„Gott ist doch kein Wahn!“
Theologisches im philosophischen Denken
„Gott lässt sich nicht erkennen, aber wir selber vermögen uns und die Welt, ohne auf diesen Urgrund hin zu denken, nicht zu verstehen. Mehr ist nicht möglich, mehr ist aber auch nicht nötig.“(Robert Theis)
Robert Theis, Jahrgang 1947, studierte zuerst Philosophie an der Gregoriana in Rom, dann katholische Theologie in Paris (maîtrise en théologie mit einer Arbeit über Karl Barths Trinitätstheologie). Von 1972 bis 1975 widmete er sich der Philosophie an der Pariser Sorbonne, wo er 1975 mit einer Arbeit über den frühen Hegel zum Dr. phil. promoviert wurde. Von 1974 bis 1995 als Philosophielehrer an mehreren Luxemburger Gymnasien tätig, wurde er 1992 an der Universität des Saarlandes, wo er bereits seit 1982 Lehrbeauftragter war, mit „Gott“einer Arbeit über die Entwicklung von Kants theologischem Denken habilitiert und zum Privatdozenten ernannt. Ab 1995 lehrte er Philosophie am Centre universitaire de Luxembourg, dann ab 2003 an der neugegründeten Université de Luxembourg. 1998 erhielt er den Titel eines außerplanmäßigen Professors an der Universität des Saarlandes. Gastdozent war er u. a. an der KarlsUniversität Prag, der Université de Strasbourg, der Università di Roma 1 (La Sapienza). 2010 emeritiert, arbeitet er weiter in der philosophischen Forschung, z.Z. im Rahmen der von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geplanten Neuedition der Werke von Kant. Er ist zudem als Herausgeber sowohl der Bücherreihe „Europaea Memoria“wie auch der Gesammelten Werke von Christian Wolff im Georg Olms Verlag (Hildesheim) tätig. Robert Theis ist Vizepräsident der Société d’études kantiennes de langue française.
Hegel und Levinas
Bereits während seines Theologiestudiums hat sich Robert Theis intensiv mit den Frühschriften Hegels auseinandergesetzt und zeigt in seinem Buch „Discours dédoublé. Philosophie et théologie dans la pensée du jeune Hegel“, wie Hegel, als Theologiestudent, Theologisches verwendet, um grundlegend Philosophisches über den Menschen zur Sprache zu bringen. Theis‘ philosophisches Forschen führt ihn dann zu Levinas, dessen „Totalité et infini“er in sein eigenes Denken integriert, um festzuhalten, dass Gott sich nicht denken lässt, ist er doch Unendlichkeit und nicht einfach nur Ganzheit. Ein philosophischer Weg zu Gott schiene somit aussichtslos, „alles Stroh“, wie Thomas von Aquin behauptete, als er seine Summa theologica nicht mehr zu Ende schreiben wollte oder konnte? Vielleicht: aber eine derartige Einsicht kann nicht als Eingeständnis des Unvermögens der menschlichen Vernunft verstanden werden, sondern eher als deren schönste Frucht. Denn wenn man Gott auch nicht theoretisch erdenken kann, so bleibt doch eines richtig: Gott selbst lässt das philosophische Denken nicht los, auch wenn er, wie Anselm behauptet, „etwas Größeres ist, als gedacht werden kann“.
Von Moses Mendelssohn wurde Kant als der „Alleszermalmer“in theoretischen Gottesfragen verstanden, hätte er doch in seinen kritischen Schriften der philosophischen Theologie den Gnadenstoß versetzt.
Mit seinem methodischen entwicklungsgeschichtlichen Ansatz und seinen Untersuchungen über das stille Jahrzehnt in Kants Schaffen ist es Robert Theis gelungen einen anderen Zugang zum größten der modernen Philosophen zu eröffnen. Die Resultate seiner langjährigen Forschung hat er zum Teil in seiner Habilitationsschrift mit dem kurzen, aber vielsagenden
Titel „Gott“veröffentlicht. Unter seinen zahlreichen anderen Kantschriften sei auf die meisterhafte Synthese hingewiesen, die 2012 unter dem Titel „La raison et son Dieu“bei Vrin in Paris erschien. In all dem wird klar: Gott hat Kant sein Leben lang nicht losgelassen, so dass er in seinen Reflexionen bekennt: „Gott ist doch kein Wahn“. Sich mit ihm auseinandersetzen, heißt
Neuer Zugang zu Kant
auch das theoretische wissenschaftliche Denken selbst neu verorten. Ohne auf den ontologischen Status Gottes einzugehen, kann das Arbeiten an der Gottesfrage erkenntnistheoretische Einsichten vermitteln, und so hat Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft festgehalten: „Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“Damit haben sowohl Wissen als auch Glauben ihren berechtigten Platz, und zum Schluss seiner Studie „‘Es ist ein Gott‘. Kants Weg vom Wissen zum Glauben“(jetzt in: De Wolff à Kant/Von Wolff zu Kant), stellt Robert Theis dann fest: „Vor dem Hintergrund der prinzipiellen Unerkennbarkeit Gottes besteht die höchste Leistung der Vernunft darin, den theologischen Gedanken als Horizont aufzuzeigen, innerhalb dessen sich die Naturbetrachtung in ihren letzten Motiven entfaltet.“Die Rede von Gott ist somit die andere Rede von der Welt und vom Menschen in der Welt. „Gott lässt sich nicht erkennen, aber wir selber vermögen uns und die Welt, ohne auf diesen Urgrund hin zu denken, nicht zu verstehen. Mehr ist nicht möglich, mehr ist aber auch nicht nötig.“ 2005 übersetzt Robert Theis Anselm von Canterburys „Proslogion“und veröffentlicht diesen Text mit Anmerkungen und Nachwort bei Reclam. Im Kapitel 15 ist dort zu lesen: „Gott ist nicht nur etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sondern etwas Größeres, als gedacht werden kann“. Robert Theis‘ Kantlektüre lässt erahnen, dass auch der Königsberger Philosoph dies gesehen hat. Am Schluss seines Nachwortes zum Proslogion hält Robert Theis fest, dass das menschliche Verstehen sicher notwendiges Moment ist – aber eben nur Moment – der Ausprägung dessen, was der Mensch ist, nämlich Ebenbild Gottes. So kann das Erkennen des Daseins Gottes – sein nicht Nicht-denken-Können – dem Menschen gelingen, verdankt doch dieser das Denken selbst seinem Schöpfer. „Liebende Begegnung mit Gott“wird somit Endpunkt des Menschseins.
Seit Jahren schon setzt sich Robert Theis mit Christian Wolffs Schriften auseinander, zu deren Mitherausgeber er geworden ist. Als solcher hat er auch ein imposantes „Christian Wolff Handbuch“(2018) veröffentlicht, an dem zweiundzwanzig anerkannte Fachleute mitgewirkt haben. Den kritischen Kant kann man nicht einfach überspringen, um den dogmatischen Wolff neu zu beanspruchen. Trotzdem beschäftigt den Philosophen ein Philosoph nie nur historisch; die Frage nach der Wahrheit, wie diese auch immer zu verstehen ist, bleibt gestellt. Für Wolff, so lässt uns Robert Theis wissen, ist die Vernunft letztlich als Ausleger der göttlichen Norm und Wahrheit zu verstehen, nie aber als deren Maßstab. Denn die menschliche Vernunft als geschaffene erhält die Legitimität ihrer normativen Ansprüche von der göttlichen her, und somit haben natürliche und geoffenbarte Wahrheiten ihren Ursprung von Gott. Sie entsprechen den Ansprüchen der universalen Rationalität, die dem Menschen, als Bild Gottes, ebenfalls zukommt, wenngleich, wegen seiner ontologischen Endlichkeit, nur im begrenzten Maße.
Um zu ergründen, inwieweit solche Gedankengänge auch heute noch etwas für den ökologisch bewussten Menschen hergeben, setzt sich Robert Theis mit dem Denken des zeitgenössischen Philosophen Hans Jonas auseinander.
Anselm und Wolff
Heute die Welt bewohnen
In seinem Werk Prinzip Verantwortung weist Hans Jonas darauf hin, dass der Mensch eine neue Ethik braucht, ist es ihm doch in der heutigen technologischen Zivilisation möglich geworden, durch sein Verhalten sich selbst und die ganze Erde zu vernichten. Die Welt steht dem Menschen nicht einfach zur Verfügung, sie trägt vielmehr in sich einen Wert, der ihr durch eine Transzendenz gegeben wird, die sie erschaffen hat und die sich als still anrufende Gegenwart in ihr inkarniert.
In seinem Buch „Hans Jonas. Habiter le monde“zeigt Robert Theis auf, wie Jonas dualistische Positionen, die Welt und Mensch sowie Gott und Mensch trennen, überwunden werden können. Gott ist nicht außerhalb der Welt zu suchen, da der Mensch, der als Materie-Geist Einheit die Erde bewohnt, Gott in der Welt ankommen lässt.
Auch noch nach einer grundlegenden Infragestellung Gottes angesichts dessen, was sich in Auschwitz ereignet hat, gibt der Gottesbegriff dem menschlichen Denken seine innere Einheit. Dieser muss allerdings grundlegenden Änderungen unterzogen werden. Unwandelbarkeit, Leidensunfähigkeit und Allmacht müssen weg vom griechischen Denken neu mit Hilfe des biblischen Schöpfungsmythos erörtert werden. Um seiner Schöpfung Autonomie und in ihr dem Menschen Freiheit zu gewähren, grenzt Gott seine Allmacht ein und liefert sich seiner Schöpfung aus, insbesondere der menschlichen Verantwortung, deren letztes Wort nicht nur die Bewahrung der Schöpfung für die nächsten Generationen sein kann – ein fundamentales ökologisches Anliegen unserer Zeit –, sondern auch die Rettung Gottes, der sich auf die menschliche Freiheit hin entäußert und erniedrigt hat. Die Frage „Gott, wie konntest du Auschwitz zulassen?“wird so zur Frage: „Mensch, wie konntest du Auschwitz ermöglichen?“Das Sehen menschlicher Verantwortung sowie der Autonomie der Welt ist hier an eine neue Seinsmetaphysik rückgebunden, die „in letzter Instanz auf eine Transzendenz verweist und Religion erfordert“, wie Robert Theis zum Denken Jonas‘ bemerkt.
Den beiden Behauptungen Kants „Es ist ein Gott“und „Gott ist doch kein Wahn“gibt Robert Theis somit auch für das heutige Denken eine neue Richtigkeit, die den verantwortungsvollen Menschen herausfordert, dem Glauben einen Platz zu geben, damit das Wissen weiterhin Bestand haben kann.
Die Bibliographie von Robert Theis umfasst mehr als 150 Veröffentlichungen. Zu ihnen gehören seine Bücher:
„Le discours dédoublé: Philosophie et théologie dans la pensée du jeune Hegel“, Paris 1978
„Approches de la Critique de la Raison Pure. Études sur la philosophie théorique de Kant“, Hildesheim 1991
„Gott. Untersuchungen zur Entwicklung des theologischen Diskurses in Kants Schriften bis hin zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft“, Stuttgart/Bad Cannstatt, 1994 „Hans Jonas: Habiter le monde“, Paris, 2008
„La raison et son Dieu. Étude sur la théologie kantienne“, Paris, 2012
„De Wolff à Kant/Von Wolff zu Kant“, Hildesheim, 2013. „Hans Jonas: Etappen seines Denkweges“, Wiesbaden 2018. 2013 erschien eine von Dietmar H. Heidemann und Raoul Weicker herausgegebene Festschrift für Robert Theis unter dem Titel „Glaube und Vernunft in der Philosophie der Neuzeit“(Hildesheim, Olms)