Überleben in der Festungsstadt
Zehn Gefahrenpunkte für Radfahrer, die dringend einer Lösung bedürfen – eine Analyse
Luxemburg. Das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Ebenso der Verkehr und die Art und Weise, wie sich Menschen in der Stadt fortbewegen. Das Fahrrad, das 2020 einen regelrechten Boom erfuhr, ist mittlerweile im Luxemburger Alltag angekommen und das nicht nur bei Schönwetter. Doch die Infrastrukturen haben bei dieser Entwicklung nicht mitgehalten: Es gibt noch immer Orte, an denen eine Radfahrt mit Lebensgefahr einhergeht – und es scheint, als wäre dies den verantwortlichen Planern nicht bewusst. Das zumindest vermitteln ihre Prioritäten bei der Verkehrsgestaltung.
Kein Platz in der Festung?
„Ich denke nicht, dass es in der Hauptstadt gefährliche Stellen gibt“, hatte etwa der verantwortliche Schöffe für Mobilitätsfragen in Luxemburg-Stadt, Patrick Goldschmidt (DP), Anfang Februar im Kontext eines zuvor unveröffentlichten Audits aus dem Jahr 2015 zur Fußgängersicherheit klargestellt, das für reichlich Diskussionsstoff gesorgt hatte.
Und auch Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) hatte es, als sie im September wegen ihrer Haltung zu Pop-Up-Radwegen kritisiert worden war, nicht besser gemacht. Bei „Radio 100,7“behauptete sie sich darauf, dass in einer Festungsstadt einfach nicht mehr Platz für Fahrräder sei: „Luxemburg ist eine Festungsstadt, in der Autos nicht auf andere Straßen ausweichen können, wenn man zentrale Verkehrsachsen für Fußgänger und Radfahrer reserviert.“
Das hatte unter Radfahrern, für die das Leben in der Stadt Luxemburg mitunter ein gefährlicher Spießrutenlauf bleibt, für reichlich Aufruhr gesorgt. Da viele sich in ihrem Bedürfnis nach sicheren Infrastrukturen von den Verantwortlichen im Stich gelassen fühlten, haben sie mehrere von jenen, die tagtäglich mit dem Drahtesel in der Stadt unterwegs sind, mit dem „Luxemburger Wort“zusammengesetzt, um die Situation auf den Punkt zu bringen.
Herausgekommen ist eine Liste von insgesamt 31 Gefahrenpunkten in der Hauptstadt. Für zehn davon, bei denen alle Beteiligten sich einig waren, dass dringender Handlungsbedarf besteht, wurden zudem Lösungsvorschläge ausgearbeitet – für den Fall, dass den Verantwortlichen von Gemeinde und Ministerium denn tatsächlich etwas daran liegt, schwerwiegende und möglicherweise tödliche Unfälle zu verhindern.
Eine neu geschaffene Konfliktzone
In vielen Hinsichten problematisch ist beispielsweise die WestAchse vom Boulevard Roosevelt über die Avenue Marie-Thérèse bis nach Merl und darüber hinaus. Gleich zu Beginn, am Boulevard Roosevelt, birgt etwa die neue Bushaltestelle ein hohes Konfliktpotenzial zwischen Radfahrern und Fußgängern.
Kurzfristig könnte hier schon ein Geländer zwischen Bushaltestelle und Radweg helfen. Danach würde es sich anbieten, Bus- und Autospur auf einem kurzen Teilstück zusammenzulegen und den Bürgersteig erheblich zu verbreitern. Dies würde es Radfahrern auch erlauben, die Stahlpfosten vor dem Amtssitz des britischen Botschafters zu umfahren.
Radfahrer zum Abschuss frei
Mit einer hohen Dichte an Gefahrenstellen wartet dann die Avenue Marie-Thérèse auf. So ist an der Kreuzung mit dem Boulevard Prince Henri für Radfahrer kaum erkennbar, ob der Autofahrer neben ihnen nach rechts abbiegt oder geradeaus fährt. Aus der Perspektive des Autofahrers ist das Problem im Übrigen dasselbe – er weiß nicht, ob der Radfahrer ihn sieht. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig kreuzen sich zudem geradeaus fahrende Radfahrer mit Fußgängern und Radfahrern, die zur Passerelle unter dem Pont Adolphe wollen.
Wenn hier die rechte Fahrspur zur ausschließlichen Abbiegespur zum Boulevard Prince Henri umgestaltet würde, wäre die Absicht der Autofahrer klar erkennbar. Zudem könnten Radfahrer dann vor den an der Verkehrsampel Wartenden vorbeigeführt werden.
Ein gefährlicher Streifen
Als regelrechten Todesstreifen empfinden viele Radfahrer den Weg von der Route d‘Esch zur Avenue Marie-Thérèse. Hier kommen die Autos den Fahrrädern vor allem beim Rechtsabbiegen sehr nahe. Da das Verkehrsaufkommen in Richtung Stadtzentrum deutlich geringer ist, als noch vor Jahren, würde sich hier anbieten, als Sofortmaßnahme eine der beiden Fahrspuren der Avenue MarieThérèse zu entfernen. Bis hier andere bauliche Schritte ergriffen werden, sollte die verbreiterte Radspur mit einer kalifornischen Mauer oder Gummipfosten abgesichert werden.
Ohnehin vermitteln aufgemalte Radwege den Nutzern ein falsches Sicherheitsgefühl. Tatsächlich stellen sie überhaupt keinen Schutz dar. Radfahrer sind der Aufmerksamkeit der Anderen ausgeliefert. Schutz kann nur eine physische Trennung bieten. Und dort, wo das nicht möglich ist, sollte wie in den Niederlanden, alles daran gesetzt werden, die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf den Radfahrer zu lenken.
Fahrradspur wie auf der Autobahn
Einen vergleichbaren Todesstreifen hat die Rue de Bonnevoie am Ende der Rocade ab dem Eisenbahner-Casino zu bieten. Hier fahren Lastwagen, Busse und Autos nur zentimeterweit an Radfahrern vorbei – und das selten langsam. Wer diese aufgemalte Radspur nutzt, hat entweder Nerven wie Stahlseile oder ist schlicht lebensmüde.
Die Lösung erscheint auch hier naheliegend: Der Radweg könnte über die Parkanlage gegenüber den Rotonden geführt werden. Und der Bürgersteig im Bereich des Institut
Viele fühlen sich in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit im Stich gelassen.
National de l‘Administration Publique (INAP) ist breit genug, um hier Fahrräder vom motorisierten Verkehr zu trennen.
Kein Fußbreit den Radfahrern
Limpertsberg ist dicht bewohnt und beheimatet viele Schulen. Obwohl das Viertel direkt an den Radwegen Richtung Kirchberg, Stadtzentrum und Belair liegt, erscheint Limpertsberg wie fahrradfeindliches Gebiet. Es gibt dort keine abgesicherten Infrastrukturen. Radfahrer müssen sich ihren Platz in den engen Gassen erkämpfen – und das birgt oft mehr Nervenkitzel, als ihnen lieb ist.
Dabei gibt es eine einfache Lösung: Während sich in der Avenue de la Faïencerie und in der Avenue Victor Hugo Autos und Busse kreuzen, wäre es ein Leichtes, die Avenue du Bois in Richtung Norden und die Avenue Pasteur gen Süden auf voller Länge als Fahrradstraße auszuweisen.
Das bedeutet etwa, dass dort die zulässige Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt wird, der Zugang nur Anwohnern und Zulieferern gestattet ist und Radfahrer die volle Breite der Fahrspur nutzen dürfen. Dazu kommt das Entscheidende: Radfahrer dürfen nicht überholt werden.
Zwischen 1 300 Autos pro Stunde
Im Fußgängeraudit von 2015 konnten die Verkehrsspezialisten aus Aachen es an einer Stelle nicht unterlassen, über den Horizont ihres Auftrags hinauszublicken: in der Rue du Rollingergrund. Sie bewerten die gleichzeitige Führung des Radverkehrs auf einer Fahrbahn mit einer Verkehrsbelastung von bis zu 1 300 Fahrzeugen pro Stunde als kritisch. Fakt ist auch hier, dass die Fahrbahnbreite von sieben Metern Kraftfahrer dazu verleitet, Radfahrer ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand zu überholen – und das bei nicht geringer Geschwindigkeit.
Zwischen der Place de l'Etoile und der Place Maurice Pescatore könnte die parallel verlaufende Rue Jean-François Boch zur Fahrradstraße umgestaltet werden. Die deutschen Verkehrsexperten hatten zudem vorgeschlagen, den