Luxemburger Wort

Von Mode und Feminismus

Dior-Chefdesign­erin Maria Grazia Chiuri zeigt ungewöhnli­che Facetten in ihrer Schaffensw­elt

- Von Clemens Sarholz

Am Anfang einer Show 2018 stand eine Marinière mit der Frage „Why have there not been great women artists?“. Ursprüngli­ch wurde diese Frage von Linda Nochlin im Jahre 1971 gestellt. Nochlin legte damit den Grundstein für eine feministis­che Kunstgesch­ichtsschre­ibung und zeigte eine strukturel­le Benachteil­igung von Frauen in diesem Bereich auf. Das Essay, das bis heute für Gesprächss­toff, Diskussion­en und Streit sorgt, ließ die Designerin des Shirts, Maria Grazia Chiuri, auf den Stühlen ihrer Showgäste auslegen.

Für die Rechte der Frau

Es war nicht das erste feministis­che Statement, mit dem die in Interviews ruhig und besonnen, fast schon schüchtern wirkende Chiuri auffiel. Als sie 2016 den Posten als Kreativdir­ektorin für die Damenmode im Hause Dior übernommen hat – als erste Frau in dieser Position –, entwarf sie ein TShirt mit dem Aufdruck „We should all be feminists“, das ebenfalls einen Bezug zu einem kritischen Text herstellte. Wer im Februar 2018 im Rodin Museum in Paris ihre Show begleitete, der war umgeben von einer Collage aus alten Zeitungsar­tikeln, die Slogans wie „Women's rights are human rights“für die Gäste bereithiel­t. Nur zwei Wochen zuvor kündigte die Staatsanwa­ltschaft New Yorks an, Harvey Weinstein wegen der massenhaft­en Vergewalti­gung von Frauen anzuklagen.

„Es ist eine seltsame Industrie“, sagte Chiuri einmal in einem Interview mit „W Magazin“. „Die Kunden sind Frauen, viele Angestellt­e sind Frauen, aber alle waren überrascht, als ich Creative Director von Dior wurde.“Wohingegen

Designerin Maria Grazia Chiuri arbeitete zuvor für Fendi und Valentino.

Mode – eine feministis­che Sprache, die jeder versteht.

Chiuri ebenso mit den Worten „Dior ist eine feminine Marke“empfangen wurde. Ihr war klar, dass sie feminine Werte teilt, ihr die bisherige Linie des Modelabels aber nicht weit genug ging. Ein paar Jahre zuvor trennte sich Dior vom Designer John Galliano, da er mit antisemiti­schen Aussagen auf sich aufmerksam machte.

Die in Rom geborene Designerin startete ihre Karriere 1989 bei Fendi, wo sie unter anderem an der Kreation der berühmten „Baguette Bag“beteiligt war. 1999 rekrutiert­e Valentino Garavani seine Landsfrau persönlich für das nach ihm benannte Modehaus. Dort arbeitete sie lange Zeit mit Pierpaolo Piccioli zusammen, mit dem sie seit 2008 – bis zu ihrem Wechsel zu Dior – auch gemeinsam die künstleris­che Leitung übernahm.

Bevor Maria Grazia Chiuri zu Fendi kam, studierte sie an einer privaten Designschu­le in Rom und nahm einen Job bei einem Hersteller von Accessoire­s an, wo sie einige Jahre lang Sandalen entwarf. Im Urlaub auf Sardinien traf sie ihren Ehemann Paolo Regini, der ebenfalls in der Modebranch­e arbeitet.

Die Kunden sind Frauen, viele Angestellt­e sind Frauen, aber alle waren überrascht, als ich Creative Director von Dior wurde. Maria Grazia Chiuri

Kritische Beobachter­in

Obwohl die 57-Jährige in diesen Bereichen aktiv ist, betrachtet sie die Branche und die Konsumgese­llschaft – trotz oder wegen ihrer Position darin – kritisch. In Interviews spricht sie sich für den Verzicht aus. Sie sei diesbezügl­ich optimistis­ch, da junge Leute insgesamt bewusster einkaufen, Vintage-Kleidung tragen und insgesamt weniger besitzen würden.

Die Modeindust­rie sei zudem nicht perfekt. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir darin arbeiten können“, erklärte sie einmal der Chefredakt­eurin von „Iconist“.

Man könne nicht eine ganze Industrie zerstören, da viele Leute und Familien, viel zu viele Existenzen abhängig von ihr seien. In der Kunst- und Modebranch­e gilt Chiuri als scharfe Beobachter­in, die durch ihre „intelligen­te Menschlich­keit“besticht.

Am 8. März, pünktlich zum Weltfrauen­tag, erscheint ihr neuer Fotoband mit dem Titel „Her Dior: Maria Grazia Chiuri's New Voice”. Für dieses Projekt fingen 33 Fotografin­nen Augenblick­e von Chiuris Mode ein – eine Interpreta­tion ihres Schaffens durch das weibliche Auge. „In diesem Buch geht es darum, wie ich feministis­chen Aktivismus zum Ausdruck bringe: durch das Feiern von Schönheit, weiblicher Kreativitä­t und dem Wunsch, außergewöh­nliche, engagierte, gewagte und selbstbewu­sste Mode zu kreieren“, so die Designerin.

„Her Dior: Maria Grazia Chiuri's New Voice“, Rizzoli New York, 240 Seiten, ISBN: 978-0-8478-70295, € 85.

 ?? Foto: Elina Kechicheva ?? Eindrücke von der Prêt-à-porter-Schau Frühling/Sommer 2021: Maria Grazia Chiuri (Mitte, in Schwarz) lässt sich von Musik und Literatur der vergangene­n Jahrzehnte inspiriere­n. Die DNA der Marke Dior blitzt in ihren Kreationen jedoch immer wieder durch.
Foto: Elina Kechicheva Eindrücke von der Prêt-à-porter-Schau Frühling/Sommer 2021: Maria Grazia Chiuri (Mitte, in Schwarz) lässt sich von Musik und Literatur der vergangene­n Jahrzehnte inspiriere­n. Die DNA der Marke Dior blitzt in ihren Kreationen jedoch immer wieder durch.
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Foto: Dior
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Foto: Maripol
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