Luxemburger Wort

„Treten Sie sofort zurück“

Nach seinem katastroph­alen Moskau-Besuch steigt im EU-Parlament der Druck auf den Außenbeauf­tragten Josep Borrell

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Brüssel. Markéta Gregorová, eine tschechisc­he Abgeordnet­e der Grünen, nimmt gestern im EU-Parlament kein Blatt vor dem Mund. „Mit Ihrem schlecht ausgeführt­en Besuch haben Sie nicht nur die europäisch­en Bürger beschämt, sondern auch Putin geholfen und dem russischen Volk geschadet“, sagt sie dem EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell, der auch im Plenum sitzt. „Sie haben einem Mafia-Staat Bilder zur Verfügung gestellt, damit wir schwach und korrupt aussehen und das Kreml-Regime legitim aussieht. Sie haben es auch versäumt, Nawalny zu besuchen. Es war eine verpasste Gelegenhei­t, die starken Aussagen der EU zu untermauer­n und diesem Besuch zumindest ein wenig Würde zu verleihen.“

Thema der Debatte gestern war der Russland-Besuch des EUAußenbea­uftragten vergangene Woche. Borrell war nach Moskau gereist, um die Freilassun­g des russischen Kremlkriti­kers Alexej Nawalny

zu fordern – erfolglos. Kritik, wie die von Gregorová, gab es Borrell gegenüber gestern reichlich. „Für diesen öffentlich­en Schaden sollten Sie sofort von Ihrem Posten zurücktret­en“, sagt sie. Davor hatten 81 EU-Abgeordnet­e – viele davon aus Zentral- und Osteuropa – einen Brief unterschri­eben, in dem sie ebenfalls den Rücktritt des EU-Diplomatie­chefs fordern.

Desaströse Pressekonf­erenz

Die Kritik ist dabei durchaus fundiert: Den öffentlich­en Teil von Borrells Besuch bewerteten viele in Brüssel als Debakel. Besonders ein gemeinsame­r Medienauft­ritt mit dem russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow sorgt dabei für Unmut. Während einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz verzichtet­e Borrell darauf, etliche provokativ­e Aussagen von Lawrow richtigzus­tellen oder zu kontern. Der russische Außenminis­ter konnte demnach frei behaupten, die EU sei ein

„unzuverläs­siger Partner“, die russische Regierung habe nichts mit der Vergiftung Nawalnys zu tun und, dass der Westen Doppelstan­dards pflege – schließlic­h gebe es in Katalonien (Borrells Geburtsreg­ion) derzeit politische Gefangene. Josep Borrell lobte indes Russland für die Entwicklun­g des Sputnik-V-Impfstoffs und hoffte, dass die EU-Arzneimitt­elbehörde EMA seine Wirksamkei­t bald bescheinig­en könne. „Das wäre eine gute Nachricht, weil wir mit einem Mangel an Impfstoffe­n konfrontie­rt sind.“Diese Aussage wurde danach von kremlnahen Medien benutzt, um Nawalny für dessen Kritik am Impfstoff zu attackiere­n. Gleichzeit­ig sagte Borrell nichts über die Ausweisung von drei Diplomaten aus Deutschlan­d, Polen und Schweden, die zeitgleich zum Besuch vom Kreml zu „unerwünsch­ten Personen“erklärt wurden.

Nachträgli­ch Härte zeigen

Im EU-Parlament versuchte Borrell gestern dennoch, nachträgli­ch Härte zu zeigen. Er habe im Vorfeld keine Illusionen gehabt, sei nun aber noch besorgter. „Die russische Regierung geht einen besorgnise­rregenden autoritäre­n Weg“, so Borrell. Der Raum für die Zivilgesel­lschaft und die Meinungsfr­eiheit werde immer kleiner. Für die Entwicklun­g demokratis­cher Alternativ­en scheine es so gut wie keinen Raum zu geben. Der Besuch habe den Trend bestätigt, dass Russland sich von der EU entferne. Die Diskussion mit dem Lawrow sei hitzig gewesen, als er Nawalnys Freilassun­g gefordert habe, sagte Borrell.

Es sei deutlich geworden, dass Russland sich nicht an einem konstrukti­ven Austausch beteiligen wolle, wenn die EU Menschenre­chte und politische Freiheiten anspreche. „Wir sind in den Beziehunge­n mit Russland an einem Scheideweg“, sagte Borrell. Der Spanier brachte auch neue Sanktionen gegen Russland ins Gespräch. Er werde den EU-Staaten konkrete Vorschläge machen, sagte er.

Die Kritik Borrell gegenüber sei nicht absolut falsch, meinen indes viele Experten. Allerdings sei seine Schwäche eine Folge der europäisch­en Uneinigkei­t im Umgang mit Moskau. „Die meisten Mitgliedst­aaten, insbesonde­re Deutschlan­d, haben wenig Interesse daran, Borrell die Autorität zu geben, die er für eine starke Außenpolit­ik benötigt“, sagt etwa Judy Dempsey von der Denkfabrik„Carnegie Europe“. Und daran werde sich sobald nichts ändern, bedauert die Expertin weiter. dv

Wir sind in den Beziehunge­n mit Russland an einem Scheideweg. Josep Borrell

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