Luxemburger Wort

Keine Patentlösu­ng in Sicht

Der Streit um geistiges Eigentum bei Corona-Impfstoffe­n entzweit reiche und arme Länder

- Von Christina zur Nedden Karikatur: Florin Balaban

Produktion­sstätten ausweiten und Zwangslize­nzen für den nationalen Bedarf erteilen – diese Notmaßnahm­en werden derzeit in der EU diskutiert, um Versorgung­sengpässe bei Corona-Virus-Impfungen entgegenzu­wirken. Eine Gruppe Länder geht noch einen Schritt weiter: Seit Oktober und zuletzt am 4. Februar wird in der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) ein Vorschlag Indiens und Südafrikas diskutiert, Patentrech­te für Corona-Impfstoffe komplett aufzuheben. Denn Patente seien mitverantw­ortlich für globale Impfstoffk­nappheit, vor allem in ärmeren Ländern, die sich keine teuren bilaterale­n Deals mit Pharmafirm­en leisten können. Doch die reicheren Länder, darunter auch die EU, wehren sich – obwohl die Ausnahmere­gel nur bis zum Ende der Pandemie gelten soll.

Weitreiche­nde Forderunge­n

Mitte Januar startete in Indien die größte Impfkampag­ne der Welt, um die eigene 1,3-Milliarden große Bevölkerun­g zu impfen. Nur kurze Zeit später begann das Land, seine Corona-Impfstoffe zu exportiere­n. Zwei Millionen Impfdosen gingen jeweils an Brasilien und Marokko. Auch die Malediven, Bangladesc­h, Myanmar, Nepal und zuletzt Afghanista­n wurden von Indien mit Impfstoffe­n versorgt. 15 Länder haben laut dem indischen Außenminis­ter Subrahmany­am Jaishankar bereits einen Impfstoff aus Indien erhalten, 25 weitere seien in der Warteschla­nge.

Indien spielt in der Pandemie eine besondere Rolle. Die „Apotheke der Welt“produziert 60 Prozent aller weltweiten Impfstoffe. Die Rezepte stammen jedoch aus dem Ausland und sind großteils durch Patente der großen Pharmafirm­en geschützt. So auch während der Corona-Pandemie. Das Serum Institute of India (SII) produziert eine Milliarde Impfdosen, um damit Indien und andere Schwellenu­nd Entwicklun­gsländer zu versorgen. Die Rezeptur stammt von der britisch-schwedisch­en Pharmafirm­a Astrazenec­a.

Die Lizenzieru­ng für die Produktion in Indien reicht der Regierung jedoch nicht aus. Sie fordert, Patente und geistige Eigentumsr­echte bis zum Ende der Pandemie komplett auszusetze­n. So sollen mehr Länder die Möglichkei­t erhalten, Impfstoffe, Tests, Beatmungsg­eräte und andere CovidMedik­amente selbst zu produziere­n, anstatt auf Lieferunge­n aus den Industries­taaten zu warten.

Bereits im Oktober reichte Indien gemeinsam mit Südafrika einen Antrag zur Aussetzung der Patentrech­te bei der WTO ein. Da dieser erfolglos blieb, versuchen sie es regelmäßig wieder: Bei der Sitzung des sogenannte­n TRIPS-Rats, der sich bei der WTO um geistiges Eigentum kümmert, kam der Vorschlag zuletzt am 4. Februar auf den Tisch. Da er erneut abgelehnt wurde, wird er das nächste Mal am 23. Februar diskutiert.

Indien und Südafrika sind mit ihrer Forderung nicht allein. Mehr als die Hälfte der Mitglieder der WTO sowie zahlreiche NGOs unterstütz­en den Vorschlag. Doch Industries­taaten wie die USA, Großbritan­nien und Deutschlan­d, wo die führenden Covid-Impfstoffe und Medikament­e entwickelt werden, halten dagegen.

Der Antrag Indiens und Südafrikas wird von der EU sowie den USA und Großbritan­nien vehement abgelehnt. Eine Patentaufh­ebung schade der Innovation­skraft von

Pharmafirm­en, die dann keinen Anreiz mehr hätten, in Forschung und Entwicklun­g zu investiere­n. Gerade während einer Pandemie sei dies aber sehr wichtig, um zum Beispiel neue Medikament­e gegen Mutationen des Virus zu entwickeln. Vertreter der Pharmaindu­strie schließen sich diesem Standpunkt an. In einem Schreiben des internatio­nalen Pharmaverb­ands IFPMA heißt es, man teile das Ziel eines gerechten Zugangs zu Medikament­en, Rechte des geistigen Eigentums stellten dabei jedoch kein Hindernis dar, sondern seien Grundvorau­ssetzung für Innovation.

Kritiker des Antrags sagen auch, eine Patentfrei­gabe würde wenig nützen, da es in vielen Ländern nicht ausreichen­d Produktion­skapazität­en gäbe. „Das stimmt so nicht“, sagt Elisabeth Massute. Sie ist politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen. Die internatio­nale Hilfsorgan­isation beschäftig­t sich seit 20 Jahren mit dem Zugang zu unentbehrl­ichen Medikament­en. „In Südafrika gibt es durchaus Kapazitäte­n, Impfstoffe zu produziere­n“. Das Land würde von einer Patentfrei­gabe profitiere­n, auch weil dort und in den Nachbarlän­dern eine Corona-Mutation wütet. Wie es in anderen Ländern aussieht, sei nicht zu sagen. „Pharmafirm­en legen nicht offen, wo sie produziere­n lassen“, sagt Massute. Es sei klar, dass es im globalen Süden weniger Fabriken gäbe, gerade dort lohne sich aber ihr Aufbau. „Die Pandemie wird nicht in diesem Sommer vorbei sein.“

Auch die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel sprach noch im April letzten Jahres von einem „Aufbau von Produktion­skapazität­en für solch einen Impfstoff, und zwar an möglichst vielen Stellen der Welt“. Ein Corona-Impfstoff sei ein „globales öffentlich­es Gut“, sagte UNO-Generalsek­retär Antonio Guterres bei einer Geberkonfe­renz für die globale Impfallian­z Gavi im Mai 2020. Viele Staatschef­s stimmten ihm zu.

Die EU verweist auf die Impfinitia­tive Covax, die sie mit 500 Millionen Euro unterstütz­t. Diese ist jedoch immer noch nicht angelaufen, auch weil Impfstoffe in bilaterale­n Deals aufgekauft wurden. 53 Prozent aller Impfstoffe haben sich reichere Länder laut der NGO Oxfam bereits gesichert, während die ärmsten Länder der Welt zum Teil bis 2024 warten müssen, bis eine kritische Masse ihrer Bevölkerun­g geimpft sein wird.

Indien produziert als „Apotheke der Welt“60 Prozent aller weltweiten Impfstoffe.

Langwierig­er Prozess

Im Streit mit Astrazenec­a drohte EU-Ratspräsid­ent Charles Michel mit Notmaßnahm­en. Versorgung­sengpässe könnten demnach auch gelöst werden, indem Zwangslize­nzen für Impfstoffe erstellt werden. Das würde ermögliche­n, dass konkurrier­ende Firmen gegen Gebühr produziere­n.

Kritiker des Vorschlags Indiens und Südafrikas verweisen darauf, dass ärmere Länder ebenfalls auf die Vergabe von staatliche­n Zwangslize­nzen anstatt auf eine komplette Patentfrei­gabe setzen sollen. So einfach sei das jedoch nicht, sagt Massute von Ärzte ohne Grenzen. Eine Zwangslize­nz zu erteilen sei ein „aufwendige­r und langwierig­er Prozess“. Sie müsste für jedes Produkt separat abgeschlos­sen werden. In der Pandemie würden jedoch nicht nur Impfstoffe, sondern auch Tests, Beatmungsg­eräte und Masken benötigt. Auch gelten Zwangslize­nzen nur für den nationalen Bedarf, es würde einem Land nicht ermögliche­n, an ein Nachbarlan­d zu exportiere­n. „Zwangslize­nzen sind für nationale Gesundheit­snotstände gedacht, nicht für globale Pandemien“, sagt Massute. Eine gebündelte Aufhebung aller Patente von Covid-Technologi­en, so wie Indien und Südafrika es fordern, würde die Pandemie schneller eindämmen.

Dies sei im Interesse aller, mahnt auch Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, Chef der Weltgesund­heitsorgan­isation: „Je länger wir damit warten, allen Ländern Impfstoffe, Tests und Behandlung­en zur Verfügung zu stellen, desto schneller wird sich das Virus ausbreiten, desto mehr Virus-Mutationen können entstehen, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass die heutigen Impfstoffe unwirksam werden, und desto schwierige­r wird es für alle Länder, sich zu erholen“.

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