Trügerischer Patriotismus
Aus Luxemburger Perspektive haben die „OpenLux“-Enthüllungen vor allem zwei Sachen offenbart. Erstens: Der Luxemburger Finanzplatz dient – trotz allen vermeintlichen Bemühungen der Regierung, der Europäischen Union und der OECD – einigen Multis und Reichen, darunter auch Individuen von zweifelhaftem Ruf, noch immer dazu, ganz legal Steuern zu sparen. Und zweitens: Die gesamte staatstragende politische Klasse des Landes – von ADR bis Déi Gréng – steht offensichtlich geschlossen hinter diesem Modell. Das Problem: Hinter diesem Konsens steht der gewaltige Trugschluss, wonach die bedingungslose politische Verteidigung des Finanzplatzes ein vitales Interesse des Landes sei. Wie kurzsichtig!
Denn wer ständig die dubiosen Praktiken des Finanzplatzes verteidigt und Steuerflucht schönredet, verliert wertvolle Zeit, um über notwendige Alternativen nachzudenken. Der internationale Druck auf Luxemburg wird in den kommenden Jahren nämlich immer weiter steigen. Die Recherchen von „Süddeutsche Zeitung“, „Le Monde“oder „Le Soir“– und das haben die meisten Luxemburger Politiker lieber ignoriert – haben nicht hauptsächlich das Großherzogtum an den Pranger gestellt, sondern vor allem die eigenen Multis und Reichen, die in Luxemburg auf zweifelhafte Dienste zurückgreifen.
Die bevorstehende coronabedingte Wirtschaftskrise, die nur mit monumentalen Staatsausgaben ausgebremst werden kann, wird die Toleranz in Paris, Berlin oder Rom für die legale Steuerflucht der eigenen potenziellen Steuerzahler drastisch reduzieren – sowohl bei Politikern wie in der Öffentlichkeit. Luxemburgs Spielraum wird immer kleiner werden. Es wäre deswegen clever, Auswege aus einem wirtschaftlichen Auslaufmodell zu finden. Dafür braucht es aber kritische Selbstbetrachtung, die es derzeit im Luxemburger Parteienspektrum kaum gibt.
Der gleiche Mangel an kritischer Selbstbetrachtung führt zu einem weiteren Denkfehler: Die Verteidigung des Finanzplatzes als patriotischer Akt gegen vermeintliche Angriffe aus dem Ausland gegen die vitalen Interessen Luxemburgs. Auch diese Grundhaltung, die von allen Regierungsparteien, der CSV und der ADR, eingenommen wird, verkennt dabei eine ständig wachsende Realität: Immer weniger Luxemburger profitieren vom Businessmodell des Landes. Allein schon der zunehmende Kampf um bezahlbaren Wohnraum wird die Akzeptanz des Luxemburger Modells auch intern schnell erodieren lassen – insbesondere bei jungen Menschen. Was bringt es nämlich, als Land so reich zu sein, wenn nur die wenigsten sich eine Wohnung leisten können und viele deswegen in die ferne Peripherie oder ins nahe Ausland auswandern müssen? Die vermeintlichen Interessen des Landes decken sich demnach immer weniger mit den Bedürfnissen seiner Bürger.
Die „Geld-stinkt-nicht“-Attitüde mag über einige Jahrzehnte für das Großherzogtum funktioniert haben – ein Zukunftsmodell ist sie aber keineswegs. Die politische Klasse des Landes hätte sich bei den europäischen Journalisten für diese Warnung bedanken müssen, anstatt „OpenLux“als internationale Verschwörung zu beschimpfen.
Immer weniger Luxemburger profitieren vom Businessmodell des Landes.
Kontakt: diego.velazquez@wort.lu