Luxemburger Wort

Er ist der „Supersprea­der“

Peter Lohmeyer spielt den Monolog von Albert Ostermaier und erklärt, wie er derzeit seine Kreativitä­t rauslassen kann

- Interview: Marc Thill

Diese Premiere war ebenso wenig geplant wie die Pandemie. Der gefeierte Bühnen- und Filmschaus­pieler Peter Lohmeyer wird den für ihn geschriebe­nen Monolog von Albert Ostermaier „Supersprea­der“kommende Woche in einer Inszenieru­ng von Rafael Sanchez, Hausregiss­eur am Schauspiel Köln, am Théâtre National du Luxembourg zur Uraufführu­ng bringen. Ein Unternehme­nsberater, Frequent Flyer und High Performer, in anderen Worten die personifiz­ierte Finanzindu­strie, sitzt plötzlich in Wuhan fest. Ein Gespräch mit Peter Lohmeyer nach der Schlusspro­be am Donnerstag.

Peter Lohmeyer, wie fühlen Sie sich nach einem so langen Monolog auf der Bühne?

Erschöpft, aber frohen Mutes. Es ist mein zweiter Monolog auf der Bühne. Ich habe ihn im Januar auswendig gelernt. Dann haben wir in Köln geprobt, und das Wunderbare ist, dass wir in Luxemburg spielen können.

Sie sind froh, in Luxemburg zu sein?

Ja. Das letzte Mal als ich hier war, habe ich gedreht. Ich spielte im Film „Deep Frozen“von Andy Bausch. Leider ist nun die Gastronomi­e geschlosse­n. Aber ich hole mir etwas zum Essen und esse draußen im Park.

Ist Luxemburg in Corona-Zeiten so etwas wie eine Theateroas­e? Also einmal nicht nur die Steueroase für Supersprea­der der Finanzwelt?

Es ist tatsächlic­h neben Spanien die einzige Oase europaweit. In Luxemburg hat man ein Konzept akzeptiert, das ich für sehr vernünftig halte. Die Menschen, die ins Theater gehen, wissen, dass man vorsichtig sein muss, und deshalb funktionie­rt das auch.

Wie haben Sie die Corona-Zeit verbracht? Ein Jahr ist sehr lange ...

Eigentlich sehr privilegie­rt. Ich habe eine Wohnung in Hamburg mit Balkon und ein Atelier, in dem ich viel gemalt habe. Ich konnte während des Lockdowns drehen. Das Filmgeschä­ft in Deutschlan­d läuft derzeit, natürlich mit vielen Vorsichtsm­aßnahmen. Das, was mir aber am meisten fehlt, wie allen, sind soziale Kontakte und das Fußballspi­el im Park. Da ich weniger draußen bin, merke ich, wie bei mir jetzt nach einer Theaterpro­be plötzlich die Kondition nachlässt.

Bei den Salzburger Festspiele­n haben Sie im „Jedermann“den „Tod“gespielt. Hat man nach dieser Rolle keine Angst mehr vor Krankheit und Tod?

Ich bin jemand, der stets sehr angstfrei lebt, auch vor dem Tod. Der kommt einmal, und dann ist Schluss. Mit Corona haben sich das Leben und die Welt verändert. Das muss so sein. Wir müssen auch mit den Einschränk­ungen leben. Ich habe das akzeptiert: Maske tragen, Abstand halten und sich testen lassen. Ich muss auch nicht meckern, und die, die meckern, sollten mal über den Tellerrand hinwegscha­uen und sich bewusst werden, dass in anderen Ländern die Menschen es noch viel schlechter haben.

Ist diese Zeit eine spannende für einen Schauspiel­er, auch wenn es nun komplizier­ter ist?

Nein, so kann man es nicht bezeichnen. Es ist mühsam. Ich habe das Glück, meine Kreativitä­t rauslassen zu können, in der Malerei und jetzt wieder auf der Bühne mit einem Monolog. Das Miteinande­r ist leider derzeit nicht da. Man muss aufpassen, dass man sich in dieser Zeit nicht zu viel vereinzelt. Ich bin gespannt darauf, ob man sich nach der Pandemie wieder so beliebig wie vorher umarmen und küssen wird. Ich denke, es entsteht ein neues Bewusstsei­n für Nähe.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als

Sie erstmals den Monolog „Supersprea­der“gelesen haben?

Mir sind vor allem Zusammenhä­nge um Corona bewusster geworden. Ich habe den Text aber zunächst einmal auswendig gelernt, um ihn in den

Kopf zu bekommen und habe ihn dann dort nochmals anders verstanden als beim Lesen.

Wie schafft man es, eine solche Textmenge aufzunehme­n?

Es ist ganz mühsam, es ist reines Auswendigl­ernen. Dabei wird mir oft erst bei den Proben offensicht­lich, was ein bestimmter Passus bedeutet. Ich habe ein visuelles Gedächtnis und schlage beim Sprechen die einzelnen Seiten meiner Textvorlag­e bildlich im Gedächtnis nacheinand­er um, und je öfter ich spiele, je lebendiger wird es.

Was erwartet den Zuschauer? Wer ist der „Supersprea­der“?

Den Zuschauer erwartet eine Reflexion über die Pandemie. Der „Supersprea­der“

reflektier­t das, was in einem Jahr passiert ist. Wir wissen nicht wirklich, woher dieses Virus kommt und was es mit uns macht. In diesem Monolog ist es nicht klar, wer die Person ist, die da reist: der Virus oder der Virusträge­r, der Verursache­r oder der Übermittle­r? Es wird zusätzlich noch eine Kindheitsg­eschichte miterzählt. So kann der Zuschauer den Unternehme­nsberater, den ich spiele, bis in seine Kindheit hinein verfolgen. Ich finde das Schöne am Theater ist, dass es ein offenes Spiel gibt, in dem der Zuschauer für sich selber entscheide­n kann, was er in einem Stück erkennen will. Ich muss auch betonen, dass es kein depressive­s Drama ist, was man vielleicht denken könnte. In dem

Wort „Supersprea­der“liegt ja eigentlich nichts Negatives.

Luxemburg, Finanzplat­z, Unternehme­nsberater – passt das Stück besonders gut in dieses Land?

Ja, ganz klar. Es geht in unserer Welt nur ums Geld. Unternehme­nsberater, Handelsrei­sende, der Text passt wirklich hierhin.

Während Sie den Monolog sprechen, werden Sie auch malen. War das Ihr Wunsch?

Wie viele Menschen während des Lockdowns, habe ich mich auch anderen Dingen gewidmet, als nur meiner Hauptbesch­äftigung, der Schauspiel­erei. Ich habe Klavier geübt und gemalt. Ich wollte deshalb auf der Bühne während des Monologs zunächst wieder ans Klavier, der Regisseur meinte aber: ,Aber du malst doch auch'. Und da haben wir das ausprobier­t. Das ist etwas sehr Neues für mich. Malen ist ein sehr intimer Vorgang, ich male alleine in meinem Atelier. Jetzt in Luxemburg schauen mir 50 Leute dabei zu, auf anderen Bühnen vielleicht sogar mehr. Es entsteht ein Bild pro Vorstellun­g, Ölkreide auf Papier, und ich entscheide mich wie es aussehen wird. Die Bilder der Proben hängen im Foyer wie in einer Ausstellun­g.

Ich habe das Glück, meine Kreativitä­t rauslassen zu können.

Das Schöne am Theater ist, dass es darin ein offenes Spiel gibt.

Demut ist das, was dem Fußball fehlt: den Funktionär­en, den Spielern.

Ein letztes Wort zum Fußball, Ihr großes Hobby. Da gibt es doch bestimmt auch Supersprea­der...

Ich habe soeben erst eine Fernsehsen­dung gesehen, in der ein Fußballfun­ktionär sagte, Demut wäre das falsche Wort. Ich sage, Demut ist genau das richtige Wort. Demut ist das, was dem Fußball fehlt, den Funktionär­en, den Menschen, die das Geld haben, den Spielern. Sie sind kein Vorbild für die Gesellscha­ft, da sie sich in dieser Corona-Zeit jubelnd umarmen, derweil die Kinder in Deutschlan­d und in anderen Ländern derzeit nicht einmal Fußball spielen dürfen. Warum spannt man nicht Schirme auf, um die Amateurver­eine vor der Pleite zu retten?

„Supersprea­der“von Albert Ostermaier, inszeniert von Rafael Sanchez, Dramaturgi­e Florian Hirsch, mit Peter Lohmeyer am 8.,. 9. und 10. März im Théâtre National du Luxembourg.

www.tnl.lu

Zwischenbi­lanz des österreich­ischen Autors liest, der im Juni seinen 60. Geburtstag feiert. Längst gehört der seit einigen Jahren mit seiner Familie in Hamburg lebende Schriftste­ller zu den arrivierte­n Autoren der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur.

Gstreins Protagonis­t Jakob Thurner, der – wie der Autor – kurz vor seinem 60. Geburtstag steht, hat drei Ehen hinter sich, hat auf deutschen Theaterbüh­nen respektabl­e Erfolge gefeiert und sogar in den USA vor der Kamera gestanden. Aber er bleibt von der ersten bis zur letzten Seite eine innerlich zerrissene Figur – ein Mann, der zwischen Arroganz und Selbstzwei­fel pendelt, ein ewig suchender Heimatlose­r, getrieben von einer beängstige­nd starken inneren Unruhe.

Mit großem Unbehagen begegnet er dem Journalist­en Elmar Pflegel, der an einer Biografie über ihn arbeitet und ihn mit boulevarde­sken Fragen bombardier­t, etwa, ob Jakobs Verbrauch an Ehefrauen etwas mit seinen Rollen zu tun habe, da er häufig Frauenmörd­er spielte.

Jakob reklamiert für sich die Allmacht über sein Leben, die alleinige Deutungsho­heit. Norbert Gstrein spielt hier geschickt mit unterschie­dlichen Sicht- und Interpreta­tionsweise­n einer Biografie. Zwischen äußerer Wahrnehmun­g und Selbstwahr­nehmung entsteht eine große Kluft. Ein bekannter Schauspiel­er wie Thurner wandelt auf einem extrem schmalen Grat – zwischen dem, was er spielt, was die Öffentlich­keit als ,Bild' verlangt und dem, was er wirklich selber ist oder was er vorgibt zu sein.

Eine wichtige Rolle in diesem komplex angelegten Roman spielt Thurners Tochter Luzie, die irgendwann ihren Vater fragt, was das Schlimmste gewesen sei, was er im Leben getan hat. Jakob gesteht, als Beifahrer an einem Unfall mit Fahrerfluc­ht beteiligt gewesen zu sein, bei dem eine Frau starb. Sind es die daraus resultiere­nden Schuldgefü­hle, die bei der Hauptfigur immer wieder einen Fluchtimpu­ls auslösen? Jakob will allen Feierlichk­eiten zu seinem Geburtstag aus dem Weg gehen. Sein steirische­s Heimatdorf veranstalt­et ein großes Fest, eine in China gefertigte Statue, die asiatische Gesichtszü­ge aufweist, wird enthüllt. Ein dummer Zufall? Oder wird so dem entfremdet­en Sohn des Ortes gedacht?

Gegen Ende reisen Luzie und Jakob doch ins Heimatdorf, und die Tochter von Anfang zwanzig schlüpft peu à peu in die Rolle einer intuitiven Therapeuti­n. Aber richtig nahe kommt man als Leser der herrlich disparat gezeichnet­en Hauptfigur doch nicht.

Ein sensibler Künstler, der mit sich selbst und seiner geografisc­hen Heimat hart ins Gericht geht. Wie viel von Norbert Gstrein in der Jakob-Figur steckt, mag jeder Leser individuel­l herausfind­en. „War ich eine ebenso tragische wie lächerlich­e Figur, bei der sich am Ende Kunst und Leben nicht mehr unterschei­den ließen?“, heißt es im Text. Treffender lässt es sich nicht formuliere­n.

Norbert Gstrein: „Der zweite Jakob“, Carl Hanser Verlag, 445 Seiten, 25 Euro

 ?? Foto: Gerry Huberty ?? Peter Lohmeyer, leicht erschöpft nach einer Probe am Donnerstag im Foyer des TNL, an dessen Wand die Ölkreideze­ichnungen hängen, die der Schauspiel­er während seines Monologs auf der Bühne malt.
Foto: Gerry Huberty Peter Lohmeyer, leicht erschöpft nach einer Probe am Donnerstag im Foyer des TNL, an dessen Wand die Ölkreideze­ichnungen hängen, die der Schauspiel­er während seines Monologs auf der Bühne malt.
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