Städtekrise
Es ist ein trostloses, erschreckendes Bild, das sich Passanten zurzeit im Bahnhofsviertel bietet: Über 20 Ladenlokale stehen in der Avenue de la Gare, immerhin eine der Hauptgeschäftsstraßen des Landes, leer. Die vermeintlichen Gründe sind in der Folge immer schnell gefunden, tatsächlich sind es aber andere, als oftmals gemutmaßt wird.
Das Sterben der Innenstädte ist nicht erst seit der Corona-Krise ein Problem, wenngleich es durch die Pandemie beschleunigt wird. Es betrifft nicht nur Luxemburg, sondern ebenso vergleichbare Städte in Europa. Etwa in Deutschland, wo die „Bild“-Zeitung zurzeit lautstark „die traurigste Pleite-Innenstadt“sucht. So überspitzt braucht man vielleicht nicht zu suchen; die Ursachen eines verbreiteten Problems ausmachen muss man aber schon.
Dazu gehören hierzulande bisweilen horrende Mietpreise, die Monotonie in den Geschäftsstraßen fördern und unternehmerische Kreativität bremsen. Immer wieder dreht sich die Diskussion in der Hauptstadt aber auch um die vielen Baustellen und die schwierige Parkplatzsuche, die einem im Einkaufszentrum am Stadtrand erspart bleibt. Das als primäre Gründe allen Übels auszumachen, ist aber Quatsch. Seit einem Jahr ist der öffentliche Transport kostenlos. Regelmäßig rührt die Stadt mit Gratis-Parkmöglichkeiten die Werbetrommel, zuletzt im Parking Fort Neipperg, der Parking Schuman ist jedes Wochenende kostenlos, ein Shuttle fährt von dort in die Oberstadt. Welch andere Hauptstadt kann das bieten? Und trotzdem sterben in Luxemburg Läden. Vielleicht, weil die Menschen heute mehr erwarten von einer Stadt. Einkaufen kann man auch im Internet, viele Leute taten das auch schon vor Corona. „Die reine Einkaufsstraße hat ausgedient“, schreibt der Architekt Caspar Schmitz-Morkramer in einem Gastbeitrag im „Deutsches Architektenblatt“– und fordert mehr Individualität, mit alten Werten und frischen Ideen, für die Innenstädte.
Genau diesen Trend riskiert Luxemburg-Stadt zu verschlafen. Gute Ideen sind zwar durchaus vorhanden, doch bei der Umsetzung hapert es. Ein überdachter Markt – schon 2013 brachte ihn der damalige Bürgermeister Xavier Bettel ins Gespräch. Ein Freibad – schon 2015 wurde es im Gemeinderat thematisiert. Dafür erweitert man seit geschlagenen fünf Jahren den Parking Knuedler, für 268 zusätzliche Stellplätze, und raubt damit dem Wochenmarkt Platz. Hier hängen die Stadtverantwortlichen zu sehr in alten Mustern fest, in denen das Auto den öffentlichen Raum dominiert, auf Kosten der Fußgänger. Im Sinne von mehr Lebensqualität müssen die Platzverhältnisse endlich grundlegend überdacht werden. Brüssel hat es vorgemacht, mit Tempo 30 und folglich einem angenehmeren Umfeld für Fußgänger. Brüssels Verkehrsministerin Elke Van den Brandt bringt es auf den Punkt: Wird die Stadt angenehmer für Fußgänger, bleiben die Leute länger zum Einkaufen.
Homeoffice, Online-Shopping – die Krise wird sich langfristig auf Städte auswirken und macht zugleich deutlich, wie wichtig öffentlicher Raum ist, der zum Verweilen einlädt, zum Leben, zum Erleben. Denn eines werden sich die Menschen nach Corona mehr denn je wünschen: etwas zu erleben. Auch beim Stadtbesuch.
Sterbende Innenstädte sind nicht erst seit Corona ein Problem.
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