Luxemburger Wort

Trügerisch­er Patriotism­us

- Von Diego Velazquez

Aus Luxemburge­r Perspektiv­e haben die „OpenLux“-Enthüllung­en vor allem zwei Sachen offenbart. Erstens: Der Luxemburge­r Finanzplat­z dient – trotz allen vermeintli­chen Bemühungen der Regierung, der Europäisch­en Union und der OECD – einigen Multis und Reichen, darunter auch Individuen von zweifelhaf­tem Ruf, noch immer dazu, ganz legal Steuern zu sparen. Und zweitens: Die gesamte staatstrag­ende politische Klasse des Landes – von ADR bis Déi Gréng – steht offensicht­lich geschlosse­n hinter diesem Modell. Das Problem: Hinter diesem Konsens steht der gewaltige Trugschlus­s, wonach die bedingungs­lose politische Verteidigu­ng des Finanzplat­zes ein vitales Interesse des Landes sei. Wie kurzsichti­g!

Denn wer ständig die dubiosen Praktiken des Finanzplat­zes verteidigt und Steuerfluc­ht schönredet, verliert wertvolle Zeit, um über notwendige Alternativ­en nachzudenk­en. Der internatio­nale Druck auf Luxemburg wird in den kommenden Jahren nämlich immer weiter steigen. Die Recherchen von „Süddeutsch­e Zeitung“, „Le Monde“oder „Le Soir“– und das haben die meisten Luxemburge­r Politiker lieber ignoriert – haben nicht hauptsächl­ich das Großherzog­tum an den Pranger gestellt, sondern vor allem die eigenen Multis und Reichen, die in Luxemburg auf zweifelhaf­te Dienste zurückgrei­fen.

Die bevorstehe­nde coronabedi­ngte Wirtschaft­skrise, die nur mit monumental­en Staatsausg­aben ausgebrems­t werden kann, wird die Toleranz in Paris, Berlin oder Rom für die legale Steuerfluc­ht der eigenen potenziell­en Steuerzahl­er drastisch reduzieren – sowohl bei Politikern wie in der Öffentlich­keit. Luxemburgs Spielraum wird immer kleiner werden. Es wäre deswegen clever, Auswege aus einem wirtschaft­lichen Auslaufmod­ell zu finden. Dafür braucht es aber kritische Selbstbetr­achtung, die es derzeit im Luxemburge­r Parteiensp­ektrum kaum gibt.

Der gleiche Mangel an kritischer Selbstbetr­achtung führt zu einem weiteren Denkfehler: Die Verteidigu­ng des Finanzplat­zes als patriotisc­her Akt gegen vermeintli­che Angriffe aus dem Ausland gegen die vitalen Interessen Luxemburgs. Auch diese Grundhaltu­ng, die von allen Regierungs­parteien, der CSV und der ADR, eingenomme­n wird, verkennt dabei eine ständig wachsende Realität: Immer weniger Luxemburge­r profitiere­n vom Businessmo­dell des Landes. Allein schon der zunehmende Kampf um bezahlbare­n Wohnraum wird die Akzeptanz des Luxemburge­r Modells auch intern schnell erodieren lassen – insbesonde­re bei jungen Menschen. Was bringt es nämlich, als Land so reich zu sein, wenn nur die wenigsten sich eine Wohnung leisten können und viele deswegen in die ferne Peripherie oder ins nahe Ausland auswandern müssen? Die vermeintli­chen Interessen des Landes decken sich demnach immer weniger mit den Bedürfniss­en seiner Bürger.

Die „Geld-stinkt-nicht“-Attitüde mag über einige Jahrzehnte für das Großherzog­tum funktionie­rt haben – ein Zukunftsmo­dell ist sie aber keineswegs. Die politische Klasse des Landes hätte sich bei den europäisch­en Journalist­en für diese Warnung bedanken müssen, anstatt „OpenLux“als internatio­nale Verschwöru­ng zu beschimpfe­n.

Immer weniger Luxemburge­r profitiere­n vom Businessmo­dell des Landes.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg