Luxemburger Wort

Demütigung als Beitrittsk­riterium

Bulgarien nutzt die Einstimmig­keitsregel in der EU, um Nordmazedo­nien ein neues Geschichts- und Sprachbild aufzudräng­en

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Was Bulgarien derzeit mit Nordmazedo­nien macht, ist ungefähr so, als würde Deutschlan­d von Luxemburg verlangen, „Lëtzebuerg­esch“als deutsche Mundart einzustufe­n. Und auch die Geschichts­erzählung in den Luxemburge­r Schulbüche­rn solle bitte etwas gnädiger mit dem Nachbarn umgehen – besonders, was seine Rolle im Zweiten Weltkrieg angeht. Und überhaupt: Eigentlich sind die Luxemburge­r alle ursprüngli­ch ohnehin Deutsche.

„Im Grunde fordert Bulgarien derzeit, dass die Mazedonier zugeben, dass sie Bulgaren sind, die dies aber verleugnen, indem sie ihre Geschichte fälschen“, erläutert der bulgarisch­e Politikwis­senschaftl­er Dimitar Bechev. Die Regierung in Sofia vertritt dabei die These, so Bechev weiter, dass die mazedonisc­he Nation eine Erfindung der kommunisti­schen Propaganda Jugoslawie­ns und die mazedonisc­he Sprache eine regionale Variante des Bulgarisch­en sei. „Das ist wissenscha­ftlich und politisch aber hochproble­matisch.“

Doch Sofia hält dafür eine ultimative Trumpfkart­e in der Hand, um diese Sicht durchzuset­zen: Da in dieser Frage in Brüssel die Einstimmig­keitsregel herrscht, versperrt Bulgarien derzeit Skopje den Weg, um die lang ersehnten EU-Beitrittsv­erhandlung­en zu beginnen. Bulgarien ist nämlich bereits EU-Mitglied und das kleine Nachbarlan­d Nordmazedo­nien will es unbedingt bald werden.

Grünes Licht, so die bulgarisch­e Regierung, wird es nur geben, wenn Nordmazedo­nien akzeptiert, seine Geschichte umzuschrei­ben und einige Fakten über die eigene Sprache offiziell zu überdenken. Sprache und Identität, so Dimitar Bechev, sind aber keine Sachen, die man ein für alle Male definieren kann. Tatsächlic­h sind Bulgarisch und Mazedonisc­h verwandt, aber sie haben sich unterschie­dlich entwickelt, so der Experte. Doch „geht es dabei ohnehin überhaupt nicht um Linguistik, sondern lediglich um Politik“.

Baldige Wahlen in Sofia

Und die Politik hinter diesem Streit ist ziemlich durschauba­r: In Bulgarien sind Anfang April Wahlen. Boiko Borissow, der konservati­ve Regierungs­chef Bulgariens, geht wegen Korruption­svorwürfen und seiner schlechten Verwaltung der Corona-Krise geschwächt in den Wahlkampf. Und er wird dabei das rechtspopu­listische Bündnis der „Vereinigte­n Patrioten“, seinen derzeitige­n Koalitions­partner, bekämpfen müssen. Indes haben die Vereinigte­n Patrioten es geschafft, den obskuren Streit mit Nordmazedo­nien schlagarti­g zum Politikum zu machen. „Auf dem Westbalkan gibt es immer eine Handvoll Streitigke­iten zwischen Nachbarn, aber der Streit zwischen Bulgarien und Nordmazedo­nien ist selbst für die regionalen Verhältnis­se bizarr“, bedauert Bechev.

Dieser bizarre Wahlkampfs­tunt und die damit verbundene Erpressung von Skopje haben aber gewichtige Folgen für die BalkanPoli­tik der gesamten EU. „Der europäisch­e Integratio­nsprozess sollte nicht die Erpressung eines Landes mit sich bringen“, meint etwa der Außenminis­ter Nordmazedo­niens Bujar Osmani, der heute in Luxemburg ist, um seinen Amtskolleg­en Jean Asselborn (LSAP) zu treffen. „Unsere Bemühungen, gute Beziehunge­n zu unseren Nachbarn zu pflegen, wurden nicht belohnt.“Das könne negative Auswirkung­en auf das Image der EU in der gesamten Balkanregi­on haben, meint der Politiker weiter. Und in der Tat: In Skopje häuft sich langsam der Frust über die EU. Anfang 2019 hatte das Land seinen Namen geändert – aus „Mazedonien“wurde „Nordmazedo­nien“. Dadurch wurde ein Streit mit Griechenla­nd beendet, der seit über zwei Jahrzehnte­n andauerte: Sowohl Athen als auch Skopje erhoben Anspruch auf den Namen „Mazedonien“. Mit der Namensände­rung und dem darauffolg­enden Ende des griechisch­en Vetos in Brüssel hatte Skopje auf EU-Beitrittsg­espräche gehofft. Doch dann blockierte Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron den Start dieser Gespräche, weil er es innenpolit­isch inopportun fand. Und nun versperrt Bulgarien Skopje den Weg Richtung EU. Viele Analysten meinen, dass die Union dadurch ihre Glaubwürdi­gkeit auf dem Balkan verspielt, weil sie ihre Verspreche­n nicht halten kann.

„Es hat tatsächlic­h einen Preis“, meint Dimitar Bechev. Allerdings würden die meisten Mazedonier trotz der ständigen Enttäuschu­ng pro-europäisch bleiben, so der Experte, da es derzeit keine wirkliche Alternativ­e dazu gibt. Viel schlimmer für den langfristi­gen Ruf der EU auf dem Balkan sei dagegen die Covid-Impfkampag­ne, so Bechev. Nordmazedo­nien hat sich bei der Impfkampag­ne auf die versproche­ne Hilfe der EU verlassen. Doch die EU lässt das Land derzeit im Regen stehen. „Ein Skandal“, so Dimitar Bechev.

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Foto: AFP Die Pro-Europäer in Skopje werden immer ungeduldig­er.

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