„Wir recherchieren, bis der Arzt kommt“
Regisseur Armin Maiwald über 50 Jahre „Die Sendung mit der Maus“, kluge Kinderfragen und Tabuthemen
Die „Sendung mit der Maus“wird 50, und alle feiern mit: Am 7. März 1971 lief die erste Folge der damals noch „Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger“genannten Sendung – heute ist sie ein Klassiker des Kinderfernsehens, den Jung und Alt lieben. Am Jubiläumswochenende wird die Maus mit einer Spezialausgabe von „Frag doch mal die Maus“(6. März, 20.15 Uhr, ARD) und mit „Die Geburtstagssendung mit der Maus“(7. März, 9 Uhr, ARD) gewürdigt. Als Vater der Maus gilt Armin Maiwald: Der 81-Jährige hob die Sendung einst mit einigen Mitstreitern aus der Taufe und dreht mit seiner Produktionsfirma bis heute Sachgeschichten über Themen von Atomkraft bis Zuckerwürfel.
Armin Maiwald, die „Sendung mit der Maus“wird 50 und groß gefeiert. Sind Sie stolz darauf?
Ein bisschen schon, und natürlich fühle ich mich von dem großen Rummel auch ein wenig geschmeichelt. Am Anfang hat ja kein Mensch damit gerechnet, dass die Sendung sich so lange hält – und es gab ja auch viel Kritik.
Was wurde anfangs kritisiert?
Es hieß: Das ist alles zu schnell, es geht über die Köpfe der Kinder hinweg, ihr zeigt nicht die ausgebeuteten Massen – es gab keinen Vorwurf, den wir nicht gekriegt hätten. Die Kritik kam aus allen Richtungen. Den Rechten waren wir zu links und den Linken zu rechts, also lagen wir im Prinzip genau richtig.
Was war 1971 die ursprüngliche Absicht hinter der Sendung?
Bis dahin bestand Kinderprogramm vor allem daraus, dass eine Tante was vorgelesen oder irgendein Onkel was gebastelt hat. Wir wollten raus aus dem Studio und den Kindern die Welt zeigen, in der sie eigentlich leben. Die ersten Sachgeschichten drehten sich um Dinge, die jedes Kind kennt. Wir haben gezeigt, dass das Brötchen, die Milch und das Ei schon einen langen Weg hinter sich haben, ehe sie auf dem Frühstückstisch landen. Das waren die ersten drei Filme, denn die Kinder wohnten schon damals zum größten Teil in Städten und hatten keinen Zugang zu Bauernhöfen oder Backstuben.
Was wollen Kinder heute am häufigsten wissen?
Heutzutage drehen sich viele Fragen um Computer, Handys und solche Sachen, wie etwa: Was passiert, wenn ich bei meinem Computer auf den Buchstaben A drücke? Wie funktioniert das Internet? Woher weiß das Handy, dass ich jetzt in Köln auf der Domplatte bin? Das sind Fragen, die den Kindern heute täglich begegnen, und das ist oft schwierig zu beantworten, denn Strom kann man nicht sehen – man kann nur die Auswirkungen beobachten. Aber die Kinder schicken uns auch andere Fragen: Wie schwer ist eine Wolke, oder: Woher weiß die Kopfschmerztablette, dass sie in den Kopf soll, wo ich sie doch in den Magen schlucke? Manchmal habe ich das Gefühl, dass Erwachsene ihre Kinder vorschicken, wenn sie selber die Frage nicht beantworten können. Aber das ist nur eine Vermutung.
Stimmt es, dass die zentrale Figur beinahe keine Maus, sondern ein Nilpferd geworden wäre?
Sowohl die Maus als auch das Nilpferd beruhen auf einem Buch von Ursula Wölfel mit mehreren Geschichten. Eine davon war die vom Nilpferd und dem Fotografen, eine andere war „Die Maus im Laden“. Die Maus geht abends in den Laden, riecht erst Käse, dann Wurst, dann Kuchen. Nachdem sie die ganze Nacht immer was entdeckt hat, was noch leckerer ist als das vorherige, ist sie am Morgen genauso hungrig wie vorher, weil sie sich nicht entscheiden konnte. In der Redaktion hat man sich für die Maus entschieden – es hätte aber auch das Nilpferd sein können.
Ist die Maus ein Mädchen?
Es heißt zwar „die Maus“aber es ist eine Zeichentrickfigur und damit geschlechtslos. Sie hat auch nur die Logik einer Trickfigur, sie kann den Bauch aufmachen und da ist Werkzeug oder ein Wecker drin, sie kann sich den Schwanz abnehmen oder die Ohren und damit Suppe löffeln – lauter Dinge, die im normalen Leben nicht möglich sind.
Werden die Geräusche immer noch mit Kokosnussschalen und Kastagnetten gemacht?
Das hat sich als gut und funktionierend erwiesen, und warum sollte man das ändern? Wir werden immer wieder gefragt, warum die Maus nicht spricht. Damals, als sie erfunden wurde, gab es schon genügend animierte Figuren, die gelabert haben, und wir wollten keine weitere Figur, die immer nur quatscht und quasselt. Die Maus sollte von Anfang an ein stummer Moderator sein. Sie sollte eine Pausenfunktion haben und mit kleinen lustigen Geschichten irgendein kleines Problemchen möglichst witzig lösen.
Der Vorspann wird stets in einer Fremdsprache wiederholt. Gibt es Sprachen, die noch nie vorkamen?
Ich glaube nicht – von Kisuaheli bis Chinesisch ist jede Sprache schon mal dagewesen. Die ersten Sprachen, die damals ausgewählt wurden, waren die der damals so genannten Gastarbeiter, von denen wir annahmen, dass – wenn sie ihre Familien nachholen – Kinder dabei sind, die noch nicht Deutsch sprechen. Die ersten vier Sprachen waren deshalb Spanisch, Portugiesisch, Serbokroatisch und Italienisch. Aber die Sache hat im Lauf der Zeit ihr Eigenleben bekommen, und heutzutage scheinen viele Zuschauer gerne zu rätseln, um was für eine Sprache es sich handelt, während der Text gesprochen wird.
Was war die größte Änderung in den 50 Jahren?
Die Maus hat sich eigentlich permanent verändert. Wenn man sich heute die allerersten Sachgeschichten anschaut, dann sind die ganz gemütlich und langsam erzählt. Heute sind die Schnitte schneller, denn die Sehgewohnheiten haben sich verändert. Und früher kamen die Beiträge fast ohne Worte aus, heute werden sie durchgetextet – weil die Themen oft so kompliziert sind, dass man auf das Wort zurückgreifen muss. Was sich nicht verändert hat, ist, dass nach wie vor ordentlich recherchiert wird. Wir recherchieren, bis der Arzt kommt, was gerade im Zeitalter der Fake News besonders wichtig ist und zu unserem journalistischen Selbstverständnis gehört.
Ist Politik ein Tabuthema?
Aus Parteipolitik halten wir uns völlig raus, auch aus Religion.
Eine der meistgestellten Fragen an uns lautet: Wo wohnt der liebe Gott? Darauf kann man ja keine vernünftige Antwort geben. Wir waren zwar durchaus mal in einer Moschee, um zu zeigen, wie es da aussieht, wir haben erklärt, was die Bedeutung des siebenarmigen Leuchters ist, oder haben den Unterschied zwischen evangelischen und katholischen Hostien erklärt. Aber alles, was mit Glaubensfragen und Parteipolitik zusammenhängt, können wir seriöserweise nicht beantworten.
Unser Schwerpunkt ist im Moment der Blick nach vorne. Wie sieht unsere Zukunft aus?
Worin liegt die zentrale Aufgabe der Sendung im Jahr 2021?
Unser Schwerpunkt ist im Moment der Blick nach vorne. Wie sieht unsere Zukunft aus? Was passiert mit dem Klima? Wie werden wir wohnen und essen? Wie wird sich unsere Gesellschaft ändern? Erst neulich waren wir in Zürich, wo am „Urban Mining“geforscht wird – da wird die Stadt als Rohstofflager genutzt und es wird nach bestehendem Material gegraben, aus dem man bessere neue Produkte machen kann.
Haben Sie Enkel oder Ur-Enkel, mit denen Sie die Sendung schauen?
Weder noch. Ich habe zwei Kinder, aber die haben beide keinen Nachwuchs. Meine eigenen Kinder sind mit meinem Beruf übrigens genauso selbstverständlich umgegangen wie Kinder, deren Vater Bäcker oder Schuster ist, und sie mussten auch nie als Testseher herhalten. Oft genug ist mein Sohn nach Hause gekommen, hat gefragt, was ich da mache, und wenn ich am Schneidetisch saß, hat er gesagt: Dann gehe ich lieber nach oben zu Mama.
Heutzutage drehen sich viele Fragen um Computer, Handys und solche Sachen.