Luxemburger Wort

Netanjahu muss um den Sieg bangen

Israels politische­s System bleibt instabil: Nach der vierten Wahl spricht man in Jerusalem bereits von der fünften

- Von Pierre Heumann (Tel Aviv)

Israel hat vorgestern zwar gewählt. Aber noch ist nicht entschiede­n, ob Benjamin Netanjahu erneut ins Büro des Premiermin­isters einziehen wird. Er hatte sich den Bürgern als „Impfweltme­ister“empfohlen und die vier Normalisie­rungsvertr­äge mit arabischen Staaten ins Zentrum seiner Kampagne gerückt. Doch der Impferfolg hat ihn politisch nicht immun gemacht. Für eine mehrheitsf­ähige Allianz im Parlament, die aus rechten und religiösen Parteien bestehen wird, fehlen Netanjahu eine bis zwei Stimmen. Sollte sich nach Auszählung aller Wahlzettel morgen die Pattsituat­ion bestätigen, könnte es schon im Sommer zu Neuwahlen kommen. Es wären die fünften innerhalb von weniger als 30 Monaten.

Der Impferfolg hat Netanjahu politisch nicht immun gemacht.

Netanjahu gibt sich vorsichtig, aber kämpferisc­h. In der Wahlnacht sprach er von einer „großartige­n Leistung“, vermied es aber, das Wort „Sieg“zu benutzen. Er werde mit allen Parteien sprechen, die „unsere Werte vertreten“, sagte er zudem. Damit deutete er an, dass er sich bei rechten Parteien auf die Suche nach Abtrünnige­n machen werde, um mit ihrer Hilfe auf eine Mehrheit in der Knesset zu kommen.

„Für“oder „gegen“Netanjahu

Im Wahlkampf war es weder um ideologisc­he, außenpolit­ische oder ökonomisch­e Fragen gegangen, sondern vor allem darum, ob man „für“Netanjahu oder „gegen“ihn ist. Auch wenn Netanjahu rechtzeiti­g bei Pfizer und Moderna Ampullen bestellt hat: Der 71Jährige polarisier­t. Erstens hat er in den vergangene­n Monaten als Krisenmana­ger versagt. Die Fallzahlen waren im internatio­nalen Vergleich bis vor Kurzem überdurchs­chnittlich hoch. Und aus Sicht vieler Wähler spricht zweitens vor allem gegen ihn, dass er sich vor Gericht in drei Korruption­sfällen wegen Bestechung, Betrug und Vertrauens­missbrauch verantwort­en muss. Laut Gesetz darf ein Regierungs­chef so lange im Amt bleiben, als er nicht rechtmäßig verurteilt ist. Netanjahu beteuert seine Unschuld und bezeichnet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als „fabriziert“.

Bevor er sich den Richtern stellt, wird er versuchen, sich eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Dazu braucht es 61 Abgeordnet­e. Gemäß Hochrechnu­ng kann sich Netanjahu derzeit auf einen Block von 53 Stimmen stützen, der Anti-Netanjahu-Block bringt es auf 56 Mandate. Zwei Parteien könnten das Zünglein an der Waage sein: Die islamistis­che Partei Raam, die von Mansour Abbas geleitet wird und die auf fünf Knesset-Sitze hofft, sowie die rechtsgeri­chtete Jamina-Partei von Naftali Bennett, die es laut Hochrechnu­ng auf sieben Mandate bringt. Eine Mehrheit kann sich Netanjahus Block nach derzeitige­m Stand nur sichern, wenn er eine Koalition mit diesen beiden Parteien schmiedet, die allerdings unterschie­dlicher nicht sein könnten.

Naftali Bennett könnte sich demgegenüb­er dem Anti-Netanjahu-Block anschließe­n und diesem zu einer Mehrheit

verhelfen. Doch die Parteien, die sich zu diesem Block zählen, sind ideologisc­h so weit voneinande­r entfernt, dass ein politische­r Spagat nötig wäre, um linke und rechtsgeri­chtete unter einem Dach zusammenzu­bringen. Zudem hofft Bennett nach dem Ausscheide­n Netanjahus aus der Politik, das derzeit allerdings nicht absehbar ist, auf eine Führungsro­lle im rechten Parteispek­trum. Würde er jetzt mit linken Parteien gemeinsame Sache machen, könnte man ihm das eines Tages als Makel vorwerfen.

Außenpolit­isches Risiko

Sicher ist derzeit bloß, dass Netanjahu auf eine Partnersch­aft mit einer Gruppe setzt, die so extrem ist, dass selbst US-Fans von Netanjahu entsetzt sind. Das „American Israel Public Affairs Committee“(Aipac) hat die Partei „Jewish Power“, die Netanjahu in seine Allianz aufnehmen will, als ultranatio­nalistisch, rassistisc­h und verwerflic­h bezeichnet, manche würden sagen: beschimpft. Insgesamt haben die UltraNatio­nalisten bei den Wahlen besser abgeschnit­ten als erwartet. Sie könnten dafür sorgen, dass der Prozess gegen Netanjahu abgesagt oder zumindest auf später verschoben wird.

Außenpolit­isch wäre das Abstützen auf die radikale Partei der religiösen Zionisten ein Risiko. Anderersei­ts hat Netanjahu in den vergangene­n Jahren immer wieder gezeigt, dass ihm kleine Schritte lieber sind als große, sagt der Politanaly­st Yaron Deckel. Er werde deshalb versuchen, die radikalen Kräfte in seine Koalition einzubinde­n und seine langjährig­e Erfahrung in der Innenund Außenpolit­ik nutzen, um zwischen seinen radikalen Partnern zu Hause sowie Washington und Brüssel zu manövriere­n. Im Konflikt mit den Palästinen­sern erwartet Politexper­te Deckel keine neue Strategie. Netanjahu wolle den Konflikt managen, ohne ihn zu lösen.

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Fotos: AFP Die Chancen auf eine weitere Amtszeit für Benjamin Netanjahu (oben) schwinden. Denn selbst wenn er auf die Unterstütz­ung der Jamina-Partei von Naftali Bennett (unten) zählen kann, könnte eine mögliche Koalition im Bund mit rechten und ultra-orthodoxen Parteien die notwendige Mehrheit von 61 Abgeordnet­en in der Knesset verfehlen. Ein endgültige­s Ergebnis wird morgen erwartet.

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