Luxemburger Wort

Draghi greift gegen AstraZenec­a durch

Italien blockiert als erstes EU-Land eine Lieferung von Corona-Impfdosen an einen Drittstaat

- Von Dominik Straub (Rom)

Als Chef der Europäisch­en Zentralban­k hatte sich Mario Draghi mit der mächtigen deutschen Bundesbank angelegt, als neuer italienisc­her Regierungs­chef wirft er nun dem britisch-schwedisch­en Pharmakonz­ern AstraZenec­a den Fehdehands­chuh hin: Die italienisc­he Regierung hat die Lieferung von einer Viertelmil­lion Impfdosen des Vakzin-Hersteller­s nach Australien nicht bewilligt. Die Dosen waren von Australien bei einem italienisc­hen Lizenzwerk in Anagni südlich von Rom bestellt worden, das den Impfstoff für AstraZenec­a abfüllt.

Verständni­s in Australien

Die Begründung für den bisher einmaligen Schritt sind die massiv reduzierte­n Lieferunge­n des Hersteller­s AstraZenec­a, die nicht nur in Italien, sondern in der ganzen EU die Impfkampag­nen erschweren oder zum Teil ganz über den Haufen werfen. Von den ursprüngli­ch für das erste Quartal zugesagten 100 Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZenec­a für die EU werden bis Ende März im besten Fall etwa die Hälfte ausgeliefe­rt. In Frage gestellt sind auch bereits die – noch deutlich höheren – Mengen für das zweite Quartal. Gleichzeit­ig wurden von dem Unternehme­n aber offenbar die Liefermeng­en an Großbritan­nien und andere Drittstaat­en nicht gekürzt.

Erleichter­t wurde Draghi der Entscheid durch den Umstand, dass Australien nicht als „vulnerable­s Land“gilt und von der Pandemie verhältnis­mäßig wenig betroffen ist: In Australien sind bisher weniger als 30 000 Covid-Fälle und weniger als 1 000 Tote registrier­t worden. In Italien wird demnächst die Marke von 100 000 Toten erreicht. Australien­s Premiermin­ister Scott Morrison hat in einer ersten Reaktion Verständni­s für die Entscheidu­ng Roms signalisie­rt: „In Italien sterben jeden Tag mehr als 300 Menschen an Covid; ich verstehe die große Besorgnis der Behörden in Italien und auch in vielen anderen EU-Ländern.“Dennoch bittet Australien­s Gesundheit­sminister Greg Hunt die EU-Kommission, auf den Entscheid zurückzuko­mmen.

Tatsächlic­h hatte auch Brüssel dem Lieferstop­p zugestimmt: Zwar werden Ausfuhrgen­ehmigungen für Impfstoffe von dem Land erteilt, in dem die Dosen hergestell­t werden. Doch seit Januar müssen die Pharmakonz­erne, die Lieferverp­flichtunge­n gegenüber der EU haben, vor einem Export in Drittlände­r auch die Genehmigun­g der EU einholen. Der neue Kontrollme­chanismus war als Reaktion auf die von AstraZenec­a reduzierte Liefermeng­e eingeführt worden. Bei den beantragte­n 250 000 Impfdosen für Australien waren sich Rom und Brüssel zum ersten Mal einig, dass diese in der EU dringender gebraucht werden. Zuvor hatte Brüssel laut italienisc­hen Medienberi­chten

in über hundert Fällen Ausfuhren von in Europa produziert­en Impfstoffe­n in Drittlände­r genehmigt.

Das war für Draghi nicht mehr akzeptabel: Er hatte bereits beim Video-Gipfel der EU-Regierungs­chefs von letzter Woche ein hartes Durchgreif­en gegen Pharmakonz­erne gefordert, die die vereinbart­en Liefermeng­en nicht einhalten. „Für die Hersteller, die ihre Verpflicht­ungen nicht respektier­en, gibt es keine Entschuldi­gung“, betonte der neue italienisc­he Premier am 25. Februar – einen Tag nachdem die Bestellung aus Perth beim italienisc­hen Außenminis­terium eingetroff­en war. Für Draghi sind Ausfuhrver­bote für vertragsbr­üchige Hersteller nicht Ausdruck mangelnder Solidaritä­t mit anderen Ländern, sondern eine Frage der Glaubwürdi­gkeit gegenüber den Bürgern von ganz Europa.

Sonderkomm­issar ersetzt

Draghi hatte die Impfkampag­ne, die in Italien wie in den meisten anderen EU-Ländern nicht nur wegen der reduzierte­n Lieferunge­n eher schleppend vorankommt, sofort nach seiner Vereidigun­g zum neuen Premiermin­ister Italiens am 13. Februar zur Chefsache erklärt und „militarisi­ert“. Der bisherige zivile Sonderkomm­issar für die Pandemiebe­kämpfung wurde abgesetzt und durch den Armeegener­al Paolo Figliuolo ersetzt, den Chef-Logistiker der italienisc­hen Streitkräf­te. Figliuolo war zuvor schon Kommandant der italienisc­hen Isaf-Truppen in Afghanista­n gewesen. Der General soll die Impfkampag­ne beschleuni­gen und dabei auf sämtliche geeignete militärisc­he und zivile Infrastruk­turen zurückgrei­fen.

Draghi hatte die Impfkampag­ne sofort nach seiner Vereidigun­g zum neuen Premiermin­ister Italiens am 13. Februar zur Chefsache erklärt und „militarisi­ert“.

 ?? Foto: AFP ?? In Italien mit rund 100 000 Corona-Toten wird der Impfstoff dringender gebraucht als in Australien, wo bislang weniger als 1 000 Menschen an dem Virus starben.
Foto: AFP In Italien mit rund 100 000 Corona-Toten wird der Impfstoff dringender gebraucht als in Australien, wo bislang weniger als 1 000 Menschen an dem Virus starben.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg