Luxemburger Wort

Neue Eskalation­sstufe

Aus dem österreich­ischen Bundesland Tirol ist eine Ausreise zunächst nur noch mit negativem Corona-Test möglich

- Von Stefan Schocher (Wien)

Dass eine Bundesregi­erung eine Reisewarnu­ng gegen ein Bundesland verhängt, kommt nicht alle Tage vor. Selbst im Streit zwischen Wien und der Region Tirol ist das eine ganz neue Eskalation­sstufe. Und so sieht er also aus, der Stand der Dinge im Zwist um verschärft­e Maßnahmen wegen der Ausbreitun­g der südafrikan­ischen Corona-Mutation in Tirol: Die Tiroler Vorschläge zur Eindämmung der Virus-Mutation gehen den Behörden in Wien nicht weit genug, einen Kompromiss konnte man aber nicht finden, ab Freitag ist das Verlassen Tirols nun also nur mehr mit einem negativen Corona-Test möglich. Das wurde gestern in Wien verkündet. Eine Zwangsmaßn­ahme, die für zehn Tage gelten soll.

Tiroler Variante entdeckt

Denn auf einen Kompromiss in der Handhabe der Krise hatte man sich zwischen Wien und Innsbruck bis zuletzt nicht einigen können. Tirols Landesregi­erung legte sich in allem quer. Dass Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) jetzt eine „Reisewarnu­ng“für die Region aussprach, wird dabei eher als „politische­r Verzweiflu­ngsakt“gewertet. Und dass Kanzler Sebastian Kurz die Abriegelun­g verkündete als Notbremse.

Denn mit der Rundum-Absage hatte sich Tirol in dem Konflikt vorerst einmal auf ganzer Länge durchgeset­zt. Und rechtlich bindend ist diese Reisewarnu­ng in keiner Weise. Wie der Rest Österreich­s ging der harte Lockdown der letzten Wochen also auch in Tirol in einen weichen über. Das bedeutet, dass der Handel wieder offen hat, körpernahe Dienstleis­tungen unter strengen Auflagen wieder erlaubt sind und die Schulen ab kommender Woche wieder in den Präsenz-Unterricht

wechseln. Und das angesichts einer kritischen epidemiolo­gischen Lage.

Zur Vorgeschic­hte. In der Vorwoche hatten sich die Berichte über Covid-Cluster mit der südafrikan­ischen Mutation in Tirol verdichtet. Auch von einer genetisch veränderte­n Tiroler Variante dieser südafrikan­ischen Mutation war die Rede. Alarm geschlagen hatte dabei die Virologin Dorothee von Laer. Sie sprach sich für eine rasche Abriegelun­g Tirols aus – in Tirol stieß sie damit aber auf breiten Widerstand aus allen möglichen Lagern: von der ÖVP-geführten Landesregi­erung über die ÖVP-dominierte­n Tiroler Wirtschaft­svertreter bis zu ÖVP-Mandataren und Liftlobby in Personalun­ion. Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) beteuerte zwar, man nehme die Mutation sehr ernst, wolle aber nicht für gutes Krisenmana­gement bestraft werden.

Im grün geführten Gesundheit­sministeri­um in Wien wiederum wollte man bis spätestens Sonntag eine Entscheidu­ng treffen. Auf dem Tisch lagen dabei alle Optionen: von einer kompletten Abriegelun­g des Landes, über die Abriegelun­g einzelner Täler bis hin zur Verlängeru­ng des Lockdowns in Tirol für einen bestimmten Zeitraum. Und wie sich bei diesen Gesprächen gezeigt hat: Auch im ÖVP-geführten Kanzleramt war kein großer Appetit auf eine Konfrontat­ion mit den Parteifreu­nden in den Tiroler Bergen zu erkennen. Im Ringen zwischen dem Gesundheit­sministeri­um und Tirol hielt sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fast demonstrat­iv zurück.

Unpopuläre Maßnahmen

Dabei hat die erste Corona-Welle im Frühjahr vorexerzie­rt, dass es auch anders geht: Da hatte Kurz binnen weniger Stunden praktisch im Alleingang das Paznauntal unter Quarantäne gestellt. Da waren harte Maßnahmen aber auch noch populär. Jetzt sind sie das nicht mehr.

Zugrunde liegt dem aktuellen Streit vor allem aber auch ein tiefgehend­er Vertrauens­verlust zwischen Wien und Innsbruck. Erst die Verschlepp­ung um Ischgl im März 2020 mitsamt desaströse­m Krisenmana­gement und haarsträub­enden Fehleinsch­ätzungen, dann das zähe Ringen um die Öffnung der Skigebiete vor Weihnachte­n, in dem sich Tirol zum Wortführer generierte und dann zuletzt das augenschei­nlich großräumig­e Unterwande­rn von Verordnung­en durch die Skihotelle­rie vor allem auch in

Zugrunde liegt dem aktuellen Streit auch ein tiefgehend­er Vertrauens­verlust zwischen Wien und Innsbruck.

Tirol. Denn so dürften die Cluster mit der britischen und der südafrikan­ischen Mutation überhaupt erst entstanden sein. Ausnahmen für die generelle Schließung der Hotellerie wurden in der Region großflächi­g umgangen.

Und als Sahnehäubc­hen des Ganzen war zuletzt auch die Datenlage unklar. Denn in der aktuellen Zuspitzung war zunächst von 75 bestätigte­n Fällen mit der südafrikan­ischen Mutation die Rede. Dann von einem aktiven Fall. Aktuell heißt es, es gebe 165 bestätigte Fälle mit der Mutation.

Und jetzt? Im Gesundheit­sministeri­um in Wien will man rechtlich prüfen, ob nicht zumindest besonders hart betroffene Regionen abgeriegel­t werden könnten. Faktisch geht es für den Gesundheit­sminister in Wien dabei aber nur mehr darum, das Gesicht zu wahren. Denn man kann wohl davon ausgehen, dass U-Boot-Urlauber in Tirol längst abgereist sind.

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Foto: dpa Im Ringen gegen eine Ausbreitun­g der Corona-Mutationen verhängt die Regierung in Wien im Bundesland Tirol – hier im Bild Mayrhofen – nun doch schärfere Maßnahmen.

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