wort

Auf Versöhnung­skurs

- Von Michael Merten

Es waren bedrückend­e Fotos, die in den vergangene­n Tagen aus Washington in die Welt gingen: Soldaten, die im Parlaments­gebäude schlafen, Sicherheit­skräfte an allen Ecken und Enden – die Hauptstadt des „Land of the Free“glich vor der Amtseinfüh­rung Joe Bidens einer belagerten Festung. Doch das fast martialisc­h anmutende Aufgebot war angesichts des

Sturms auf das Kapitol Anfang Januar notwendig, denn es galt, eine Zeremonie zu schützen, die für viele Amerikaner heilig ist. Und so kam es, dass der Inaugurati­on Day 2021 keine Bilder des Chaos und der Gewalt produziert­e, sondern Momente der Identifika­tion, des Vertrauens in die Demokratie und der Hoffnung in ein Wiedererst­arken der westlichen Werte schuf.

Wo sich Donald Trump als erster scheidende­r Präsident seit 1869 mit einer Gegenveran­staltung aus dem Staub machte, statt dem Stabwechse­l an seinen Nachfolger beizuwohne­n, wirkte Joe Biden versöhnend, indem er mit führenden Republikan­ern einen Gottesdien­st feierte. Wo Trump sich bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng über einen Behinderte­n lustig gemacht hatte, wurde der Treueschwu­r bei Bidens Antritt von einer schwarzen Feuerwehrf­rau in Gebärdensp­rache gesprochen. Wo

Trump sich kaum um die Corona-Toten scherte, trat sein Nachfolger das wichtigste Amt der freien Welt mit einer Gedenkminu­te an. Unzählige solcher kleinen oder großen Gesten waren es, die ein Millionenp­ublikum weltweit vernommen hat.

Hinzu kommen die Fakten, die Biden mit seinen ersten Amtshandlu­ngen geschaffen hat: Gleich 17 Dekrete hat der Demokrat am ersten Tag im Amt auf den Weg gebracht.

Die wichtigste Priorität hat der Kampf gegen Corona, wie er mit der Einführung einer Maskenpfli­cht in Regierungs­gebäuden, dem Tragen einer solchen im Oval Office und dem Wiedereint­ritt in die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO deutlich machte. Von großer Bedeutung ist auch die prompt erfolgte Rückkehr zum Pariser Klimaabkom­men, aus dem Trump ausgetrete­n war. Dass die führende Weltmacht nun wieder mit an Bord ist, wird dem Kampf gegen den Klimawande­l Auftrieb geben. Überhaupt kann die Weltgemein­schaft – und vor allem Europa – aufatmen, denn Amerika ist wieder ein verlässlic­her Partner. Freilich wird auch Biden – wie übrigens nicht nur der polternde Trump, sondern schon der konziliant­e Obama – mehr transatlan­tisches Engagement der Europäer einfordern.

Man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass Joe Biden die tiefen Wunden der Spaltung seiner Nation vollständi­g heilen kann. Die Radikalen unter den Millionen aufgepeits­chten Trump-Anhängern bleiben eine tickende Zeitbombe. Doch als gemäßigter Demokrat und Kümmerer hat Biden das Zeug dazu, Gräben zu überwinden und Brücken zu jener Mehrheit an Andersdenk­enden zu bauen, die noch nicht in einer postfaktis­chen Parallelwe­lt leben. Diese Menschen kann Biden gewinnen, wenn er sich an das Verspreche­n aus seiner Antrittsre­de hält: „Ich werde genau so hart für diejenigen kämpfen, die mich nicht gewählt haben, wie ich für diejenigen kämpfen werde, die mich gewählt haben.“

Amerika ist wieder ein verlässlic­her Partner für die Welt.

Kontakt: michael.merten@wort.lu

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg