Die Angst vor steigenden Preisen
Verstärkte Konsumlaune, Rohstoff-Hausse und Demografie: Vieles spricht dafür, dass die Inflation bald wieder anzieht
Nach einem Jahr Pandemie mit zum Teil weitreichenden Eingriffen ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wächst mit jeder verabreichten Impfdosis die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Wenn die Beschränkungen schrittweise zurückgefahren werden, werden viele Menschen versuchen, das Versäumte aufzuarbeiten, indem sie sich in den Konsum stürzen oder abgesagte Reisen und verpasste Restaurantbesuche nachholen. Manche Ökonomen glauben daher, dass diese aufgestaute Konsumfreude zusammen mit anderen Faktoren die Inflation zumindest kurzfristig in die Höhe treiben wird. „In Luxemburg haben wir im vergangenen Jahr deutlich geringere Konsumausgaben gehabt. Die Haushalte haben 2020 gezwungenermaßen über eine Milliarde Euro eingespart. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind aber auch die Einkommen um ungefähr 600 Millionen Euro gestiegen. In der Summe hat man im Land also Ersparnisse, die etwa 1,6 Milliarden über denen des Vorjahres liegen“, sagt Tom Haas, Abteilungsleiter für Modellierung und ökonomische Voraussagen bei der Statistikbehörde Statec.
Wenn diese Ersparnisse nach den erhofften Lockerungen der Covid-Maßnahmen im Frühsommer massiv in Konsumausgaben umgesetzt werden, wird das in vielen Bereichen die Preise nach oben treiben. „Ein Beispiel wäre die Reisebranche. Wenn dort jetzt eine stark erhöhte Nachfrage auf ein vermindertes Angebot trifft – vielleicht auch, weil es einige Anbieter in dem Sektor durch die Krise nicht mehr gibt – wird in dem Bereich ein Preisdruck entstehen“, vermutet Cathy Schmit, Konjunkturanalystin beim Statec. So rechnen die Statistiker für Luxemburg in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 1,7 Prozent und für 2022 mit 1,8 Prozent. Das ist zwar ein ziemlicher Sprung im Vergleich zu der sehr niedrigen Rate im vergangenen Jahr von 0,8 Prozent, für Haas bedeutet das aber lediglich eine Rückkehr zur Normalität. „Auch wenn es in einigen Bereichen deutliche Preissteigerungen geben sollte, heißt das nicht, dass wir einen generellen starken Anstieg der Inflation erwarten“, sagt er. Den aktuellen Auftrieb bei den Preisen erklärt er sich in erster Linie mit einem gestiegenen Preis für Erdöl, ausgehend von einem niedrigen Niveau im vergangenen Jahr. Die CO2-Steuer, die in Luxemburg zum 1. Januar 2021 eingeführt wurde, spiele in kleinerem Maße eine Rolle.
Hohe Rohstoffpreise
Dabei sehen manche internationale Analysten durchaus Gründe, die zumindest mittelfristig für ein deutliches Anziehen der Preise sprechen könnten. Zum einen ist da der Anstieg der Rohstoffpreise aus der Talsohle des Nachfrageschocks im vergangenen Jahr. Jetzt, wo in vielen Ländern wie China die Fabriken wieder fast im Normalbetrieb arbeiten, erreichen die Preise für Rohmaterialien von Nickel bis Kupfer Niveaus wie zuletzt vor einem halben Jahrzehnt. Diese Effekte würden aber im Moment noch teilweise ausgeglichen durch den starken Euro, der Importe verbilligt. „Im vergangenen Jahr waren die Rohstoffe ja noch recht günstig. Auch wenn sie sich zuletzt wieder verteuert haben, dauert es doch eine Zeitlang, bis sich das über die Lieferkette und die Produktion auf die Verbraucherpreise auswirkt“, sagt Schmit. „Darüber hinaus muss man abwarten, ob diese Kostenfaktoren sich überhaupt in den Konsumentenpreisen niederschlagen. Ob die Produzenten das einfach an ihre Kunden weitergeben können, hängt ganz stark davon ab, wie die Nachfrage sich entwickelt.“
Auch die steigenden Preise für Rohöl sieht Haas nicht als eine unmittelbare Gefahr für die Stabilität des Preisniveaus. Die erdölproduzierenden Länder und Firmen hätten im vergangenen Jahr ihre Fördermengen aufgrund der gefallenen Preise gedrosselt und neue Erschließungsprojekte auf Eis gelegt. „Daher sind diese Preise jetzt sehr schnell in die Höhe geschossen, sie können aber genauso in ein paar Wochen wieder um zehn Dollar pro Barrel gefallen sein. Wenn sich der Markt jetzt normalisiert, werden die Produzenten auch wieder anfangen, mehr zu fördern“, sagt er.
Langfristige Tendenzen
Kurzfristig ist die Gefahr einer hohen Inflation also ziemlich gering. „Längerfristig sind jedoch Entwicklungen erkennbar, die uns in ein paar Jahren durchaus höhere Inflationsraten bescheren könnten“, schrieben Analysten des Vermögensverwalters DWS im Herbst. Es gibt mehrere Gründe, die, zumindest aus theoretischer Sicht, dafür sprechen, dass es im Nachgang zur Krise zu einem Anstieg der Inflationsraten kommt.
Zwei davon hängen mit der staatlichen Rettungspolitik der vergangenen Monate zusammen: Zum einen die massive Zunahme der Staatsverschuldung infolge von Kurzarbeitsgeld oder sonstigen Unternehmenshilfen und zum anderen die Ausweitung der Geldmenge, unter anderem durch Anleihenkäufe der Notenbanken. Gerade letzteres galt in der lange Zeit vorherrschenden Theorie des Monetarismus als der zentrale Grund für Inflation. Der Vorreiter des Ansatzes Milton Friedman sagte, dass Inflation „immer und überall“ein monetäres, also durch die Geldmenge bestimmtes, Phänomen sei. So belief sich die Geldmenge in der Euro-Zone Ende Dezember auf eine Summe von rund 14,5 Billionen Euro, ein Anstieg um etwa zwölf Prozent im Vorjahresvergleich. Laut Tom Gitzel, Chefvolkswirt der VPBank, ist auch in den USA die Geldmenge so stark gewachsen wie es „zuletzt während und nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.“Für die Analysten vom Statec ist aber auch das kein Alarmsignal. Der Monetarismus sei eine Theorie von vielen in diesem Bereich und dürfe inzwischen als überholt gelten, so Haas. „Der Ansatz fußt auf der Annahme, dass je mehr Geld im Umlauf ist, dieses Geld auch ausgeben wird. Und wenn dann die Nachfrage höher ist als das Angebot, treibt das die Preise in die Höhe“, sagt er. „Es ist aber in der Praxis nicht so, dass dieses Geld dann auch bei den Konsumgütern landet und somit die Inflation anheizt. In der Finanzkrise vor über zehn Jahren haben die Zentralbanken ähnliche Maßnahmen ergriffen. Damals hat das geholfen, Liquiditätsengpässe an den Finanzmärkten zu überwinden. Das zusätzliche Geld ging dann in Bankbilanzen, an die Börse oder in Immobilien, aber hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Inflation“,
Nur abrupte Preissteigerungen würden wirtschaftliche Schäden verursachen. Tom Haas, Statec
erklärt Haas. Ebenso treiben auch höhere Staatsausgaben nicht direkt die Inflation an, wenn sie nur, wie aktuell, den ausbleibenden privaten Konsum ausgleichen, so der Ökonom.
Ein weiterer potenzieller Treiber für die Inflation sind die Arbeitskosten. Je höher die Gehälter von Arbeitnehmern sind, desto teurer werden die Produkte, die sie herstellen. Gerade in einem Land wie Luxemburg, das einen Großteil seiner Verbrauchsgüter importiert, ist die Lohnentwicklung im Ausland ein entscheidender Faktor beim Inflationsgeschehen. Für viele Ökonomen waren daher die Öffnung Chinas von entscheidender Bedeutung. Billige Arbeitskräfte unter anderem in Ostasien trieben ab den 1990er Jahre die Produktionskosten und damit auch die Preise dauerhaft nach unten. Die Wirtschaftswissenschaftler Charles Goodhart und Manoj Pradhan argumentieren nun in einem vielbeachteten, kürzlich erschienen Buch, dass durch die lange geltende EinKind-Politik und den demografischen Wandel auch in China die billigen Arbeitskräfte knapp werden könnten und das Land damit als weltweite Inflationsbremse ausfällt. Dadurch würde auch hier ein höherer Druck auf die Preise entstehen. „Wenn es so kommen sollte, wird das aber nicht von einem Tag auf den anderen passieren, sondern das ist ein langfristiger Prozess, auf den sich Firmen und Konsumenten einstellen können. Wirtschaftliche Schäden würde das nur verursachen, wenn es zu abrupten Preisänderungen kommt. Das ist das, was wirtschaftliche Schäden verursacht“, sagt Haas. Solche langfristigen Prognosen sind aber derzeit noch recht spekulativ. Kurzfristig rechnet der Statec mit einer gemäßigten Inflation, die nächste Indextranche wird wohl nicht vor dem zweiten Quartal 2022 fällig.