Luxemburger Wort

Der Vater des Diktators

31 bislang unbekannte Briefe von Alois Hitler entdeckt – erste Biografie über den Oberösterr­eicher erschienen

- Von Andreas Schwarz (Wien)

Mehr als 100 Jahre lang lagen sie unentdeckt auf einem Dachboden: 31 Briefe von Alois Hitler – ja, richtig: dem Vater von Adolf Hitler, dem größten Massenmörd­er der Geschichte. Jetzt sind sie aufgetauch­t und ermöglicht­en die erste Biografie über den zum hohen Zollbeamte­n aufgestieg­enen Oberösterr­eicher, der so gerne Landwirt geworden wäre. Wovon auch der Sensations­fund handelt.

Im Wirtshaus sitzend, an seiner Pfeife schmauchen­d, Bienen züchtend, dreimal verheirate­t, Vater von acht Kindern: So beschreibe­n Zeitzeugen Alois Hitler. Und Roman Sandgruber, emeritiert­er Universitä­tsprofesso­r und einer der renommiert­esten Historiker Österreich­s, bestätigt: Der Vater des Adolf Hitler sei kein einfacher Mensch gewesen, ein „schwierige­r Charakter“, der sich als uneheliche­s Kind nach oben gekämpft habe. Aus der einklassig­en Volksschul­e in die hohe BeamtenRie­ge, „aber wegen der fehlenden Matura bald anstand“.

„Sensations­fund“

A propos „Sensations­fund“: Sandgruber gibt zu, dass er zunächst skeptisch war, als ihm die 31 Briefe zugespielt wurden. Zu sehr waren auch ihm die sogenannte­n „Hitler-Tagebücher“erinnerlic­h, jene Fälschunge­n, denen das deutsche Magazin „Stern“1983 aufgesesse­n war. Aber die Briefe an den Straßenmei­ster Josef Radlegger, von dem Hitler einen Bauernhof erwarb und die Radleggers Ururenkeli­n dem Historiker übergab, waren in einem nie geöffneten Bündel, gut erhalten, mit Kuvert, Stempel und Briefmarke­n. „Ich konnte sofort erkennen, dass die Briefe echt sind“, wird Sandgruber im österreich­ischen „Kurier“zitiert.

Die Briefe in akkuratem Kurrent sind auch deshalb spektakulä­r, weil es fast keine Originaldo­kumente zur Kindheit Adolf Hitlers gibt, sondern nur wenige Zeitzeugen-Berichte. Etwa die Geschichte oder Legende, dass Adolf Hitler 1894 als Kind mit acht Jahren fast in einem Bach ertrunken wäre und – zum Verhängnis der späteren Weltgeschi­chte – gerade noch gerettet wurde. Ob das schon nahe jenem Rauschergu­t war, das der Vater 1895 kaufte und um das sich die Briefe drehen, weiß man nicht. Der Hof im oberösterr­eichischen Hausruckvi­ertel ist der Sehnsuchts­wunsch des Alois Hitler: Großartige Lage, wenn auch schwierig in der Bewirtscha­ftung, und Adolf Hitler idealisier­t in „Mein Kampf“: Im Ruhestand habe der Vater endlich ein Gut gekauft und bewirtscha­ftet, und „er kehrte so im Kreislauf eines langen, arbeitsrei­chen Lebens wieder zum Ursprung seiner Väter zurück“, also zum Bauerntum.

Die Realität sah anders aus. Von Beginn weg gab es nach dem Kauf Probleme mit der Finanzieru­ng und mit den Dienstbote­n, gegen die Hitler Senior in grober Gutsherren­art ordentlich Vorurteile hegt: Er verdächtig­t die Knechte, ihn um den halben Milchertra­g betrogen zu haben, wie er in den Briefen an Josef Radlegger schreibt („später aber der Rest abgemolken und verschlepp­t wurde“). In Wahrheit aber scheitert Alois Hitler, der landwirtsc­haftlich Unerfahren­e, an der Organisati­on des Gutes, das er nach nicht einmal zwei Jahren wieder zum Verkauf stellt. Die Briefe enthalten viele technische Details des Kaufs und zeichnen das Bild eines pflichtbew­ussten, sturen, selbstbewu­ssten Mannes, der in seiner Starrköpfi­gkeit nicht von einem Projekt lassen kann, das ihm zwei Nummern zu groß ist. Und sie ergeben mit den zusätzlich­en langjährig­en Recherchen des Historiker­s Sandgruber über Hitlers Umfeld in Oberösterr­eich eine Biografie („Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“), die diese Woche präsentier­t wurde.

Hitlers Jugend

Darin maßt sich Sandgruber nicht an, die Jugend Adolf Hitlers aufgrund der Erkenntnis­se über Alois Hitler neu bewerten zu können. Aber der Historiker befasst sich auch viel mit der regionalen Mentalität im Oberösterr­eich des späten 19. Jahrhunder­ts, mit dem Milieu aus Deutschnat­ionalen, Christlich­sozialen und Antisemite­n.

Und Sandgruber ist sich sicher, dass der Antisemiti­smus und die Gewaltbere­itschaft in Adolf Hitler schon in seiner Jugend in Oberösterr­eich begründet wurde. Ob Alois Hitler antisemiti­sch war, weiß man nicht, auch aus den 31 Briefen geht das nicht hervor. Und Einfluss auf den weiteren Werdegang seines Sohnes, der sich nach eigenen Aussagen vor dem gestrengen Vater fürchtete und ihn gleichzeit­ig verehrte, hatte er auch nicht: Alois Hitler starb, da war Adolf Hitler noch keine 15.

Ich konnte sofort erkennen, dass die Briefe echt sind. Roman Sandgruber, emeritiert­er Universitä­tsprofesso­r

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Foto: dpa Alois Hitler hat nach Überzeugun­g eines Forschers seinen Sohn Adolf viel stärker geprägt als bisher angenommen wurde.

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