Eltern auf den Barrikaden
Im hauptstädtischen Bahnhofsviertel sorgt die angekündigte Auflösung einer Schule für viele Diskussionen
Luxemburg. „Schulmord im Bahnhofsviertel?“: So lautet der Titel eines Briefs, der vor Kurzem an die Redaktionen im Großherzogtum verschickt wurde. Das Schreiben stammt von Elternvertretern, deren Kinder im Bahnhofsviertel die Grundschule besuchen. Die Eltern befürchten, dass eine beliebte Schule langfristig ihre Türen schließen wird.
Es geht um die Schule in der Rue Michel Welter, eine Quartiersschule mit 56 Schülern. Die Kinder aus den Zyklen 2 und 3 sollen im Herbst in die Grundschule in der Rue du Commerce wechseln. In der Rue Michel Welter würden dann fast alle Kinder des Bahnhofsviertels – von zwei der drei Sektoren (ein Sektor ist in Bonneweg eingeschult) – aus dem Zyklus 4 untergebracht werden. Diese Fusion ist ein Vorschlag des Schulkomitees Gare. Neben diesen beiden Schulen gibt es noch das Gebäude in der Rue Adolphe Fischer, das ebenfalls zum Bahnhofssektor gehört und zwei Klassen des Zyklus 1 begreift.
Die Kinder wollen weiter mit ihren Freunden zur Schule gehen. Jean-Marc Cloos, Elternkomitee
Eine Versammlung mit den Verantwortlichen der Stadt Luxemburg, der Regionaldirektion und dem Schulkomitee Bahnhof am vergangenen Montag stimmte die Elternvertreter um Jean-Marc Cloos nicht optimistischer: „Es wurde eine Analyse der Situation angekündigt. Aber ich habe das starke Gefühl, dass es keinen Willen gibt, die Schule in der Rue Michel Welter aufrechtzuerhalten. Ich denke, dass sie noch ein Jahr überlebt und dann geschlossen wird.“
Kein Pedibus
Das Problem ist die Größe der Schule in der Rue Michel Welter. Entweder sind die Schulklassen zu klein – des Öfteren wird die Minimalgröße von zehn Schülern nicht erreicht – oder die Klassen sind teilweise zu groß, wenn sie in sogenannten Zyklenklassen zusammengelegt werden.
15 Straßen umfasst das Einzugsgebiet der Michel-Welter-Schule. Das Elternkomitee hat vorgeschlagen, Straßen, die in der nahen Umgebung liegen, wie einen Teil der Avenue de la Liberté oder der Rue André Duchscher einzurechnen. Diese Kinder gehen in Bonneweg zur Schule – geografisch ebenfalls keine optimale Lösung. Diese Idee stieß aber bei den Verantwortlichen auf taube Ohren.
Mit der Verlegung einiger Zyklen in die Rue du Commerce soll nun Abhilfe geschaffen werden. Das Elternkomitee ist damit aber nicht einverstanden. „Die Kinder und die Eltern haben eine große Sympathie für die Schule in der Rue Michel Welter entwickelt. Es ist einfach eine angenehme Quartiersschule“,
so Jean-Marc Cloos, der einige Probleme mit dieser Fusion kommen sieht: „Es kann sein, dass verschiedene Eltern ihre Kinder auf drei verschiedene Standorte bringen müssen.“
Dass dies einen großen Zeitverlust mit sich bringen würde, ist ein Argument, das nur teilweise greift. Natürlich will man als Eltern seine Kinder nicht unbedingt alleine und zu Fuß mitten durch ein Rotlichtviertel schicken. Ein PedibusProjekt könnte hier bereits Abhilfe schaffen. Ein solches existiert aktuell noch nicht.
Die Schulschöffin der Stadt Luxemburg, Colette Mart, gibt sich verständnisvoll: „Ich kann verstehen, dass der Schulweg durch dieses Viertel den Eltern Probleme bereitet.“
Dazu kommt ein weiterer Punkt: In der Rue du Commerce gibt es unter den 126 Schülern 30 Flüchtlingskinder. Zum Vergleich: In Limpertsberg sind es bei 400 Schülern 40.
Für Mart sind die Verantwortlichen der Schule in der Rue du Commerce sehr „engagiert“: „Die Ausländerquote beträgt weit über 90 Prozent. Und das Schulkomitee hat sich vermehrt für dieses Thema eingesetzt, zum Beispiel mit der Integration von Flüchtlingsklassen.“
Jean-Marc Cloos spricht diese gemischte Bevölkerungsstruktur im Bahnhofsviertel ebenfalls an: „Wir haben überhaupt keine Probleme mit den zahlreichen Nationalitäten. In der Rue Michel Welter gibt es viele ausländische Kinder, genauso wie in der Rue du Commerce – auch wenn der Anteil dort höher ist. Aber es muss eine angepasste Schulbetreuung geben. Leider kann sich nicht jeder Nachhilfestunden von 100 Euro pro Woche leisten. Das Schulsystem muss die Chancengleichheit von sich aus herstellen.“
Franz Fayot unterschreibt Petition
Jean-Marc Cloos befürchtet, dass mit einer Fusion der Schultourismus noch mehr gefördert wird: „Dann wird geschaut, wo die Großmutter oder Tante wohnt und das Kind dann dort in die Schule geschickt. Dies ist bereits jetzt der Fall.“Somit würde sich die Qualität der Schule in der Rue du Commerce weiterhin verschlechtern.
Fakt ist: Die Stadt Luxemburg geht in den vergangenen Jahren auf den Weg, kleinere Schulen zu schließen und größere Standorte zu errichten, so wie das zum Beispiel in Clausen der Fall war. „Wenn eine große Anzahl von Kindern auf einem Areal versammelt ist, können die Ressourcen der Lehrer auch besser eingesetzt werden. Es könnte mehr Unterstützung bei den Kindern ankommen“, so die Schulschöffin.
In diesem Sinne gibt es eine Lösung für das Bahnhofsviertel – und zwar das Projekt, um in der Rue Adolphe Fischer eine neue Schule mit Foyer zu bauen. „Diese Schule wird gebaut, aber das wird wohl noch zehn Jahre dauern“, so Mart.
Zum Schluss erklärt die Schöffin, dass die „Fusion“noch nicht beschlossen ist: „Das Schulkomitee hat sie vorgeschlagen. Eine endgültige Entscheidung wird aber erst im Juni, wenn im Gemeinderat die Schulorganisation zur Abstimmung kommt, getroffen.“
Inzwischen gibt es auch eine Unterschriftenaktion für den Erhalt der Schule in der Rue Michel Welter, mit bekannten Unterzeichnern wie zum Beispiel der Politiker-Familie Fayot: Der aktuelle Wirtschaftsminister Franz Fayot ist ein ehemaliger Schüler der Michel-Welter-Schule.
Jean-Marc Cloos und die anderen Eltern werden sich weiter gegen die geplante Hauruckaktion zur Wehr setzen: „Das ist eine Aktion mit dem Brecheisen. Wir sind dagegen, vor allem in dieser schwierigen Corona-Phase. Die Kinder werden zusätzlich gestresst. Sie wollen weiter mit ihren Freunden zur Schule gehen.“
Eine endgültige Entscheidung wird erst im Juni getroffen. Colette Mart, Schulschöffin der Stadt Luxemburg