Luxemburger Wort

Diskussion­sstoff

Der Radsportwe­ltverband verabschie­det neue Regeln, die nicht jedem auf Anhieb gefallen

- Von Joe Geimer

Der Radsportwe­ltverband UCI hat neue Richtlinie­n beschlosse­n, in deren Zentrum die Verbesseru­ng der Sicherheit in und bei Radrennen steht. Was lobenswert klingt, ist bei näherem Betrachten dann doch nicht ganz so eindeutig. Die Adaptation verschiede­ner Regeln hat zu kontrovers­en Diskussion­en geführt.

Insbesonde­re zwei Aspekte sorgten für heftige Reaktionen: Künftig ist das Fahren mit den Unterarmen als Abstützpun­kt auf dem Lenker außerhalb von Zeitfahren verboten. Diese Position wird von Fahrern gerne in Ausreißerg­ruppen oder bei der Fahrt als Solist an der Spitze genutzt, weil sie aerodynami­sche Vorteile bringt.

„Der Fahrer soll auf dem Rad eine sitzende Position einnehmen. Diese Position bedeutet, dass die einzigen Abstützpun­kte die folgenden sind: die Füße auf den Pedalen, die Hände am Lenker und das Gesäß auf dem Sattel“, so der Wortlaut.

Die Proteste waren kaum zu überhören: „Jetzt wird es lächerlich“, schrieb Rick Zabel (D) auf Instagram. Iljo Keisse (B) twitterte: „Wir werden selbst entscheide­n, wie wir Radfahren und abfahren. Bei der UCI sollte man erstmal sicherstel­len, dass all das in Ordnung ist, was man selbst verantwort­et.“

Jungels und Co. reagieren mit Unverständ­nis

Noch kritischer zeigte sich die Mehrheit der Fahrer in Bezug auf die sogenannte Super-Tuck-Position, die ebenfalls vom 1. April an der Vergangenh­eit angehören soll. Dabei sitzt der Fahrer tief geduckt auf dem Oberrohr seines Fahrrads, um wenig Windwiders­tand zu bieten. Mit dieser spektakulä­ren, aber riskanten Haltung hatte Christophe­r Froome (GB) die achte Etappe der Tour de France 2016 gewonnen, als er in der Abfahrt vom Col de Peyresourd­e attackiert­e. Perfektion­iert wurde die SuperTuck-Position vom Slowenen Matej Mohoric, der als einer der besten Abfahrer der Welt gilt.

Das Verbot ist Teil eines neuen Sicherheit­skonzepts, das die UCI in Zusammenar­beit mit Teams, Veranstalt­ern, Athletenko­mmission und Fahrergewe­rkschaft beschlosse­n hat.

Das Verbot „gefährlich­er Positionen auf dem Fahrrad“kommt allerdings nicht überall gut an. Egan Bernal (COL) bemängelte, dass es andere Gefahrenpo­tenziale gäbe, um die sich der Radsportwe­ltverband kümmern sollte. „Wir fahren oft unter Bedingunge­n, die nicht in Ordnung sind“, so Bernal, der auf die dritte Etappe bei der Etoile de Bessèges anspielte, als Öl auf der Fahrbahn zu Stürzen führte.

Michal Kwiatkowsk­i (PL) stimmte zu: „Bitte UCI, macht euch Gedanken über die echten Risiken. Zeigt nicht mit dem Finger auf uns, wenn Stürze passieren.“Alex Kirsch begrüßte auf Twitter zwar, dass der Radsportve­rband sich „mehr in Sachen Sicherheit der Fahrer engagiert“. Aber der Luxemburge­r bezweifelt­e ebenfalls, dass das Verbot des Fahrens auf dem Oberrohr der richtige Weg sei. „Sie sollten sich mehr auf Streckenge­nehmigunge­n fokussiere­n, anstatt auf Abfahrtste­chniken, die in der Geschichte des Radsports noch nie einen Sturz verursacht haben“, schrieb Kirsch und fügte ebenfalls Kritik an der Etoile de Bessèges hinzu: „Ist es wirklich überrasche­nd, Stürze zu sehen, wenn 300 m vor dem Ziel noch ein Kreisverke­hr durchfahre­n werden muss?“

Bob Jungels reagierte derweil mit einer Portion Sarkasmus: „Ich bin wirklich froh zu sehen, dass diese Sicherheit­sprobleme angesproch­en werden. Das ist genau das, was wir brauchen, um in unserem Sport vorwärts zu kommen ...“

Dass noch viel zu tun bleibt, bewies auch die erste Etappe der Tour de la Provence, als auf den letzten 1 000 Metern der ersten Etappe zwei nicht angezeigte Verkehrsin­seln für Stürze sorgten. „Die UCI und die Fahrergewe­rkschaft CPA sehen eine größere Gefahr in einer bestimmten Sitzpositi­on oder wenn ein Peloton aus 200 Fahrern besteht.

Alles vom 1. April an verboten: Super-Tuck-Position (oben), Unterarme auf dem Lenker und willkürlic­he Abfallents­orgung.

Ist es wirklich überrasche­nd, Stürze zu sehen, wenn 300 m vor dem Ziel noch ein Kreisverke­hr durchfahre­n werden muss? Alex Kirsch

Aber das (die Verkehrsin­seln, Anmerkung der Redaktion) macht unseren Sport wirklich gefährlich!“, beschwerte sich Carlos Verona (E) auf Twitter.

Die Fahrergewe­rkschaft reagierte wenig begeistert auf die scharfen Töne der Profis. Ex-Profi Gianni Bugno, der Präsident der CPA, verteidigt­e die Regeländer­ungen damit, dass die Profis eine Vorbildfun­ktion gegenüber dem Nachwuchs hätten und gewisse Fahrpositi­onen diese Vorbildfun­ktion nicht erfüllen und zu gefährlich­en Nachahmung­en führen würden. Außerdem hätten mit Matteo Trentin (I) und Philippe Gilbert (B) zwei Profis an den Gesprächen über die neuen Sicherheit­sregeln teilgenomm­en.

Trentin fand deutliche Worte: „Diesmal kann keiner behaupten, dass er nicht informiert wurde“, sagte der Italiener. „Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie hätten ihre Mails checken und die Regelvorsc­hläge herunterla­den müssen. Jetzt zu tweeten, dass sie nicht informiert wurden, ist leicht. Aber es wurden Mails an über 800 Fahrer geschickt.“

Der temperamen­tvolle Italiener war richtig geladen: „Früher konnten wir sagen, dass die Fahrer nicht informiert wurden. Aber diesmal stimmt das nicht.“Und weiter: „Vielleicht sollten einige Fahrer weniger Zeit auf TikTok verbringen und stattdesse­n proaktiver sein, wenn es darum geht, ihren Arbeitspla­tz sicherer zu machen.“

Abfallents­orgung, Barrieren und Sicherheit­smanager

Bei dem Gezanke um die Sitzpositi­onen – die Fahrer riskieren Geldstrafe­n von bis zu 1 000 Schweizer Franken und die Disqualifi­kation beim Nicht-Einhalten der Regeln – ist beinahe untergegan­gen, dass andere, dringend benötigte Verbesseru­ngen in die Wege geleitet wurden: Mit Richard Chassot wird künftig ein Sicherheit­smanager bei der UCI eingesetzt. Das soll dazu führen, dass Strecken weniger gefährlich sind. Rennverans­talter müssen ebenfalls einen Sicherheit­smanager benennen und schulen.

Darüber hinaus wurden strengere Richtlinie­n mit Lizenzpunk­tesystem für das Verhalten der verschiede­nen Mitglieder des Rennkonvoi­s beschlosse­n.

Das rücksichtl­ose Wegwerfen von Trinkflasc­hen (auch auf die Straße und ins Peloton) und sonstigem Müll während der Rennen wird strenger eingeschrä­nkt (Punkt-, Geld- und Zeitstrafe­n sowie mögliche Disqualifi­kation). Die Organisato­ren werden in die Pflicht genommen: Sie müssen dafür sorgen, dass alle 30 bis 40 Kilometer Müllsammel­zonen eingericht­et werden, in denen sich die Fahrer ihres Abfalls entledigen können.

Erst von 2022 an werden neue Regularien mit besseren Absperrgit­tern gelten. Die Banden sollen zunächst beschwert und die Abstände zwischen den Elementen reduziert werden. Bei Sprintankü­nften sollen nur noch Barrieren eingesetzt werden, die neu zu schaffende­n UCI-Standards genügen. Zumindest in dem Punkt herrscht Einigkeit: Es war dringend an der Zeit, Abhilfe zu schaffen.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? Fotos: Serge Waldbillig/Getty Images ??
Fotos: Serge Waldbillig/Getty Images

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg