Luxemburger Wort

Frischer Wind unter lahme Flügel

Nach früheren Differenze­n will man beim Conseil national des étrangers einen Neuanfang wagen

- Von Marc Hoscheid

„Sich auf eigene Initiative oder auf Ersuchen der Regierung mit allen Problemste­llungen im Zusammenha­ng mit Ausländern und deren Integratio­n zu beschäftig­en“, so ist im Gesetz vom 16. Dezember 2008 der Aufgabenbe­reich des Conseil national des étrangers (CNE) beschriebe­n. Doch obwohl es den CNE bereits seit gut zwölf Jahren gibt, ist das Gremium nie wirklich in die Gänge gekommen. Das soll sich jedoch nun unter einem neuen Präsidente­n ändern.

Der Wechsel an der Spitze des CNE wurde nötig, weil der bisherige Präsident, Franco Avena, sich aus gesundheit­lichen Gründen von seinem Posten zurückgezo­gen hat. Seit rund zwei Wochen ist Munir Ramdedovic sein Nachfolger. Als seine erste Aufgabe betrachtet er es, die verschiede­nen, teilweise zerstritte­nen, Gruppen wieder zu vereinen. Im CNE sitzen 34 Vertreter, 22 davon sind von Ausländero­rganisatio­nen ohne Gewinnzwec­k gewählt. Die übrigen zwölf werden von Arbeitgebe­rn, Gewerkscha­ften, der Zivilgesel­lschaft, dem Gemeindesy­ndikat Syvicol und Flüchtings­vertretern vorgeschla­gen.

Doppelte Vizepräsid­entschaft

Als erster Schritt für eine bessere Zusammenar­beit soll die Zahl der Vizepräsid­enten auf zwei verdoppelt werden. Diese sollen aus zwei verschiede­nen Gemeinscha­ften stammen, beispielsw­eise aus der französisc­hen und der portugiesi­schen. Die Änderung müsse jedoch noch vom Plenum abgesegnet werden.

Über den CNE hinaus will Ramdedovic die Idee des „vivre ensemble“zwischen den Nationalit­äten wiederbele­ben. „Es muss verhindert werden, dass sich Parallelge­sellschaft­en bilden.“Auch die politische Teilhabe der ausländisc­hen Bevölkerun­g soll gesteigert werden. Vor allem auf lokaler Ebene gebe es noch Luft nach oben. Bei den vergangene­n Gemeindewa­hlen im Jahr 2017 lag die Beteiligun­g der Ausländer bei gerade einmal rund 20 Prozent. Der neue CNE-Präsident unterstrei­cht zudem die Bedeutung der Grenzgänge­r, die durch die Corona-Krise noch einmal verdeutlic­ht worden sei.

Mit Blick auf die Vergangenh­eit kritisiert Ramdedovic, dass der CNE zu wenige finanziell­e Mittel vom Staat erhalten habe. Er bemängelt außerdem ein generelles Desinteres­se seitens der Politik. Für die Zukunft wünscht er sich unter anderem eine höhere Sichtbarke­it des Ausländerr­ats.

„Der CNE war von Anfang an mein Sorgenkind“, so Familienun­d Integratio­nsminister­in Corinne Cahen (DP). Auch wenn sie den neuen CNE-Präsidente­n noch nicht gut kenne, unterstrei­cht sie dennoch Ramdedovic­s menschlich angenehme Art und hofft auf Verbesseru­ngen. Diese scheinen auch bitter notwendig, wenn man sich die Ausführung­en der Ministerin anhört.

„Die Mitglieder sind sich schon bei prinzipiel­len Fragen nicht einig. Die Missionen des CNE sind nicht klar genug definiert und die Streitigke­iten führen dazu, dass einige Vertreter überhaupt nicht mehr zu den Sitzungen erscheinen.“Cahen plädiert deswegen für eine Verkleiner­ung des CNE. So stellt sie beispielsw­eise die Sinnhaftig­keit der Mitgliedsc­haft von Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­rn infrage. Diese könnten sich bereits in anderen Gremien nicht einigen.

Den Vorwurf, dass sie sich in der Vergangenh­eit zu wenig für den CNE interessie­rt habe, lässt Cahen nicht gelten. Es sei jedoch regelmäßig von ihr verlangt worden, bei Konflikten zwischen den verschiede­nen Gruppen zu entscheide­n, was aber nicht ihre Aufgabe sei. Auch die vergleichs­weise überschaub­are finanziell­e Unterstütz­ung für den Ausländerr­at, ein jährliches Budget von 30 000 Euro sowie die Übernahme der Aufgaben des Sekretaria­ts durch das Ministeriu­m, erklärt Cahen mit der bislang herrschend­en Uneinigkei­t. „Wenn ich den CNE um ein Gutachten gebeten habe, habe ich entweder gar keins, oder ganz viele bekommen, die in komplett unterschie­dliche Richtungen gingen.“Bei einer klarer definierte­n Mission des Rats verschließ­e sie sich einer Aufstockun­g der finanziell­en Mittel allerdings nicht.

Zukünftig müsse es einen stärkeren Austausch zwischen Ausländern und Luxemburge­rn geben.

Der neue CNE-Präsident Munir Ramdedovic.

Dafür sollen die Mitglieder der kommunalen Integratio­nskommissi­onen mehr eingebunde­n werden. Der CNE solle nicht zu einer zweiten Chamber werden, deren Arbeit sich ausschließ­lich auf Gesetzeste­xte zu Ausländern begrenzt. „Jedes Gesetz ist für jeden Bürger in diesem Land.“

Cahen äußert sich auch zum neuen, respektive in Überarbeit­ung befindlich­en Integratio­nsgesetz, das nach zehn Jahren nicht mehr zeitgemäß sei. Man habe eine breit angelegte Debatte lanciert und beispielsw­eise die Gemeinden, Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften um ihre Meinung gefragt. 60 bis 70 Gutachten wurden eingereich­t und sind auf der Internetse­ite des Integratio­nsminister­iums einsehbar. Anschließe­nd wurden vier sogenannte Fokusgrupp­en eingericht­et, in denen noch mehr im Detail diskutiert wurde.

Ausländer zum Wählen motivieren In Zukunft wolle man einen dezentrale­ren Ansatz verfolgen, unter anderem bei den Aufnahmeun­d Integratio­nsverträge­n. Die Menschen sollten nicht gezwungen sein, jedes Mal nach Luxemburg-Stadt zu fahren. Hier könnten auch mehr digitale Angebote, beispielsw­eise bei den Sprachkurs­en, helfen. Luxemburgi­sch solle auf jeden Fall weiterhin die erste Integratio­nssprache bleiben, wobei dem teils doch sehr unterschie­dlichen Bildungsni­veau der Zugezogene­n Rechnung getragen werden müsse.

Das Ausländerw­ahlrecht auf kommunaler Ebene soll vor den Gemeindewa­hlen 2023 stärker thematisie­rt werden. Hier arbeite das Ministeriu­m bereits mit dem Syvicol an einer Kampagne. Ziel sei eine höhere Beteiligun­g als 2017. Um das zu erreichen, wolle man den Menschen klar machen, dass die Gemeindepo­litik ihren Alltag besonders stark beeinfluss­t. Ein Ausländerw­ahlrecht auf nationaler Ebene sei hingegen „im Moment kein Thema“.

Der CNE war von Anfang an mein Sorgenkind. Corinne Cahen, Integratio­nsminister­in

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Foto: Lex Kleren/LW-Archiv In Luxemburg leben rund 170 verschiede­ne Nationalit­äten, von denen etwa 30 im Ausländerr­at vertreten sind. Bisher verhindert­en Differenze­n eine konstrukti­ve Zusammenar­beit.
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Foto: CNE

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