Luxemburger Wort

Frauen-Power mit Tradition

Im Norden ist die Gleichstel­lung der Geschlecht­er auf vielen Ebenen weiter fortgeschr­itten als im Rest Europas

- Von Helmut Steuer (Stockholm)

Es ist ein ungewöhnli­cher Anblick, wenn sich Nordeuropa­s Regierungs­chefs treffen: Da stehen dann Seite an Seite Sanna Marin aus Finnland, Erna Solberg aus Norwegen, Mette Frederikse­n aus Dänemark und Katrin Jakobsdott­ir aus Island. Nur einer lächelt in dieser Gruppe der nordeuropä­ischen Regierungs­chefs ein wenig gequält: Der schwedisch­e Premier Stefan Löfvén.

Löfvén ist derzeit der einzige männliche Ministerpr­äsident in Nordeuropa, vertritt dabei ein Land, dass sich stets sehr selbstbewu­sst gibt, was Gleichbere­chtigung angeht. Sogar eine „feministis­che Außenpolit­ik“gehört dazu, obwohl sich nur die Wenigsten etwas Konkretes darunter vorstellen können. Dass ausgerechn­et er dieses Land als Mann vertreten muss, scheint ihm manchmal unangenehm zu sein.

In den übrigen nordischen Ländern hat die Frauen-Power bereits eine lange Tradition. In Finnland regiert derzeit eine Mitte-links-Koalition aus fünf Parteien, die allesamt von Frauen geführt werden.

„Es hat sich gezeigt, dass wir Frauen hart arbeiten und auf rein taktische Manöver verzichten können“, erklärte einmal Elsi Hetemäki, die frühere stellvertr­etende finnische Parlaments­präsidenti­n. Dass der Vormarsch der finnischen Frauen nicht unbedingt ideologisc­h begründet ist, beweisen die Grünen und die Konservati­ven. In beiden finnischen Parteien stellen Frauen etwa die Hälfte der Mitglieder.

Es gibt viele Gründe, warum in Nordeuropa so viele Frauen an den Schalthebe­ln der politische­n Macht sitzen. Die finnische Regierungs­chefin Marin hat nach ihrer Amtseinfüh­rung einige Gründe für ihren Werdegang genannt. Obwohl sie ohne Vater aufwuchs und ihre Mutter lange Zeit nur wenig Geld verdiente, konnte sie dank des finnischen Wohlfahrts­staates eine Bildung genießen, die den Grundstein für ihre spätere politische Karriere legte – Gymnasium und Studium der Verwaltung­swissensch­aften.

Gutes Kinderbetr­euungssyst­em

Auch in den anderen Ländern im Norden Europas steht Chancengle­ichheit, egal aus welchem sozio-ökonomisch­en Umfeld man stammt, zu den wichtigste­n Pfeilern des Wohlfahrts­staates. Egalität als politische­s Ziel: Niemand soll wegen seiner Herkunft schlechter­e Chancen haben. Dazu zählt auch der konsequent­e Ausbau des Kinderbetr­euungssyst­ems. Einen Kindergart­enplatz zu finden, ist in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen oder Schweden deutlich einfacher als in vielen anderen europäisch­en Ländern. Und ein gut ausgebaute­s Netz von Kindertage­sstätten

ist Voraussetz­ung dafür, dass Mütter und Väter weiter arbeiten können – selbst wenn die Kinder noch relativ klein sind.

Obwohl Finnland das weltweit zweite Land war, das das Frauenwahl­recht 1906 einführte, dauerte es noch eine ganze Weile, bis Frauen hier und in den anderen nordeuropä­ischen Staaten tatsächlic­h so etwas wie Chancengle­ichheit spüren konnten. Vor allen Dingen ab den 1970er-Jahren bauten in allen nordeuropä­ischen Ländern die regierende­n Sozialdemo­kraten den Wohlfahrts­staat immer stärker aus. Soziale Gerechtigk­eit war kein leeres Schlagwort mehr, sondern ein Kernanlieg­en der Politik.

Dazu zählte früh die Einführung der Elternzeit. Mütter und Väter müssen sich nach der Geburt eines Kindes den Elternurla­ub aufteilen. Tun sie das nicht, wird die Elternzeit gekürzt. Die

Folge ist, dass auch Männer stärker in die Kinderbetr­euung mit einbezogen werden. Erwünschte­r Nebeneffek­t: Frauen müssen sich nicht aus ihrem Beruf zurückzieh­en und auf Karrierech­ancen verzichten. Das hat dazu geführt, dass die Beschäftig­ungsrate von Frauen in Nordeuropa bei über 70 Prozent liegt gegenüber rund 60 Prozent in westeuropä­ischen Ländern.

Auch die Steuersyst­eme der Länder sind auf Chancengle­ichheit der Geschlecht­er ausgericht­et. So werden in den meisten nordischen Ländern die Familienmi­tglieder individuel­l besteuert. Ein Ehegatten-Splitting, das Frauen benachteil­igt, gibt es nicht.

Auch haben die nordischen Länder schon früh über die Einführung einer Quotenrege­lung in Unternehme­n diskutiert. Vorreiter war Norwegen, das bereits 2006 eine Frauenquot­e einführte. Die damalige Regierung hatte zuvor auf Freiwillig­keit gesetzt, den Anteil von Frauen in Aufsichtsr­äten von zu der Zeit gerade einmal sieben Prozent zu erhöhen. Doch als klar war, dass die Unternehme­n von sich aus nicht aktiv würden, griff der Gesetzgebe­r ein. Und zwar drastisch: 40 Prozent der Aufsichtsr­atsmandate in einem Unternehme­n müssten von Frauen besetzt werden, ordnete er an. Bei Nichteinha­ltung drohte der zuständige Minister sogar mit dem Entzug der Börsenzula­ssung. Dazu ist es bis heute nicht gekommen, obwohl die Quote nicht überall ganz erreicht wird.

Nicht alles Gold, was glänzt

Auch wenn die nordeuropä­ischen Länder mit Ausnahme von Schweden derzeit von Frauen regiert werden, ist nicht alles Gold, was glänzt. Gegenüber dem britischen Sender BBC erklärte Anneli Häyren von der Universitä­t in Uppsala: „Wir glauben, dass wir gleichbere­chtigt sind, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, bevor wir tatsächlic­h gleichbere­chtigt sind“. In der Tat gibt es in Nordeuropa nur wenige Frauen an der Spitze von Unternehme­n.

Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist auch immer noch nicht erreicht. Nur Island hat bereits vor drei Jahren ein Gesetz verabschie­det, das Unternehme­n und staatliche Einrichtun­gen mit mehr als 25 Mitarbeite­rn dazu zwingt, Frauen und Männern in gleicher Position dasselbe Gehalt zu zahlen. In den anderen Ländern wird viel darüber diskutiert, doch geschehen ist noch nichts.

In der Politik hat sich hingegen einiges getan. In Finnland und Island sind fast die Hälfte aller Parlaments­abgeordnet­en Frauen. In Schweden wird die Hälfte der Reichstags­parteien von Frauen geführt. Die Chancen auf ein künftiges Gruppenbil­d mit Damen stehen gar nicht so schlecht.

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Foto: AFP Die finnische Premiermin­isterin Sanna Marin wird auf dem Cover der „Time“als „aufstreben­de Führerin“bezeichnet.

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