Eine Wahl geht viral
Corona hat die rheinland-pfälzischen Parteien vieler üblicher Aktivitäten beraubt – doch einige Kandidaten nutzen die digitalen Chancen
Noch ein letzter, prüfender Blick auf das Notebook, dann dreht sich Sascha Kohlmann um und blickt direkt in die Kamera. „Live!“Mit diesem Wort begrüßt Sascha Kohlmann seine Anhänger im Facebook-Livestream; sein linker Arm schnellt nach oben, der erhobene Zeigefinger unterstreicht die Bedeutung des Augenblicks. Dann schwenkt der Arm mit einer einladenden Geste aus der Kamera und Kohlmann fährt fort: „Herzlich willkommen im World Wide Web bei Sascha kocht... Sonntagabends, 18 Uhr. Dieses Mal im Atelier in
Vollblutpolitiker; seit vielen Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für die regionale CDU. „Politik bedeutet für mich Menschenverstand, Bürgernähe und Bodenständigkeit“, schreibt er in seinem Profil. Bei der Landtagswahl am 14. März will er Abgeordneter für den Wahlkreis Konz/Saarburg werden.
Das Virus zerstört alle Pläne
Dass er in den Wochen vor dem Urnengang vor allem per Livestream-Videos in Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern treten würde, das hätte er sich in all den Jahren als Hobby-Politiker nie vorstellen können. Wahlkampf, das war für einen lokalen Kandidaten immer eine Mischung aus fleißigem Plakatieren – was Kohlmann und seine Anhänger auch dieses mal gemacht haben – vor allem aber aus zahlreichen Haustürbesuchen, Schwätzen mit den Menschen vor Ort und Präsenz an unzähligen Wahlkampfständen. Doch die Pandemie hat den bewährten Instrumentenkasten der Politik stark eingeschränkt. Aber wo eine Krise ist, tun sich immer auch Chancen auf.
Manche Kandidaten beschränken sich auf das Kleben von Plakaten, das Herumtelefonieren und das Einwerfen von Flyern in Postkästen. Andere versuchen, alte Wahlkampftraditionen corona-sicher umzuwandeln, etwa, indem sie kontaktlose Infostände aufbauen, wo die Werbemittel und Broschüren etwa per Greifzange weitergegeben oder an einer Wäscheleine aufgehangen werden. Doch das sind eher Verlegenheitslösungen. Lösungen, die Kandidaten mit der Motivation für einen aktiven Wahlkampf kaum zufriedenstellen.
„Als ich das Direktmandat gewonnen hatte, ging das mit Corona los“, blickt Kohlmann zurück. Von seiner Partei seien in dieser Ausnahmesituation zunächst wenig konkrete Anregungen gekommen, sagt er. Also probierte er einfach mal selbst etwas aus – und streamte bei Facebook ein Video unter dem Titel „Auf ein Bier mit Sascha und Lars“. Knapp 20 Leute schauten sich die erste Bierplauderei mit dem Parteifreund Lars Rieger und ihm an; schnell wuchs die Zahl. Irgendwann waren um die 1 000 Leute live dabei. „Und da habe ich gedacht: Ey Donnerwetter, Sascha, das gibt es doch gar net: Wenn du sonst irgendwo in der Turnhalle was machst, dann kommen 40 Leute. Davon sind 38 von der CDU und zwei von Wasweißichwo.“
Man merkt ihm am Telefon die Begeisterung an, wenn er von seinen ersten digitalen Experimenten erzählt und berichtet, mit wie wenig Aufwand so was funktioniere. Sein zweites Format hieß „Sascha trifft“, wo er Menschen in seinem Gartenhaus empfing. Schließlich fragte er sich, was die Menschen im Fernsehen gern schauen – und kam auf die Idee mit dem Live-Kochen bei Menschen aus der gesamten Region.
Das erste Koch-Video wurde viel geteilt und erreichte auf Facebook knapp 30 000 Menschen. Kohlmanns Beiträge sind mal eher unterhaltender Natur, oft aber auch klassische inhaltliche PolitDiskussionen etwa zur Lage der Hotellerie oder des Mittelstands.
Zwar habe sich das Format nach knapp drei Monaten etwas abgenutzt, doch im Schnitt erreiche er immer noch 5 000 Menschen, sagt er. Die Reaktionen seien positiv, weshalb er bis zur Wahl weitermachen wolle: „Selbst ältere Leute sagen: Och, wir kennen Sie aus dem Internet.“
Im digitalen Wohnzimmer
Auf das Internet ist die SPD-Spitzenkandidatin Malu Dreyer auch in Pandemiezeiten nicht angewiesen: Als Mitglied der Ministerpräsidentenkonferenz ist sie oft im Fernsehen zu Gast. Auch auf den Straßen von Rheinland-Pfalz dominiert das Konterfei der 60-Jährigen bei den Plakaten der Sozialdemokraten. „Wir mit Ihr“lautet das Motto der Werbekampagne, es ist ganz auf die parteiübergreifend beliebte Landesmutter ausgerichtet. Das sei eine gute Strategie, sagt der Trierer Parteienforscher Uwe
Jun dem „Luxemburger Wort“: „Die SPD hat schon immer über die Popularität ihrer Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz Landtagswahlen gewonnen, das war vorher Kurt Beck, jetzt Malu Dreyer – in einem Land, das ansonsten bei Bundestags- und Kommunalwahlen stärker CDU wählt.“
Trotz ihrer starken Präsenz in klassischen Medien nutzt auch Malu Dreyer die zusätzliche Bühne, die ihr die sozialen Medien bieten. In normalen Zeiten wäre sie jetzt permanent im Auto unterwegs, würde von Ort zu Ort eilen und Auftritte absolvieren. Doch bei der „WIR-MIT-IHR-Tour“2021 kommt nicht Dreyer zu den regionalen Kandidaten, sondern diese zu ihr. In der Mainzer Landesgeschäftsstelle hat die SPD ein „digitales Wohnzimmer“eingerichtet, auf dessen Wohnzimmer die Bewerber Platz nehmen. Kürzlich zu Gast: die Koblenzer Landtagskandidatin
Hunger auf den Wahlkampf: Mit seinem Format „Sascha kocht ...“, hier mit der Künstlerin Bettina Reichert, erreicht Sascha Kohlmann Tausende Menschen.
Anna Köbberling. Ein kleines Team aus drei sich abwechselnden Moderatoren sowie Technikern hat ihren Besuch live auf Facebook, Youtube und mehreren Partei-Internetseiten gestreamt.
Wer sich das Ergebnis auf dem Youtube-Kanal der SPD Rheinland-Pfalz anschaut, der sieht – zunächst einmal nur ein Standbild, und das für zweieinhalb Minuten. Dann beginnt endlich ein Countdown die 30 Sekunden bis zum Start der Liveübertragung herunterzuzählen: Zu sehen sind schnell geschnittene Videosequenzen von Dreyer im Gespräch mit
Wenn du sonst irgendwo in der Turnhalle was machst, dann kommen 40 Leute. Davon sind 38 von der CDU. CDU-Kandidat Sascha Kohlmann