Der Vater des Diktators
31 bislang unbekannte Briefe von Alois Hitler entdeckt – erste Biografie über den Oberösterreicher erschienen
Mehr als 100 Jahre lang lagen sie unentdeckt auf einem Dachboden: 31 Briefe von Alois Hitler – ja, richtig: dem Vater von Adolf Hitler, dem größten Massenmörder der Geschichte. Jetzt sind sie aufgetaucht und ermöglichten die erste Biografie über den zum hohen Zollbeamten aufgestiegenen Oberösterreicher, der so gerne Landwirt geworden wäre. Wovon auch der Sensationsfund handelt.
Im Wirtshaus sitzend, an seiner Pfeife schmauchend, Bienen züchtend, dreimal verheiratet, Vater von acht Kindern: So beschreiben Zeitzeugen Alois Hitler. Und Roman Sandgruber, emeritierter Universitätsprofessor und einer der renommiertesten Historiker Österreichs, bestätigt: Der Vater des Adolf Hitler sei kein einfacher Mensch gewesen, ein „schwieriger Charakter“, der sich als uneheliches Kind nach oben gekämpft habe. Aus der einklassigen Volksschule in die hohe BeamtenRiege, „aber wegen der fehlenden Matura bald anstand“.
„Sensationsfund“
A propos „Sensationsfund“: Sandgruber gibt zu, dass er zunächst skeptisch war, als ihm die 31 Briefe zugespielt wurden. Zu sehr waren auch ihm die sogenannten „Hitler-Tagebücher“erinnerlich, jene Fälschungen, denen das deutsche Magazin „Stern“1983 aufgesessen war. Aber die Briefe an den Straßenmeister Josef Radlegger, von dem Hitler einen Bauernhof erwarb und die Radleggers Ururenkelin dem Historiker übergab, waren in einem nie geöffneten Bündel, gut erhalten, mit Kuvert, Stempel und Briefmarken. „Ich konnte sofort erkennen, dass die Briefe echt sind“, wird Sandgruber im österreichischen „Kurier“zitiert.
Die Briefe in akkuratem Kurrent sind auch deshalb spektakulär, weil es fast keine Originaldokumente zur Kindheit Adolf Hitlers gibt, sondern nur wenige Zeitzeugen-Berichte. Etwa die Geschichte oder Legende, dass Adolf Hitler 1894 als Kind mit acht Jahren fast in einem Bach ertrunken wäre und – zum Verhängnis der späteren Weltgeschichte – gerade noch gerettet wurde. Ob das schon nahe jenem Rauschergut war, das der Vater 1895 kaufte und um das sich die Briefe drehen, weiß man nicht. Der Hof im oberösterreichischen Hausruckviertel ist der Sehnsuchtswunsch des Alois Hitler: Großartige Lage, wenn auch schwierig in der Bewirtschaftung, und Adolf Hitler idealisiert in „Mein Kampf“: Im Ruhestand habe der Vater endlich ein Gut gekauft und bewirtschaftet, und „er kehrte so im Kreislauf eines langen, arbeitsreichen Lebens wieder zum Ursprung seiner Väter zurück“, also zum Bauerntum.
Die Realität sah anders aus. Von Beginn weg gab es nach dem Kauf Probleme mit der Finanzierung und mit den Dienstboten, gegen die Hitler Senior in grober Gutsherrenart ordentlich Vorurteile hegt: Er verdächtigt die Knechte, ihn um den halben Milchertrag betrogen zu haben, wie er in den Briefen an Josef Radlegger schreibt („später aber der Rest abgemolken und verschleppt wurde“). In Wahrheit aber scheitert Alois Hitler, der landwirtschaftlich Unerfahrene, an der Organisation des Gutes, das er nach nicht einmal zwei Jahren wieder zum Verkauf stellt. Die Briefe enthalten viele technische Details des Kaufs und zeichnen das Bild eines pflichtbewussten, sturen, selbstbewussten Mannes, der in seiner Starrköpfigkeit nicht von einem Projekt lassen kann, das ihm zwei Nummern zu groß ist. Und sie ergeben mit den zusätzlichen langjährigen Recherchen des Historikers Sandgruber über Hitlers Umfeld in Oberösterreich eine Biografie („Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“), die diese Woche präsentiert wurde.
Hitlers Jugend
Darin maßt sich Sandgruber nicht an, die Jugend Adolf Hitlers aufgrund der Erkenntnisse über Alois Hitler neu bewerten zu können. Aber der Historiker befasst sich auch viel mit der regionalen Mentalität im Oberösterreich des späten 19. Jahrhunderts, mit dem Milieu aus Deutschnationalen, Christlichsozialen und Antisemiten.
Und Sandgruber ist sich sicher, dass der Antisemitismus und die Gewaltbereitschaft in Adolf Hitler schon in seiner Jugend in Oberösterreich begründet wurde. Ob Alois Hitler antisemitisch war, weiß man nicht, auch aus den 31 Briefen geht das nicht hervor. Und Einfluss auf den weiteren Werdegang seines Sohnes, der sich nach eigenen Aussagen vor dem gestrengen Vater fürchtete und ihn gleichzeitig verehrte, hatte er auch nicht: Alois Hitler starb, da war Adolf Hitler noch keine 15.
Ich konnte sofort erkennen, dass die Briefe echt sind. Roman Sandgruber, emeritierter Universitätsprofessor