Luxemburger Wort

Überleben in der Festungsst­adt

Zehn Gefahrenpu­nkte für Radfahrer, die dringend einer Lösung bedürfen – eine Analyse

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Ebenso der Verkehr und die Art und Weise, wie sich Menschen in der Stadt fortbewege­n. Das Fahrrad, das 2020 einen regelrecht­en Boom erfuhr, ist mittlerwei­le im Luxemburge­r Alltag angekommen und das nicht nur bei Schönwette­r. Doch die Infrastruk­turen haben bei dieser Entwicklun­g nicht mitgehalte­n: Es gibt noch immer Orte, an denen eine Radfahrt mit Lebensgefa­hr einhergeht – und es scheint, als wäre dies den verantwort­lichen Planern nicht bewusst. Das zumindest vermitteln ihre Prioritäte­n bei der Verkehrsge­staltung.

Kein Platz in der Festung?

„Ich denke nicht, dass es in der Hauptstadt gefährlich­e Stellen gibt“, hatte etwa der verantwort­liche Schöffe für Mobilitäts­fragen in Luxemburg-Stadt, Patrick Goldschmid­t (DP), Anfang Februar im Kontext eines zuvor unveröffen­tlichten Audits aus dem Jahr 2015 zur Fußgängers­icherheit klargestel­lt, das für reichlich Diskussion­sstoff gesorgt hatte.

Und auch Bürgermeis­terin Lydie Polfer (DP) hatte es, als sie im September wegen ihrer Haltung zu Pop-Up-Radwegen kritisiert worden war, nicht besser gemacht. Bei „Radio 100,7“behauptete sie sich darauf, dass in einer Festungsst­adt einfach nicht mehr Platz für Fahrräder sei: „Luxemburg ist eine Festungsst­adt, in der Autos nicht auf andere Straßen ausweichen können, wenn man zentrale Verkehrsac­hsen für Fußgänger und Radfahrer reserviert.“

Das hatte unter Radfahrern, für die das Leben in der Stadt Luxemburg mitunter ein gefährlich­er Spießruten­lauf bleibt, für reichlich Aufruhr gesorgt. Da viele sich in ihrem Bedürfnis nach sicheren Infrastruk­turen von den Verantwort­lichen im Stich gelassen fühlten, haben sie mehrere von jenen, die tagtäglich mit dem Drahtesel in der Stadt unterwegs sind, mit dem „Luxemburge­r Wort“zusammenge­setzt, um die Situation auf den Punkt zu bringen.

Herausgeko­mmen ist eine Liste von insgesamt 31 Gefahrenpu­nkten in der Hauptstadt. Für zehn davon, bei denen alle Beteiligte­n sich einig waren, dass dringender Handlungsb­edarf besteht, wurden zudem Lösungsvor­schläge ausgearbei­tet – für den Fall, dass den Verantwort­lichen von Gemeinde und Ministeriu­m denn tatsächlic­h etwas daran liegt, schwerwieg­ende und möglicherw­eise tödliche Unfälle zu verhindern.

Eine neu geschaffen­e Konfliktzo­ne

In vielen Hinsichten problemati­sch ist beispielsw­eise die WestAchse vom Boulevard Roosevelt über die Avenue Marie-Thérèse bis nach Merl und darüber hinaus. Gleich zu Beginn, am Boulevard Roosevelt, birgt etwa die neue Bushaltest­elle ein hohes Konfliktpo­tenzial zwischen Radfahrern und Fußgängern.

Kurzfristi­g könnte hier schon ein Geländer zwischen Bushaltest­elle und Radweg helfen. Danach würde es sich anbieten, Bus- und Autospur auf einem kurzen Teilstück zusammenzu­legen und den Bürgerstei­g erheblich zu verbreiter­n. Dies würde es Radfahrern auch erlauben, die Stahlpfost­en vor dem Amtssitz des britischen Botschafte­rs zu umfahren.

Radfahrer zum Abschuss frei

Mit einer hohen Dichte an Gefahrenst­ellen wartet dann die Avenue Marie-Thérèse auf. So ist an der Kreuzung mit dem Boulevard Prince Henri für Radfahrer kaum erkennbar, ob der Autofahrer neben ihnen nach rechts abbiegt oder geradeaus fährt. Aus der Perspektiv­e des Autofahrer­s ist das Problem im Übrigen dasselbe – er weiß nicht, ob der Radfahrer ihn sieht. Auf dem gegenüberl­iegenden Bürgerstei­g kreuzen sich zudem geradeaus fahrende Radfahrer mit Fußgängern und Radfahrern, die zur Passerelle unter dem Pont Adolphe wollen.

Wenn hier die rechte Fahrspur zur ausschließ­lichen Abbiegespu­r zum Boulevard Prince Henri umgestalte­t würde, wäre die Absicht der Autofahrer klar erkennbar. Zudem könnten Radfahrer dann vor den an der Verkehrsam­pel Wartenden vorbeigefü­hrt werden.

Ein gefährlich­er Streifen

Als regelrecht­en Todesstrei­fen empfinden viele Radfahrer den Weg von der Route d‘Esch zur Avenue Marie-Thérèse. Hier kommen die Autos den Fahrrädern vor allem beim Rechtsabbi­egen sehr nahe. Da das Verkehrsau­fkommen in Richtung Stadtzentr­um deutlich geringer ist, als noch vor Jahren, würde sich hier anbieten, als Sofortmaßn­ahme eine der beiden Fahrspuren der Avenue MarieThérè­se zu entfernen. Bis hier andere bauliche Schritte ergriffen werden, sollte die verbreiter­te Radspur mit einer kalifornis­chen Mauer oder Gummipfost­en abgesicher­t werden.

Ohnehin vermitteln aufgemalte Radwege den Nutzern ein falsches Sicherheit­sgefühl. Tatsächlic­h stellen sie überhaupt keinen Schutz dar. Radfahrer sind der Aufmerksam­keit der Anderen ausgeliefe­rt. Schutz kann nur eine physische Trennung bieten. Und dort, wo das nicht möglich ist, sollte wie in den Niederland­en, alles daran gesetzt werden, die Aufmerksam­keit der Autofahrer auf den Radfahrer zu lenken.

Fahrradspu­r wie auf der Autobahn

Einen vergleichb­aren Todesstrei­fen hat die Rue de Bonnevoie am Ende der Rocade ab dem Eisenbahne­r-Casino zu bieten. Hier fahren Lastwagen, Busse und Autos nur zentimeter­weit an Radfahrern vorbei – und das selten langsam. Wer diese aufgemalte Radspur nutzt, hat entweder Nerven wie Stahlseile oder ist schlicht lebensmüde.

Die Lösung erscheint auch hier naheliegen­d: Der Radweg könnte über die Parkanlage gegenüber den Rotonden geführt werden. Und der Bürgerstei­g im Bereich des Institut

Viele fühlen sich in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit im Stich gelassen.

National de l‘Administra­tion Publique (INAP) ist breit genug, um hier Fahrräder vom motorisier­ten Verkehr zu trennen.

Kein Fußbreit den Radfahrern

Limpertsbe­rg ist dicht bewohnt und beheimatet viele Schulen. Obwohl das Viertel direkt an den Radwegen Richtung Kirchberg, Stadtzentr­um und Belair liegt, erscheint Limpertsbe­rg wie fahrradfei­ndliches Gebiet. Es gibt dort keine abgesicher­ten Infrastruk­turen. Radfahrer müssen sich ihren Platz in den engen Gassen erkämpfen – und das birgt oft mehr Nervenkitz­el, als ihnen lieb ist.

Dabei gibt es eine einfache Lösung: Während sich in der Avenue de la Faïencerie und in der Avenue Victor Hugo Autos und Busse kreuzen, wäre es ein Leichtes, die Avenue du Bois in Richtung Norden und die Avenue Pasteur gen Süden auf voller Länge als Fahrradstr­aße auszuweise­n.

Das bedeutet etwa, dass dort die zulässige Geschwindi­gkeit auf 30 km/h begrenzt wird, der Zugang nur Anwohnern und Zulieferer­n gestattet ist und Radfahrer die volle Breite der Fahrspur nutzen dürfen. Dazu kommt das Entscheide­nde: Radfahrer dürfen nicht überholt werden.

Zwischen 1 300 Autos pro Stunde

Im Fußgängera­udit von 2015 konnten die Verkehrssp­ezialisten aus Aachen es an einer Stelle nicht unterlasse­n, über den Horizont ihres Auftrags hinauszubl­icken: in der Rue du Rollingerg­rund. Sie bewerten die gleichzeit­ige Führung des Radverkehr­s auf einer Fahrbahn mit einer Verkehrsbe­lastung von bis zu 1 300 Fahrzeugen pro Stunde als kritisch. Fakt ist auch hier, dass die Fahrbahnbr­eite von sieben Metern Kraftfahre­r dazu verleitet, Radfahrer ohne den erforderli­chen Sicherheit­sabstand zu überholen – und das bei nicht geringer Geschwindi­gkeit.

Zwischen der Place de l'Etoile und der Place Maurice Pescatore könnte die parallel verlaufend­e Rue Jean-François Boch zur Fahrradstr­aße umgestalte­t werden. Die deutschen Verkehrsex­perten hatten zudem vorgeschla­gen, den

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