„Einfach Kacke“
Der Lockdown sorgt für schlechte Stimmung in Deutschland – längst nicht nur in der Politik
Manchen legt sich das Virus aufs Hirn. Vielleicht ist es auch der Lockdown. „Der Lockerungs-Zoff steht bereits in den Startlöchern“, konstatiert die „Bild“-Zeitung am Montagnachmittag – und auch einen Tag später hat beim einzigen deutschen Eine-Million-Auflage-Blatt noch niemand gemerkt, welcher Unfug da steht. Nicht bloß, weil um Schließung oder Öffnung von Geschäften, Theatern, Schwimmbädern, von allem und jedem, ja in einem fort diskutiert und gestritten wird – seit der erste Lockdown mit Wirkung zum 22. März 2020 verfügt wurde.
Das ist exakt elf Monate her – und Deutschland ist müde: des Virus genauso wie der ewigen Verbote. Deshalb hat am Montag in zehn der 16 Bundesländer der sogenannte Präsenzunterricht wieder begonnen – vorerst für die Jüngsten. Man muss sich das vorstellen: In Bayern, wo das Schuljahr erst Mitte September startet, haben die Erstklässler bislang keine acht Wochen im Wortsinn ihre Schulbänke gedrückt. Nun also geht es wieder los. In Nürnberg, der zweitgrößten bayerischen Stadt, für – exakt einen Vormittag. Als am Montag die Sieben-Tage-Inzidenz die 100er-Schwelle übersteigt, verfügt Oberbürgermeister Markus König (CSU) nachmittags die Rückkehr der Kleinen aus Schulen und Kitas in die heimischen Wohnzimmer – und setzt auch die nächtliche Ausgangssperre wieder in Kraft.
Nun ist Nürnberg mit seiner guten halben Million Einwohner nicht der Nabel Deutschlands, nicht einmal Bayerns – auch wenn Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dort daheim ist. Aber es realisiert sich hier der Alptraum von Angela Merkel (CDU): Der allenthalben so ersehnte und von ihr hinausgezögerte Beginn der Rückkehr zur Normalität könnte zu früh einsetzen. Und damit den Weg für die nächste, die dann dritte Covid-19-Welle freimachen.
Dabei stellt die Kanzlerin selbst am Montag früh erste Schritte zurück in Aussicht. Nicht öffentlich. Aber in der Sitzung des CDU-Präsidiums. Was so gut wie öffentlich ist – weil die Teilnehmer immer und gerne ausplaudern, was dort wer sagt. Merkel also hat von drei „Paketen“gesprochen, die Öffnungen beinhalten sollen: für die persönlichen Kontakte; für die Schulen; und für Kultur, Sport, Gastronomie. „Klug“müsse man vorgehen. Und „mit vermehrten Tests“.
Jens Spahn in der Defensive
Das also ist am Morgen gewesen. Am Mittag dann gibt es Krach genau darum. Gesundheitsminister Jens Spahn (auch CDU) hat kostenlose Schnelltests für alle versprochen – Start am 1. März. „Diese Tests können zu einem sicheren Alltag beitragen, gerade auch in Schulen und Kitas“, verhieß Spahn vergangenen Mittwoch. Sie würden „schnellstmöglich geprüft und zugelassen“. Nun aber pfeift Merkel ihren Ressortchef zurück. Teilnehmer des Corona-Kabinetts berichten, Merkel habe Spahn bohrende Fragen gestellt nach Genehmigungen und Kapazitäten – und seinen Starttermin gekippt.
Für Spahn ist das ein mittleres Debakel. Zum zweiten Mal bremst Merkel ihn aus – dabei wollte er mit den Tests beweisen: Hätte die Kanzlerin ihn machen lassen statt der EU – dann wäre Deutschland schneller und besser mit Impfstoff versorgt. Jetzt aber darf die innerkoalitionäre Konkurrenz frohlocken. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat schon am Sonntag mit Blick auf die Tests geätzt: „Wir können den Ankündigungen von Jens Spahn nicht glauben.“
Jenseits von Berlin-Regierungsviertel interessiert das Publikum an diesen allerersten WahlkampfScharmützeln nur eins: Gibt’s nun bald die ersehnten Öffnungen? Oder nicht? Für den nächsten digitalen Treff der 17 Regierungschefinnen und -chefs am 3. März ist erneut ein „Perspektivplan“in Aussicht gestellt. Am Dienstag beginnt Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) mit den Kolleginnen und Kollegen der Länder-Staatskanzleien zu verhandeln.
Vorerst kein Ende in Sicht
In der Republik wächst unterdessen der Frust. Die SiebenTage-Inzidenz steigt wieder, statt endlich die 50 zu passieren und der – aktuell – magischen 35 entgegenzusinken. Seit dem Wochenende herrscht Biergartenwetter – doch alles, was lockt und Gemeinsamkeit verheißt, bleibt strikt untersagt. „Aber wir brauchen“, sagt Malu Dreyer (SPD), „konkrete und verbindliche Zielmarken, an denen die Menschen sich orientieren können.“Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin ist sicher: „Das steigert auch die Akzeptanz, wenn wir die Maßnahmen noch verlängern müssen.“Dreyer sagt wenn – aber in Wahrheit ist ihr und all ihren Kolleginnen und Kollegen klar: Ohne ein mittelkleines Wunder wird es mit spürbarer Wende Richtung Normalität vorerst nichts. Am Montag haben 40 Anbieter von Sport und Kultur – vom Deutschen Fußballbund bis zur Berliner Staatsoper – ein Konzept vorgelegt, das Veranstaltungen drinnen und draußen ermöglichen soll. Aber das Publikum muss ja auch irgendwie zu den Veranstaltungen kommen. Das treibt die Kontaktfrequenz hoch. Ob Merkel&Co das riskieren? Nein – hoffen Mediziner, Infektiologen, Virologen. Geht es nach ihnen, bleibt Deutschland weiter zu bis Ende März. Halten die Menschen das aus? „Lieber Gott“, schreibt Dienstagmorgen ein Freund per Whatsapp, „dein Humor ist einfach Kacke und echt unlustig!“
Wir brauchen konkrete und verbindliche Zielmarken, an denen die Menschen sich orientieren können. Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz