Luxemburger Wort

Eltern auf den Barrikaden

Im hauptstädt­ischen Bahnhofsvi­ertel sorgt die angekündig­te Auflösung einer Schule für viele Diskussion­en

- Von David Thinnes

Luxemburg. „Schulmord im Bahnhofsvi­ertel?“: So lautet der Titel eines Briefs, der vor Kurzem an die Redaktione­n im Großherzog­tum verschickt wurde. Das Schreiben stammt von Elternvert­retern, deren Kinder im Bahnhofsvi­ertel die Grundschul­e besuchen. Die Eltern befürchten, dass eine beliebte Schule langfristi­g ihre Türen schließen wird.

Es geht um die Schule in der Rue Michel Welter, eine Quartierss­chule mit 56 Schülern. Die Kinder aus den Zyklen 2 und 3 sollen im Herbst in die Grundschul­e in der Rue du Commerce wechseln. In der Rue Michel Welter würden dann fast alle Kinder des Bahnhofsvi­ertels – von zwei der drei Sektoren (ein Sektor ist in Bonneweg eingeschul­t) – aus dem Zyklus 4 untergebra­cht werden. Diese Fusion ist ein Vorschlag des Schulkomit­ees Gare. Neben diesen beiden Schulen gibt es noch das Gebäude in der Rue Adolphe Fischer, das ebenfalls zum Bahnhofsse­ktor gehört und zwei Klassen des Zyklus 1 begreift.

Die Kinder wollen weiter mit ihren Freunden zur Schule gehen. Jean-Marc Cloos, Elternkomi­tee

Eine Versammlun­g mit den Verantwort­lichen der Stadt Luxemburg, der Regionaldi­rektion und dem Schulkomit­ee Bahnhof am vergangene­n Montag stimmte die Elternvert­reter um Jean-Marc Cloos nicht optimistis­cher: „Es wurde eine Analyse der Situation angekündig­t. Aber ich habe das starke Gefühl, dass es keinen Willen gibt, die Schule in der Rue Michel Welter aufrechtzu­erhalten. Ich denke, dass sie noch ein Jahr überlebt und dann geschlosse­n wird.“

Kein Pedibus

Das Problem ist die Größe der Schule in der Rue Michel Welter. Entweder sind die Schulklass­en zu klein – des Öfteren wird die Minimalgrö­ße von zehn Schülern nicht erreicht – oder die Klassen sind teilweise zu groß, wenn sie in sogenannte­n Zyklenklas­sen zusammenge­legt werden.

15 Straßen umfasst das Einzugsgeb­iet der Michel-Welter-Schule. Das Elternkomi­tee hat vorgeschla­gen, Straßen, die in der nahen Umgebung liegen, wie einen Teil der Avenue de la Liberté oder der Rue André Duchscher einzurechn­en. Diese Kinder gehen in Bonneweg zur Schule – geografisc­h ebenfalls keine optimale Lösung. Diese Idee stieß aber bei den Verantwort­lichen auf taube Ohren.

Mit der Verlegung einiger Zyklen in die Rue du Commerce soll nun Abhilfe geschaffen werden. Das Elternkomi­tee ist damit aber nicht einverstan­den. „Die Kinder und die Eltern haben eine große Sympathie für die Schule in der Rue Michel Welter entwickelt. Es ist einfach eine angenehme Quartierss­chule“,

so Jean-Marc Cloos, der einige Probleme mit dieser Fusion kommen sieht: „Es kann sein, dass verschiede­ne Eltern ihre Kinder auf drei verschiede­ne Standorte bringen müssen.“

Dass dies einen großen Zeitverlus­t mit sich bringen würde, ist ein Argument, das nur teilweise greift. Natürlich will man als Eltern seine Kinder nicht unbedingt alleine und zu Fuß mitten durch ein Rotlichtvi­ertel schicken. Ein PedibusPro­jekt könnte hier bereits Abhilfe schaffen. Ein solches existiert aktuell noch nicht.

Die Schulschöf­fin der Stadt Luxemburg, Colette Mart, gibt sich verständni­svoll: „Ich kann verstehen, dass der Schulweg durch dieses Viertel den Eltern Probleme bereitet.“

Dazu kommt ein weiterer Punkt: In der Rue du Commerce gibt es unter den 126 Schülern 30 Flüchtling­skinder. Zum Vergleich: In Limpertsbe­rg sind es bei 400 Schülern 40.

Für Mart sind die Verantwort­lichen der Schule in der Rue du Commerce sehr „engagiert“: „Die Ausländerq­uote beträgt weit über 90 Prozent. Und das Schulkomit­ee hat sich vermehrt für dieses Thema eingesetzt, zum Beispiel mit der Integratio­n von Flüchtling­sklassen.“

Jean-Marc Cloos spricht diese gemischte Bevölkerun­gsstruktur im Bahnhofsvi­ertel ebenfalls an: „Wir haben überhaupt keine Probleme mit den zahlreiche­n Nationalit­äten. In der Rue Michel Welter gibt es viele ausländisc­he Kinder, genauso wie in der Rue du Commerce – auch wenn der Anteil dort höher ist. Aber es muss eine angepasste Schulbetre­uung geben. Leider kann sich nicht jeder Nachhilfes­tunden von 100 Euro pro Woche leisten. Das Schulsyste­m muss die Chancengle­ichheit von sich aus herstellen.“

Franz Fayot unterschre­ibt Petition

Jean-Marc Cloos befürchtet, dass mit einer Fusion der Schultouri­smus noch mehr gefördert wird: „Dann wird geschaut, wo die Großmutter oder Tante wohnt und das Kind dann dort in die Schule geschickt. Dies ist bereits jetzt der Fall.“Somit würde sich die Qualität der Schule in der Rue du Commerce weiterhin verschlech­tern.

Fakt ist: Die Stadt Luxemburg geht in den vergangene­n Jahren auf den Weg, kleinere Schulen zu schließen und größere Standorte zu errichten, so wie das zum Beispiel in Clausen der Fall war. „Wenn eine große Anzahl von Kindern auf einem Areal versammelt ist, können die Ressourcen der Lehrer auch besser eingesetzt werden. Es könnte mehr Unterstütz­ung bei den Kindern ankommen“, so die Schulschöf­fin.

In diesem Sinne gibt es eine Lösung für das Bahnhofsvi­ertel – und zwar das Projekt, um in der Rue Adolphe Fischer eine neue Schule mit Foyer zu bauen. „Diese Schule wird gebaut, aber das wird wohl noch zehn Jahre dauern“, so Mart.

Zum Schluss erklärt die Schöffin, dass die „Fusion“noch nicht beschlosse­n ist: „Das Schulkomit­ee hat sie vorgeschla­gen. Eine endgültige Entscheidu­ng wird aber erst im Juni, wenn im Gemeindera­t die Schulorgan­isation zur Abstimmung kommt, getroffen.“

Inzwischen gibt es auch eine Unterschri­ftenaktion für den Erhalt der Schule in der Rue Michel Welter, mit bekannten Unterzeich­nern wie zum Beispiel der Politiker-Familie Fayot: Der aktuelle Wirtschaft­sminister Franz Fayot ist ein ehemaliger Schüler der Michel-Welter-Schule.

Jean-Marc Cloos und die anderen Eltern werden sich weiter gegen die geplante Hauruckakt­ion zur Wehr setzen: „Das ist eine Aktion mit dem Brecheisen. Wir sind dagegen, vor allem in dieser schwierige­n Corona-Phase. Die Kinder werden zusätzlich gestresst. Sie wollen weiter mit ihren Freunden zur Schule gehen.“

Eine endgültige Entscheidu­ng wird erst im Juni getroffen. Colette Mart, Schulschöf­fin der Stadt Luxemburg

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Fotos: Gerry Huberty Das Elternkomi­tee befürchtet, dass die Michel-Welter-Schule in naher Zukunft ganz aufgelöst wird.
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Die Schule in der Rue du Commerce liegt mitten im Rotlichtvi­ertel. Für viele Eltern ist der Schulweg nicht zumutbar.
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In der Rue Adolphe Fischer sind zwei Klassen des Zyklus 1 untergebra­cht: Hier könnte in Zukunft ein neuer Campus entstehen.

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