Neue Eskalationsstufe
Aus dem österreichischen Bundesland Tirol ist eine Ausreise zunächst nur noch mit negativem Corona-Test möglich
Dass eine Bundesregierung eine Reisewarnung gegen ein Bundesland verhängt, kommt nicht alle Tage vor. Selbst im Streit zwischen Wien und der Region Tirol ist das eine ganz neue Eskalationsstufe. Und so sieht er also aus, der Stand der Dinge im Zwist um verschärfte Maßnahmen wegen der Ausbreitung der südafrikanischen Corona-Mutation in Tirol: Die Tiroler Vorschläge zur Eindämmung der Virus-Mutation gehen den Behörden in Wien nicht weit genug, einen Kompromiss konnte man aber nicht finden, ab Freitag ist das Verlassen Tirols nun also nur mehr mit einem negativen Corona-Test möglich. Das wurde gestern in Wien verkündet. Eine Zwangsmaßnahme, die für zehn Tage gelten soll.
Tiroler Variante entdeckt
Denn auf einen Kompromiss in der Handhabe der Krise hatte man sich zwischen Wien und Innsbruck bis zuletzt nicht einigen können. Tirols Landesregierung legte sich in allem quer. Dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) jetzt eine „Reisewarnung“für die Region aussprach, wird dabei eher als „politischer Verzweiflungsakt“gewertet. Und dass Kanzler Sebastian Kurz die Abriegelung verkündete als Notbremse.
Denn mit der Rundum-Absage hatte sich Tirol in dem Konflikt vorerst einmal auf ganzer Länge durchgesetzt. Und rechtlich bindend ist diese Reisewarnung in keiner Weise. Wie der Rest Österreichs ging der harte Lockdown der letzten Wochen also auch in Tirol in einen weichen über. Das bedeutet, dass der Handel wieder offen hat, körpernahe Dienstleistungen unter strengen Auflagen wieder erlaubt sind und die Schulen ab kommender Woche wieder in den Präsenz-Unterricht
wechseln. Und das angesichts einer kritischen epidemiologischen Lage.
Zur Vorgeschichte. In der Vorwoche hatten sich die Berichte über Covid-Cluster mit der südafrikanischen Mutation in Tirol verdichtet. Auch von einer genetisch veränderten Tiroler Variante dieser südafrikanischen Mutation war die Rede. Alarm geschlagen hatte dabei die Virologin Dorothee von Laer. Sie sprach sich für eine rasche Abriegelung Tirols aus – in Tirol stieß sie damit aber auf breiten Widerstand aus allen möglichen Lagern: von der ÖVP-geführten Landesregierung über die ÖVP-dominierten Tiroler Wirtschaftsvertreter bis zu ÖVP-Mandataren und Liftlobby in Personalunion. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) beteuerte zwar, man nehme die Mutation sehr ernst, wolle aber nicht für gutes Krisenmanagement bestraft werden.
Im grün geführten Gesundheitsministerium in Wien wiederum wollte man bis spätestens Sonntag eine Entscheidung treffen. Auf dem Tisch lagen dabei alle Optionen: von einer kompletten Abriegelung des Landes, über die Abriegelung einzelner Täler bis hin zur Verlängerung des Lockdowns in Tirol für einen bestimmten Zeitraum. Und wie sich bei diesen Gesprächen gezeigt hat: Auch im ÖVP-geführten Kanzleramt war kein großer Appetit auf eine Konfrontation mit den Parteifreunden in den Tiroler Bergen zu erkennen. Im Ringen zwischen dem Gesundheitsministerium und Tirol hielt sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fast demonstrativ zurück.
Unpopuläre Maßnahmen
Dabei hat die erste Corona-Welle im Frühjahr vorexerziert, dass es auch anders geht: Da hatte Kurz binnen weniger Stunden praktisch im Alleingang das Paznauntal unter Quarantäne gestellt. Da waren harte Maßnahmen aber auch noch populär. Jetzt sind sie das nicht mehr.
Zugrunde liegt dem aktuellen Streit vor allem aber auch ein tiefgehender Vertrauensverlust zwischen Wien und Innsbruck. Erst die Verschleppung um Ischgl im März 2020 mitsamt desaströsem Krisenmanagement und haarsträubenden Fehleinschätzungen, dann das zähe Ringen um die Öffnung der Skigebiete vor Weihnachten, in dem sich Tirol zum Wortführer generierte und dann zuletzt das augenscheinlich großräumige Unterwandern von Verordnungen durch die Skihotellerie vor allem auch in
Zugrunde liegt dem aktuellen Streit auch ein tiefgehender Vertrauensverlust zwischen Wien und Innsbruck.
Tirol. Denn so dürften die Cluster mit der britischen und der südafrikanischen Mutation überhaupt erst entstanden sein. Ausnahmen für die generelle Schließung der Hotellerie wurden in der Region großflächig umgangen.
Und als Sahnehäubchen des Ganzen war zuletzt auch die Datenlage unklar. Denn in der aktuellen Zuspitzung war zunächst von 75 bestätigten Fällen mit der südafrikanischen Mutation die Rede. Dann von einem aktiven Fall. Aktuell heißt es, es gebe 165 bestätigte Fälle mit der Mutation.
Und jetzt? Im Gesundheitsministerium in Wien will man rechtlich prüfen, ob nicht zumindest besonders hart betroffene Regionen abgeriegelt werden könnten. Faktisch geht es für den Gesundheitsminister in Wien dabei aber nur mehr darum, das Gesicht zu wahren. Denn man kann wohl davon ausgehen, dass U-Boot-Urlauber in Tirol längst abgereist sind.