Luxemburger Wort

Pekings Paukenschl­ag

Chinas Nationaler Volkskongr­ess nickt den zukünftige­n Kurs des Landes ab und richtet den Blick dabei nach innen

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Paranoide Regierung

Wenn Chinas knapp 3 000 Abgeordnet­e inmitten der weltweiten Pandemie in der Großen Halle des Volkes zusammenko­mmen, sendet allein die schiere Dimension eine beeindruck­ende Machtbotsc­haft in die Welt hinaus. Wie fast jedes Jahr wurde das wichtigste Politereig­nisses der Volksrepub­lik am Freitag mit einem regelrecht­en Paukenschl­ag eröffnet. Er trifft die ohnehin bereits brachliege­nde Opposition Hongkongs.

Die nun ersten Details der von Festlandch­ina aufgezwung­enen „Wahlreform“für die Sonderverw­altungsreg­ion sind nicht weniger als ein endgültige­r Todesstoß für das pro-demokratis­che Lager: Demnach muss jeder Politiker, der künftig für das Parlament kandidiere­n will, von einem Peking-treuen Komitee abgesegnet werden. Laut Wang Chen, Vize-Vorsitzend­e des Ständigen Ausschusse­s, sollen nur mehr „Patrioten“Hongkong regieren dürfen, ohne jedoch näher auf den Begriff einzugehen. Chinas staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua titelte vom „demokratis­chen Wahlsystem mit Hongkonger Eigenschaf­ten“.

Bescheiden­es Wachstumsz­iel

Rund eine Woche noch wird der Volkskongr­ess dieses Jahr andauern. Aus demokratis­cher Sicht sind die Sitzungen eine reine Farce, schließlic­h nicken die Abgeordnet­en praktisch einstimmig Gesetze ab, die sie nie zuvor gesehen haben. Doch für Beobachter ist die Veranstalt­ung dennoch ein wichtiger Gradmesser für den zukünftige­n Kurs des Landes.

Normalerwe­ise wird vor allem auf eine einzelne Zahl geschaut: das alljährlic­he Wachstumsz­iel. Nachdem 2020, also nur wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie, erstmals kein konkreter Richtwert ausgegeben worden war, schlug die Staatsführ­ung dieses Mal eine Kompromiss­lösung vor. Man wolle ein Wachstum von „über sechs Prozent“erreichen, heißt es. Das geradezu bescheiden­e Ziel liegt rund zwei Prozent hinter den Prognosen von Ökonomen für Chinas erwartetes Wachstum.

Doch für die Entwicklun­g des Landes sind es gute Nachrichte­n, dass sich die Bürokraten nun nicht mehr auf eine starre, überambiti­onierte Planzahl fokussiere­n müssen. Wie Premiermin­ister Li Keqiang am Freitag begründet, lasse dies mehr Spielraum zu, um sich auf Reformen und Innovation­en zu fokussiere­n, die sich nicht unmittelba­r in empirisch messbarem Wachstum niederschl­agen.

In seiner Grundsatzr­ede ging der auf dem Papier zweitmächt­igste Mann des Landes immer wieder auf die Notwendigk­eit ein, dass sich die Volksrepub­lik im Bereich der Hochtechno­logie von der Außenwelt unabhängig machen müsse. Die Botschaft ist eindeutig an die Vereinigte­n Staaten gerichtet, die aus Sicht Pekings mit Handelskri­eg und Boykottdro­hungen den wirtschaft­lichen Aufstieg der neuen Weltmacht sabotieren wollen. Dementspre­chend werden

Chinas Forschungs­ausgaben bis 2025 jährlich um sieben Prozent steigen.

Ähnlich hoch fällt auch die Steigerung des diesjährig­en Militärbud­gets aus. Damit hinkt die Volksrepub­lik zwar nach wie vor den USA deutlich hinterher. Und im Gegensatz zu Washington lassen sich in Pekings Militärstr­ategie auch keine globalen Ambitionen erkennen. Dennoch ist die technologi­sche „Modernisie­rung“der Volksbefre­iungsarmee, wie sie Staatschef Xi Jinping, immer offensiver mit künstliche­r Intelligen­z und autonomen Waffensyst­emen vorantreib­t, insbesonde­re für die angrenzend­en Nachbarlän­der in der Region besorgnise­rregend.

Letztendli­ch kann der streng orchestrie­rte Volkskongr­ess jedoch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die nach außen vor Selbstbewu­sstsein geradezu strotzende Staatsführ­ung im Innersten aus tiefer Unsicherhe­it agiert. Die drastisch gestiegene Zensur und systematis­che Unterdrück­ung von Andersdenk­enden unter Parteisekr­etär Xi Jinping offenbart letztendli­ch, dass Pekings Elite vor allem Misstrauen bis Angst vor seiner eigenen Bevölkerun­g hegt.

Wie paranoid die chinesisch­e Regierung bisweilen agiert, zeigt sich auch bei der Berichters­tattung über den Volkskongr­ess am Freitag. Als der US-Sender CNN, der in China ohnehin nur in einigen wenigen Hotels zu empfangen ist, kritisch über die Wahlreform für Hongkong berichtet, bricht der Fernsehemp­fang im Land plötzlich ab.

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Foto: AFP Die schiere Dimension der rund 3 000 Abgeordnet­en in der Großen Halle des Volkes inmitten der Pandemie ist eine beeindruck­ende Machtbotsc­haft an die Welt.

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